„Wir brauchen mehr leistbaren, ökologischen und nachhaltigen Wohnraum“

Interview mit Dr. Heimo Scheuch, CEO wienerberger

Wirtschaftsforum: Herr Dr. Scheuch, gerade dem Bausektor fällt bei der ökologischen Transformation eine Schlüsselrolle zu. wienerberger tritt dabei als einer der weltweit führenden Anbieter von Tonbaustoffen im Markt auf. Wie blicken Sie auf den Wandel hin zu einem nachhaltigeren Bauen?

Dr. Heimo Scheuch: Diese Frage lässt sich aus meiner Sicht nur in einem europäischen oder globalen Kontext sinnvoll beantworten: In den Diskussionen der letzten zehn Jahre wird immer wieder der Eindruck vermittelt, die europäische Bauindustrie sei da bislang relativ schlecht aufgestellt und habe noch einen weiten Weg vor sich. Doch wenn man unsere hiesigen Standards mit den regulatorischen Anforderungen aus Asien und Nordamerika vergleicht – ganz zu schweigen von Afrika oder Lateinamerika – tut sich rasch ein ganz anderes Bild auf:

Bei uns gelten unbestreitbar die strengsten Anforderungen überhaupt. In diesem Kontext darf man dann durchaus auch einmal kritisch hinterfragen, ob es da für die Europäer sinnvoll ist, bei den Vorschriften immer noch einen draufzusetzen. Klar ist: Wir wollen hohe Standards – das ist auch überhaupt kein Problem, dem kommen wir und unsere Marktbegleiter mit großem Engagement und einem fundierten Know-how gerne nach und haben dabei in den letzten Jahren auch schon viel geleistet. Doch immer striktere Vorschriften werden nicht dazu führen, das sich noch bietende Potenzial für ein nachhaltigeres Bauen sinnvoll zu nutzen.

Wirtschaftsforum: Sondern?

Dr. Heimo Scheuch: Ich appelliere da vielmehr an eine gesunde Eigenverantwortung: Der Hausverstand sagt einem doch schon, dass man verantwortungsvoll mit den natürlichen Ressourcen umgehen muss, und deshalb tun wir das selbstverständlich auch. Dazu brauchen wir keine ellenlangen Vorschriften und Normen von fachfremden Politikern, die die inhaltlichen Details überhaupt nicht überblicken können – das schafft dann im Endeffekt nur unnötige Kosten, bremst wichtige Innovationen aus und führt lediglich zur Schaffung eines undurchsichtigen Dickichts an ESG-Consulting-Unternehmen, wie es in den letzten Jahren ja auch entstanden ist.

Grundsätzlich sind all diese Themenfelder zur sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit auf der fachlichen Ebene unbestreitbar wichtig und genießen auch die volle Unterstützung von wienerberger – aber wie sie bisweilen auf der regulatorischen Ebene angepackt werden, ist nicht selten bedenklich. Damit entfremden wir uns nur immer weiter von unseren menschlichen Werten, wir sprechen zu wenig miteinander, auch in der Wirtschaft. Die tatsächlichen Herausforderungen sind schließlich enorm:

Das Bauen muss wieder bezahlbar werden, damit allen Menschen ihr Grundrecht auf Wohnraum garantiert werden kann, es muss an die klimatischen und kulturellen Bedingungen der jeweiligen Regionen angepasst und zudem langfristig orientiert sein – denn ein Bauwerk, das auf eine Nutzungsdauer von einem Jahrhundert ausgelegt ist und zudem leicht für verschiedene Nutzungszwecke umgestaltet werden kann, ist schon aus sich heraus eine sehr nachhaltige Lösung. All diese Ziele sind gut erreichbar, wenn die regulatorischen Rahmenbedingungen stimmen.

Wirtschaftsforum: Bei der Schaffung von attraktivem Wohnraum fällt im urbanen Kontext oft das Schlagwort Verdichtung – wie blicken Sie auf diesen Ansatz?

