Die Corona-Krise wird die Globalisierung in vielen Bereichen ein Stück weit zurückdrehen
Interview mit Dr. Otmar Lang, Chefvolkswirt der TARGOBANK AG

Das Interview führte: Manfred Brinkmann
Wirtschaftsforum: Der Slogan von Wirtschaftsforum ist: Wir nehmen Wirtschaft persönlich. Welches Thema ist Ihnen vor dem Hintergrund der aktuellen Situation besonders wichtig? Wo sehen Sie zurzeit den Schwerpunkt Ihrer Arbeit?
Dr. Otmar Lang: Die Pandemie sollte genutzt werden, um Deutschland zukunftsfest zu machen. Insbesondere im Bereich der Digitalisierung, das haben uns die vergangenen Monate bewiesen, hat die Bundesrepublik im Vergleich zu anderen Nationen noch viel Nachholbedarf. Das betrifft nicht nur, aber im hohen Maße den Bildungs- und Wirtschaftsbereich. Wollen wir hier nicht den Anschluss verlieren, muss die Politik ihre Investitionen stärker forcieren. Der Schwerpunkt meiner Arbeit als Chefvolkswirt liegt aktuell darin, die Maßnahmen von Regierungen und Notenbanken zu erklären, einzuordnen und ihre Auswirkungen auf die Finanzmärkte zu analysieren.
„Die Pandemie sollte genutzt werden, um Deutschland zukunftsfest zu machen.“ Dr. Otmar Lang

Wirtschaftsforum: Was unterscheidet die aktuelle Krise und ihre Auswirkungen auf die Wirtschaft, von denen der Finanzkrise 2008/ 2009? Wo sehen Sie Parallelen?
Dr. Otmar Lang: Die Pandemie ist keine endogene Krise und kann daher nicht allein mit Mitteln der Fiskal- und Geldpolitik gemeistert werden. Diese Maßnahmen können die Krise nur abmildernd begleiten, doch langfristig bieten sie keinen Weg aus der Krise.
Wirtschaftsforum: Welche Wechselwirkungen zwischen den Finanzmärkten und der Realwirtschaft beobachten Sie?
Dr. Otmar Lang: Sowohl die Entwicklung an den Börsen sowie auch die wirtschaftliche Erholung haben die Fachleute überrascht. Als die Coronakrise im Frühjahr Fahrt aufnahm, erwies sich die Börse als sicherer Vorlaufindikator für die reale Weltwirtschaft – und das, obgleich die meisten Experten zu Beginn erhebliche Zweifel anmeldeten.
Wirtschaftsforum: Wie gut hat die EZB bislang auf die Krise reagiert? Haben die Maßnahmen gegriffen?
Dr. Otmar Lang: Aus der Finanzmarktkrise hat man gelernt, schnell und radikal reagieren zu müssen. Die EZB hat konsequent gehandelt und mehrere Notfallprogramme ausgearbeitet. Allerdings hatte sie jetzt keinen Spielraum mehr, die Zinsen weiter zu senken. Anders hat es die Fed handhaben können: sie hat es nicht versäumt, nach der Finanzkrise die Zinsen wieder anzuheben.

„Da weder die Wissenschaft und erst recht nicht die Politik vorhersagen kann, wie sich das Virus in seiner Ausbreitung entwickelt, ob wieder drastische Maßnahmen nötig sind und wann ein Impfstoff flächendeckend zur Verfügung steht, müssen wir alle auf Sicht fahren. Eine seriöse Einschätzung für die kommenden sechs Monate kann man unter diesen Voraussetzungen nicht anstellen.“ Dr. Otmar Lang
Wirtschaftsforum: Können die Notenbanken zurzeit überhaupt die Finanzmärkte und damit auch die Wirtschaftsmärkte stabilisieren?
Dr. Otmar Lang: Sie können zu einer Stabilisierung beitragen, das Problem aber können sie nicht lösen.
Wirtschaftsforum: Die COVID19-Pandemie lässt sich nicht so schnell eindämmen, wie im Frühjahr dieses Jahres erhofft. Was erwarten Sie für den deutschsprachigen Wirtschaftsraum in Europa bis Ende des Jahres 2020, für den Jahresanfang 2021? Was sind die entscheidenden Faktoren?
Dr. Otmar Lang: Entscheidend ist schlicht und ergreifend der weitere Pandemieverlauf. Da weder die Wissenschaft und erst recht nicht die Politik vorhersagen kann, wie sich das Virus in seiner Ausbreitung entwickelt, ob wieder drastische Maßnahmen nötig sind und wann ein Impfstoff flächendeckend zur Verfügung steht, müssen wir alle auf Sicht fahren. Eine seriöse Einschätzung für die kommenden sechs Monate kann man unter diesen Voraussetzungen nicht anstellen.
Wirtschaftsforum: Wie wird die COVID19-Krise langfristig die internationalen Wirtschaftsstrukturen beeinflussen?
Dr. Otmar Lang: Die Globalisierung wird in vielen Bereichen sicher ein Stück weit zurückgedreht. Als Chefvolkswirt habe ich aber natürlich einen Fokus auf die Entwicklung der globalen Finanzmärkte. So werden zum Beispiel die Zinsen in der westlichen Welt nur sehr behutsam steigen können, weil die Notenbanken Rücksicht auf die höchste Staatsverschuldung seit dem zweiten Weltkrieg nehmen. Die Verzerrung der Preise, die ihren Ursprung in extrem niedrigen Zinsen hat, wird folglich andauern, was für ein Dauerhoch an den Aktienmärkten spricht.