„Bei jedem Wasserkraftwerk muss man das Rad neu erfinden“

Interview mit Alexander Schwab, Senior Vice President der ANDRITZ HYDRO GmbH

Wirtschaftsforum: Herr Schwab, mit einer über 180 Jahre andauernden Geschichte und einem weltumspannenden Netz aus mehreren Dutzend Tochtergesellschaften ist die ANDRITZ Hydro ein seit Langem etablierter Global Player im Wasserkraftmarkt. Welche Rolle fällt dabei der ANDRITZ Hydro mit Sitz in Wien zu?

Alexander Schwab: Grundsätzlich tritt ANDRITZ Hydro als Ausrüster von Wasserkraftwerken auf und setzt dabei auf bewährte Turnkey-Konzepte, mit denen wir die gesamte Ausrüstung, von Turbinen über Generatoren bis hin zu sämtlichen mechanischen und elektrischen Anlagen, abdecken – alles bis auf den eigentlichen Bau der Kraftwerkshäuser und Dämme.

Dabei engagieren wir uns sowohl in verhältnismäßig kleinen Kraftwerken mit einer Einheitsleistung ab 1 MW bis hin zu Anlagen mit der beinahe tausendfachen Größenordnung.

Wirtschaftsforum: Nicht nur Ihr Unternehmen, sondern auch die Technologie hinter der Nutzbarmachung von Wasserkraft hat sich lange bewährt – wie innovationsstark fallen dabei die weiteren Entwicklungsschritte aus?

Alexander Schwab: In unserem Metier geht es bestimmt nicht mit so revolutionären Sprüngen voran wie in anderen Technologiebereichen. Gleichzeitig fällt der weiteren Verbesserung der technischen Möglichkeiten auch in unserem Tagesgeschäft eine außerordentlich bedeutsame Rolle zu, allein schon, weil es bei Wasserkraftwerken, anders als etwa bei Gas-, Kohle- oder auch Wind- und Solarkraftwerken keine etablierten Standardtypen gibt, deren einmal entwickelte Konzepte sich an beliebigen Standorten leicht reproduzieren lassen. Stattdessen muss man mit jedem Wasserkraftwerk das Rad ein bisschen neu erfinden, da es zur Optimierung seines Wirkungsgrads perfekt an die örtlichen Gegebenheiten angepasst werden muss – und die sind eben überall unterschiedlich.

Wirtschaftsforum: Wo erkennen Sie kraftwerksübergreifend derzeit die größten technologischen Fortschritte?

Alexander Schwab: Ein aktueller Forschungsschwerpunkt liegt sicherlich in der Weiterentwicklung von Pumpspeicherkraftwerken, um ihre Wirkungsgrade noch weiter zu steigern – auch wenn wir hier bereits auf Werte von deutlich über 80% kommen, was im Vergleich zu anderen Großspeichertechnologien natürlich gewaltig ist. Kürzlich haben wir das weltweit größte Prüflabor eröffnet, in dem wir den Betrieb von Pumpspeicherkraftwerken unter verschiedenen Umweltbedingungen möglichst realitätsgetreu simulieren können, um daraus wichtige Erkenntnisse zu ihrer weiteren Optimierung zu gewinnen. Ein anderes innovatives Themenfeld, das der Branche derweil unter den Nägeln brennt, liegt in der Automatisierung und Digitalisierung von Neubauten wie von bestehenden Kraftwerken.

Wirtschaftsforum: Welcher Nutzengewinn ergibt sich daraus?

Alexander Schwab: Neben der Langzeitoptimierung und zahlreichen Predictive Maintenance-Möglichkeiten liegt ein zentraler Vorteil sicherlich in der permanenten Überwachung der Betriebszustände des Kraftwerks. Wenn das Netz also beispielsweise einmal eine 10%ige Überlast erfordert, geben die digitalisierten Lösungen automatisch an, ob ein solcher Vorgang problemlos möglich ist, beziehungsweise ab welcher Dauer sich die nächste turnusmäßige Wartung dann um ein Jahr vorverschiebt. Damit vereinfacht sich eine Vielzahl der technischen und administrativen Abläufe.