Dr. Heimo Scheuch: Mit einer gewissen Skepsis, zumindest in den westlichen Ländern. Wir müssen da für mein Dafürhalten stark zwischen kommerziell genutzten Gebäuden und dem Wohnungsbau unterscheiden. 
Ich will ganz offen zugestehen, dass meine Generation wahrscheinlich zu sorglos mit Grund und Boden umgegangen ist, insbesondere im Kontext der kommerziellen Nutzung, etwa mit der Errichtung von gigantischen Einkaufszentren, was ich nicht unkritisch sehe. Da ist viel Ackerland und auch Biodiversität verloren gegangen. Die konsequente Verdichtung ist gerade in Ländern wie Österreich und Deutschland jedoch aus meiner Sicht nicht das am besten geeignete Mittel zur Bekämpfung der Wohnungsnot, da die dadurch zunehmende urbane Enge zu einer stärkeren Aggression in den Städten führen kann. Im schlimmsten Fall würden wir die Ghettos der Zukunft bauen. Das müssen wir unbedingt verhindern – und dabei vor allem auch die regionalen kulturellen Unterschiede berücksichtigen. Das europäische Zusammenleben wird sich nicht anhand der Strukturen asiatischer Megacitys organisieren lassen, sondern kann nur gemäß den hiesigen kulturellen Gepflogenheiten funktionieren, wenn die Wohnbebauung durch attraktive Grünraum- und Erholungsflächen aufgelockert wird.

Wirtschaftsforum: Mit welchen Innovationen beschäftigt sich wienerberger derzeit?

Dr. Heimo Scheuch: Für ein Ziegelunternehmen klassischer Prägung, wie wir es noch vor 15 Jahren waren, haben wir eine durchaus beachtliche strategische Neuorientierung herbeigeführt und konnten unser Leistungsspektrum in diesem Zuge systematisch verbreitern. So engagieren wir uns inzwischen mit umfangreichen Investitionsvolumina in der Herstellung von Kunststoffrohren, die mit modernster Sensortechnik ausgestattet sind und insbesondere in Abwassersystemen zum Einsatz kommen, wo sie die Kommunen beim Wassermanagement unterstützen.

Da weite Teile des bestehenden Leitungsnetzes inzwischen ziemlich alt sind und oftmals nur unzureichend instandgehalten wurden, kommt es dort bisweilen zu extremen Wasserverlusten, was durch entsprechende Ertüchtigungsmaßnahmen behoben werden kann. Die nord- und osteuropäischen Länder sind bei der entsprechenden Umsetzung inzwischen führend, aber auch in den übrigen Märkten wie Deutschland besteht hierfür großes Potenzial.

Wirtschaftsforum: Welche Lösungen hält Ihr Unternehmen indes für die Herausforderungen bei der Errichtung nachhaltiger Gebäude bzw. bei der energetischen Sanierung bereit?

Dr. Heimo Scheuch: Hier ist die gewachsene Kompetenz in unserem angestammten Tätigkeitsfeld natürlich besonders gefragt – denn bis zu 40% der Wärmeenergie entweicht in einem Gebäude durch das Dach. Dieses Problem kann auch bei älteren Häusern mit hohem Renovierungsbedarf durch einschlägige Dämmmaßnahmen behoben werden, bei denen das alte Schutzdach zudem idealerweise zu einem Nutzdach umfunktioniert wird, das auch eine sinnvolle Verwendung des Regenwassers gewährleisten kann. In der Wand- und Fassadengestaltung sehen wir damit für unsere Ziegeltechnologie weiterhin großes Wachstumspotenzial, das wir durch beständige Innovationen weiter ausreizen werden. So haben wir kürzlich gemeinsam mit dem österreichischen Architekturbüro Eberle das Gebäudekonzept 2226® entwickelt – ein Gebäude, das die Innentemperatur das ganze Jahr lang ohne unterstützende technische Maßnahmen bei einer Temperatur von 22-26°C hält, was natürlich mit immensen Energieeinsparungen verbunden ist. Damit ist dieses Konzept gerade für den sozialen Wohnungsbau bestens geeignet.

Wirtschaftsforum: Ihr Blick bleibt damit klar auf die Zukunft gerichtet?

Dr. Heimo Scheuch: Unbedingt. Meine Erfahrung hat mich gelehrt: Wenn die Menschen in Aufsichtsrats- oder Vorstandssitzungen anfangen, viel über die Vergangenheit zu sprechen, wird es nicht selten gefährlich. Ich selbst bin in den Bergen aufgewachsen, und wenn man auf das Panorama schaut, richtet sich der Blick ja nicht auf die Mitte, sondern zum Gipfel – man will hinauf und dann auch gesund wieder herunterkommen. Man muss also Verantwortung für diesen gemeinsamen Weg übernehmen – in meinem Fall für mehr als 20.000 Kolleginnen und Kollegen auf der ganzen Welt. Diese Verantwortung muss man annehmen und seinen Mitmenschen mit Offenheit, Respekt, Verständnis und Zuwendung begegnen – Werte, die ich so auch bis ins Letzte von meinem Top-Management einfordere. Wenn man diese eisernen Prinzipien verfolgt, stellt sich der Erfolg von ganz alleine ein – im Falle von wienerberger seit mehr als 200 Jahren!

Interview:

Manfred Brinkmann
und Dr. Endre Hagenthurn

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