Gewinne sind die Kosten des Überlebens
Interview mit Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hermann Simon
Das Interview führten: Manfred Brinkmann und Sabine Benzler
Wirtschaftsforum: Herr Prof. Simon, der Slogan unserer Medienmarke Wirtschaftsforum lautet: Wir nehmen Wirtschaft persönlich! Sie haben einmal gesagt: „Ich bin ein emotional überzeugter Marktwirtschaftler“. Dies ist eine sehr persönliche Aussage: Bitte erläutern Sie das näher.
Prof. Hermann Simon: Während meiner Studienzeit gab es eine ernsthafte Diskussion nicht nur von linken Studenten, sondern auch von gestandenen Professoren, ob der Sozialismus nicht doch überlegen wäre. Denken Sie an Sputnik, die sowjetische Rüstung und ähnliches. Doch die Geschichte hat diese Frage eindeutig beantwortet. Eines der höchsten Güter ist die Freiheit. Und Freiheit ist nur mit Marktwirtschaft vereinbar. Jemand sagte einmal: „Kapitalismus ist das Ergebnis, wenn man die Leute machen lässt.“ Überall in der Welt haben marktwirtschaftliche Systeme den höchsten Wohlstand gebracht. Dass dieser Wohlstand nicht immer so verteilt wird, wie es viele wollen, ist auch klar. Deshalb haben wir zum Ausgleich die soziale (aber eben nicht die sozialistische) Marktwirtschaft. Und ein Wort zu China: Dort funktioniert der Markt weit überwiegend nach kapitalistischen Prinzipien.
„Eines der höchsten Güter ist die Freiheit. Und Freiheit ist nur mit Marktwirtschaft vereinbar.“ Hermann Simon
Wirtschaftsforum: Welches Thema ist Ihnen vor dem Hintergrund der aktuellen Situation besonders wichtig? Wo sehen Sie zurzeit den Schwerpunkt Ihrer Arbeit?
Prof. Hermann Simon: In Bezug auf die deutsche Wirtschaft bin ich gespalten. Einerseits haben wir die Hidden Champions, die nicht nur Weltmarktführer, sondern echte Weltklasseunternehmen sind. Andererseits hinken wir in modernen Branchen wie Internet, Digitalisierung, Künstliche Intelligenz - zumindest in den Massenmärkten - stark hinterher. Das hat übrigens nichts mit Corona zu tun, sondern ist ein strukturelles Problem, als dessen Ursache ich gesellschaftliche Widerstände gegen Innovation und Wandel sehe.
Wirtschaftsforum: Sie sind Wissenschaftler, Unternehmer und Unternehmensberater und schreiben ein Buch mit einem eher saloppen, allgemeinverständlichen Titel, „Am Gewinn ist noch keine Firma kaputt gegangen“. Was wollen Sie mit diesem, auch eher langen, Titel erreichen?
Prof. Hermann Simon: Ja, der Titel ist salopp und zu lang … und trifft vielleicht gerade deswegen bei Unternehmern und Managern auf große Zustimmung, um nicht zu sagen Begeisterung. Mein Ziel mit dem Buch ist, Unternehmer zu einer verstärkten Gewinnorientierung zu bewegen. Das ist bitter nötig. Die Leute auf der Straße glauben, der Nettogewinn mache 22 Prozent vom Umsatz aus. In Wirklichkeit liegt die Nettoumsatzrendite in Deutschland seit über 14 Jahren bei 3,2 Prozent. Entsprechend niedrig ist die Bewertung unserer Unternehmen. Mehr als 50 Prozent unserer Firmen verdienen ihre Kapitelkosten nicht. Diese Situation halte ich für sehr gefährlich.