Wirtschaftsforum: Denkt man an den Energie-Mix der Zukunft, sind die ersten Assoziationen oftmals Windenergie und Solarkraft. Welche Rolle wird vor diesem Hintergrund den Wasserkraftwerken zufallen?

Alexander Schwab: Ich sehe eine Renaissance der Wasserkraft auf uns zukommen, weil sie gerade im Hinblick auf den enormen Ausbau der Wind- und Solarkraftwerke von enormer Bedeutung für die Netzstabilität ist. Denken Sie dazu nur an die berüchtigte Dunkelflaute: Denn wenn es nachts windstill ist, können weder Windräder noch Solarzellen Strom erzeugen. Ohne bedeutende Speicherkapazitäten, die eine solche Situation auffangen können, käme es nun also zu erklecklichen Netzausfällen. Die zugrundeliegende Stabilität des Netzes beruht heute jedoch auf dem Dauerbetrieb von Gas-, Kohle- und (in vielen Ländern weiterhin) Nuklearkraftwerken – alles Technologien, aus denen man nun aussteigen will. Die einzige Ersatzmöglichkeit aus dem Bereich der erneuerbaren Energien, mit denen das Netz auch unter diesen Bedingungen stabil bleibt, liegt in Wasserkraftwerken dank ihrer nachhaltigen Energieerzeugung, beziehungsweise in Pumpspeicherkraftwerken dank ihrer Speicherfähigkeit. Auch die Statistiken der International Energy Agency sprechen eine überdeutliche Sprache: Denn wenn die Energieversorgung eines Landes zu etwa 20% aus Solar- und Windkraft bereitgestellt wird, sind laut diesen Daten bereits massive Investitionen in die Netzstabilität erforderlich, was sich unter anderem durch Pumpspeicherkraftwerke erreichen lässt. Damit zeigt sich: In einer grünen Zukunft führt kein Weg an der Wasserkraft vorbei.

Wirtschaftsforum: Trotzdem wird – zumindest in Deutschland – im öffentlichen Diskurs kaum über Wasserkraft gesprochen.

Alexander Schwab: Das ist – trotz der weitergehenden Einsatzmöglichkeiten aufgrund der besser geeigneten naturräumlichen Gegebenheiten – leider auch in Österreich so. Vielleicht liegt das ein bisschen an der langen Tradition unserer Technologie: Wasserkraft gab es schon immer, Solarzellen und Windräder sind hingegen neu und aufregend. Ich möchte die verschiedenen nachhaltigen Energieerzeugungsmöglichkeiten aber nicht in Gegnerschaft zueinander missverstanden wissen: Wir werden in der Zukunft jede dieser Technologien benötigen, einfach weil der Strombedarf weltweit weiter ansteigen wird. Nicht nur im Vergleich mit den umfangreichen Fördermöglichkeiten, die die politischen Entscheidungsträger für Wind- und Solarkraft bereitgestellt haben, sondern auch im Hinblick auf die überkomplexen Genehmigungsverfahren für Wasserkraftwerke besteht in Europa jedoch ein deutliches Ungleichgewicht zuungunsten unserer Technologie.

Wirtschaftsforum: Wie stellt sich die Lage außerhalb Europas dar?

Alexander Schwab: Die meisten Investitionstätigkeiten finden heute in China, Südostasien und Australien statt, wo gerade im Zuge des massiven Ausbaus der Solarenergie entsprechende konventionelle Wasserkraft- sowie Pumpspeicherkraftwerke zur Aufrechterhaltung der Netzstabilität erforderlich sind. Auch in vielen afrikanischen Ländern, wo es heute noch an der Basisversorgung fehlt, soll die grüne Wende gelingen. Die Renaissance der Wasserkraft ist somit ein globales Thema – eine Dimension, der wir mit unserer weltumspannenden Tätigkeit gerne Rechnung tragen.