„Einerseits haben wir die Hidden Champions, die nicht nur Weltmarktführer, sondern echte Weltklasseunternehmen sind. Andererseits hinken wir in modernen Branchen wie Internet, Digitalisierung, Künstliche Intelligenz - zumindest in den Massenmärkten - stark hinterher.“ Hermann Simon
Wirtschaftsforum: Wir haben heute eine Absatzkrise. Als Sie das Buch geschrieben haben, hat noch niemand die aktuelle Situation erahnt. Wie sehr ist der Grundtenor Ihres Buches für den Leser/ Anwender jetzt relevant? Wie passt das Buch in die aktuelle Zeit?
Prof. Hermann Simon: Das Buch erschien am 11. März 2020, gerade zum Ausbruch der Corona-Krise. Das war Timing-Pech, denn seither hat sich alle Aufmerksamkeit auf Corona gerichtet. Und im Moment zählt nur eins, nämlich Liquidität. Gleichwohl ist das Thema Gewinn im Hintergrund allgegenwärtig. Denn die Firmen, die in der Vergangenheit unzureichende Gewinne gemacht und keine Reserven gebildet haben, erwischt es als erste. Und in Kürze wird das Thema Gewinn eine Bedeutung gewinnen, wie es das seit der letzten Finanzkrise nicht mehr hatte, vermutlich sogar eine noch größere Bedeutung. Ich kann nur jedem Unternehmer raten, sobald er die Liquidität im Griff hat, sehr konsequent auf Gewinnorientierung, ja ich sage „Gewinnmaximierung“ umzuschalten. Denn es dürfte auf längere Zeit für viele eng bleiben.
Wirtschaftsforum: In Ihrem Buch beschreiben Sie die Pharmabranche als die am meisten gewinnfokussierte Branche. Wenn es einer Firma gelingt, einen Impfstoff gegen COVID-19 zu entwickeln – nach welchen Grundsätzen sollte dieses Unternehmen die Preispolitik für das Produkt ausrichten?
Prof. Hermann Simon: Dieses Thema ist nicht mit betriebswirtschaftlichen Maßstäben zu bewerten. Das Pricing und die Verteilung eines solchen Impfstoffes, insbesondere wenn es nur einen gibt, also ein Monopol vorliegt, werden politisch hochbrisant sein, das gilt auch international. Der Preis für einen solchen Impfstoff wird mit der Politik verhandelt. Einen Vorgeschmack, wie kompliziert das politisch und auch ethisch sein kann, liefern neue gentechnisch hergestellte Medikamente, die mit einer einzigen Injektion bisher unheilbare Krankheiten beseitigen und deren Preise pro Patient in die Hunderttausende gehen.
„Viele Hidden Champions sind mehr als 100 Jahre alt. Sie haben bewiesen, dass sie überlebensfähig sind, und das vor allem, weil sie stets gute Gewinne eingefahren haben und so Reserven bilden konnten.“ Hermann Simon
Wirtschaftsforum: Viele Unternehmen stellen sich jetzt auf erhebliche Verluste ein. Wie definiert sich zurzeit für Sie unternehmerischer Erfolg? Hilft die Hidden-Champions Strategie der Fokussierung und Internationalisierung auch in dieser Zeit?
Prof. Hermann Simon: Was Erfolg bedeutet, muss jeder Unternehmer für sich selbst entscheiden. Ich maße mir diesbezüglich keine Definitionshoheit an. Aber im Moment geht es für viele Unternehmen nur um eins, ums nackte Überleben. Wer in hart betroffenen Branchen wie Tourismus oder Gastronomie tätig ist, der kann es als Riesenerfolg verbuchen, wenn seine Firma diese Jahrhundertkrise überlebt. Aber danach geht es wieder darum, Gewinne zu machen. Denn Gewinne sind die „Kosten des Überlebens“. Viele Hidden Champions sind mehr als 100 Jahre alt. Sie haben bewiesen, dass sie überlebensfähig sind, und das vor allem, weil sie stets gute Gewinne eingefahren haben und so Reserven bilden konnten. Ihre Eigenkapitalquote liegt bei 42 Prozent, der deutsche Durchschnitt hingegen bei 25 Prozent.
Interview:
Manfred Brinkmann
und Sabine Benzler