Interview:

Manfred Brinkmann
und Dr. Endre Hagenthurn

Tags
Nach themenverwandten Beiträgen filtern

Mehr zum Thema

Sammeln von Altkleidung kaum noch kostendeckend

Interview mit Nexhip Gjikolli, Geschäftsführer der Textil-Recycling Nord GmbH

Sammeln von Altkleidung kaum noch kostendeckend

Jeder kennt sie, die Container zum Sammeln von Altkleidern und Schuhen. Doch kaum jemand macht sich Gedanken darüber, wie groß der Aufwand des Sammelns, Sortierens und der Weiterverwertung ist. Seit…

Der Döner für alle Fälle

Interview mit Mustafa Demirkürek, Gründer & Geschäftsführer der Alzarro Dönerworld GmbH

Der Döner für alle Fälle

Fertigprodukte sind aus den Supermarktregalen längst nicht mehr wegzudenken. Und doch fehlte dort bislang ein echter Klassiker: der Döner. Mustafa Demirkürek hat genau das geändert. Mit seiner Idee eines frischen,…

Destilliertes aus dem Herzen des Schwarzwalds

Interview mit Nicolai Benz, Geschäftsführer der Bimmerle KG

Destilliertes aus dem Herzen des Schwarzwalds

Die Bimmerle KG, ein traditionsreiches Familienunternehmen mit Sitz in Sasbach im Schwarzwald, ist seit über 50 Jahren in der Herstellung von Spirituosen tätig. In einer Zeit, in der Verbrauchertrends schnelllebig…

Spannendes aus der Region Wien

„Am Anfang der Versicherung steht die Risikoberatung!“

Interview mit Thomas Lackner, Vorstandsvorsitzender der HDI Versicherung AG

„Am Anfang der Versicherung steht die Risikoberatung!“

Die Welt ist riskanter geworden – davon sind Versicherungsunternehmen gleich in mehrfacher Hinsicht betroffen: nicht nur, weil sich damit die Wahrscheinlichkeit von Schadensereignissen und -höhen verändert, sondern auch, weil viele…

„Wir wollen gemeinsam mit unseren Kunden wachsen“

Interview mit Thomas Riedler, Chief Sales Officer der ELL Austria GmbH

„Wir wollen gemeinsam mit unseren Kunden wachsen“

Seit 2014 steht die ELL Austria GmbH mit ihrem Firmennamen für European Locomotive Leasing und nimmt ihren Kunden dabei die gesamte Komplexität um das Asset Lokomotive ab. Im Interview mit…

„Wir brauchen mehr leistbaren, ökologischen und nachhaltigen Wohnraum“

Interview mit Dr. Heimo Scheuch, CEO wienerberger

„Wir brauchen mehr leistbaren, ökologischen und nachhaltigen Wohnraum“

Seit über 200 Jahren ist die österreichische Wienerberger AG für ihre innovativen Tonbaustoffe und inzwischen auch für vielfältige Lösungen darüber hinaus bekannt. Doch trotz der beeindruckenden Geschichte will sich der…

Das könnte Sie auch interessieren

Die Zukunft ist hell und warm

Interview mit Carsten Birr, Geschäftsführer und Marius Richter, Geschäftsführer der Netz Leipzig GmbH

Die Zukunft ist hell und warm

Das Gesetz über die Elektrizitäts- und Gasversorgung EnWG zielt auf eine „möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente und umweltverträgliche“ leitungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas ab. 2005 wurde es…

Wie Schallschutz zur Schlüsseltechnologie wird

Interview mit Wilfried Thies, Geschäftsführer der FAIST Anlagenbau GmbH

Wie Schallschutz zur Schlüsseltechnologie wird

Schallisolierung, die Maßstäbe setzt: Die FAIST Anlagenbau GmbH ist ein führender Anbieter innovativer Schallschutzlösungen für Industrie und Energieerzeugung. Mit über 100 Jahren Erfahrung und einer Marktführerschaft im Bereich Luftansaugsysteme und…

Elektrotechnik in guten Händen

Interview mit Willy Hentschel, Niederlassungsleiter Cloppenburg, Abteilungsleiter Engineering der Dipl.-Ing. H. Sitte GmbH & Co. KG

Elektrotechnik in guten Händen

Rund 1.000 Mitarbeiter und 30 Standorte im Norden Deutschlands – die Dipl.-Ing. H. Sitte GmbH & Co. KG ist ein Elektrofachunternehmen, das Präsenz zeigt und sich längst als Marke etablieren…

TOP