Neue Impulse für das Ökosystem Stadt

Interview mit Hans Christian Nolte, Geschäftsführer der Hannover Marketing und Tourismus GmbH

Wirtschaftsforum: Herr Nolte, für das Standort- und Tourismusmarketing war die Coronapandemie gewissermaßen der Super-GAU. Wie haben Sie die letzten beiden Jahre erlebt?

Hans Christian Nolte: Wir befinden uns natürlich immer noch im Krisenmodus. Die Kernaufgabe unseres Tagesgeschäfts besteht weiterhin darin, Herr der Lage zu werden. Das Frühjahr 2020 bedeutete eine unglaubliche Zäsur, die so wenige Wochen zuvor noch nicht vorstellbar gewesen wäre. Ganze Geschäftsmodelle sind auf einmal in sich zusammengefallen. Nicht zuletzt im Zuge der Omikron-Variante bleibt die Lage auch weiterhin unübersichtlich. Fest steht nur, dass die letzten beiden Jahre erhebliche Nachwirkungen haben werden – auch weit über 2023 und 2024 hinaus.

Wirtschaftsforum: Erwarten Sie nach Ende der Pandemie Nachholeffekte, etwa in Form eines Messe-Booms?

Hans Christian Nolte: Jetzt da-rüber zu spekulieren, welche wirtschaftlichen Gegebenheiten wir in der Post-Corona-Welt vorfinden werden, wäre ein Blick in die Glaskugel. Dabei dürfen wir den Begriff Nachholeffekte aber nicht so missverstehen, als ließen sich die fundamentalen Einbußen der letzten zwei Jahre dadurch ausgleichen – das wäre ein Trugschluss. Zeit lässt sich nicht aufholen, und die Events und Buchungen, die in den Jahren 2020 und 2021 ausgeblieben sind und nun wohl auch 2022 ausbleiben werden, sind unrettbar passé. Die Bücher dieser Jahre sind geschlossen, die Umsätze und Gewinne schlicht nicht erfolgt.

Wirtschaftsforum: Und über das Jahr 2022 hinaus?

Hans Christian Nolte: Auch aus einem Blick in die Buchungen für die unmittelbare Zukunft sollte man sich keine mutige Prognose reimen: denn in diesen Zeitraum sind schlicht viele Events verschoben worden, die in der Pandemie nicht stattfinden konnten. Erst einige Zeit danach werden wir feststellen, ob weiterhin ein derart enormer Bedarf an Branchen-events und Messen besteht, ob kleine, mittelständische und große Unternehmen auch in Zukunft zuvorderst auf den unmittelbaren persönlichen Kontakt setzen werden oder ob es doch zu einer fundamentalen Verschiebung in eine exklusiv digitale Welt kommen wird – zumindest die technischen Voraussetzungen dafür dürfte nahezu jedes Unternehmen mittlerweile geschaffen haben.

Wirtschaftsforum: Wäre eine Verschiebung weg von Präsenzveranstaltungen im Zuge der digitalen Möglichkeiten nicht für manche ein verschmerzbarer Verlust?

Hans Christian Nolte: Diese Ansicht verkennt die großen Zusammenhänge. Der persönliche Umgang miteinander ist aus meiner Sicht unabdingbare Voraussetzung für gegenseitiges Verständnis. Diese persönlichen Begegnungen und die damit verbundene enge persönliche und räumliche Vernetzung sowie der ständige Austausch miteinander sind die Grundlage für transnationales Vertrauen und damit auch das Fundament für den nachhaltigen Frieden und Wohlstand in Europa.

Wirtschaftsforum: All die Verwerfungen der Pandemie fallen gerade in eine Zeit, in der das Bild der Innenstädte ohnehin einem starken Wandel unterworfen ist. Müssen wir das Ökosystem Stadt völlig neu denken?

Hans Christian Nolte: Um derart tiefgreifende Neubetrachtungen werden wir nicht herumkommen, und zwar in vielerlei Hinsicht: finanziell, strukturell und auch sozial. Dass sich das Antlitz der Innenstädte wandelt, ist ja nicht allein auf das Geschäftsmodell des Onlinehandels zurückzuführen. Auch die oftmals problematischen Preisstrukturen mit den bisweilen nicht realisierbaren Deckungsbeiträgen, die große institutionelle Immobilieninvestoren erwarten, sind dabei ein bedeutsamer Faktor. Wichtiger ist jedoch, was sich aus dieser Analyse ergibt – nämlich die Chance auf eine neue Urbanität und ein neues städtisches Lebensgefühl.

Wirtschaftsforum: Wie wird die Lebenskultur in der Stadt der Zukunft aussehen – und welche Rolle müssen dabei die Steuerungsmöglichkeiten der Politik einnehmen?

Hans Christian Nolte: Der Wunsch der Menschen, in einer angenehmen Urbanität zu leben, ist unverkennbar: mit mehr Grünraum, mit guten Einkaufsmöglichkeiten, mit einem breiten kulturellen und gastronomischen Angebot und Zugang zu Mobilität jenseits des eigenen Autos. Man muss eine Stadt von den Wünschen der Menschen her denken, die in ihr leben wollen – und gerade junge Leute zieht es in die Stadt, weil sie dort angenehm leben und sich entfalten können. Natürlich wird es, auch im Zuge der Verkehrswende, noch viele Veränderungen geben. Doch wenn man diesen Wandel richtig steuert, werden die Lebensmöglichkeiten noch vielfältiger und freier sein. Die Zeichen, die ich schon heute in Hannover sehen kann, machen mir dabei besonders Mut: Denn auch wenn wir einen Rückgang an Einzelhandelsgeschäften hinnehmen müssen, bleiben die von ihnen hinterlassenen Lücken oft nicht lange leer, weil an ihrer Stelle bald etwa neue Restaurants, Pop-up Stores oder Projektinitiativen eröffnen.

Tags
Nach themenverwandten Beiträgen filtern

Mehr zum Thema Tourismus & Freizeit

Außerhalb der Komfortzone beginnt die Magie

Interview mit Jasmin Walser, Inhaberin und Geschäftsführerin der Hotel Vier Jahreszeiten GmbH

Außerhalb der Komfortzone beginnt die Magie

Jasmin Walser hat eine Vision: ein alpinsportliches Kompetenzzentrum, das Gäste bewusst aus ihrer Komfortzone holt. ‘DAS VIER’ bietet auf 1.700 m Höhe am Pitztaler Gletscher mehr als klassische Wellness –…

Natur, Nachhaltigkeit und neue Märkte

Interview mit Thomas Wilken, Geschäftsführer der Vila Vita Ferienanlage Pannonia Betriebsgesellschaft mbH

Natur, Nachhaltigkeit und neue Märkte

Vila Vita Pannonia glänzt als Naturresort im Seewinkel nicht nur als attraktives Ferienziel im reizvollen Burgenland, sondern auch als attraktiver Veranstaltungs- und Tagungsort. Welches Lebensgefühl dort transportiert werden soll und…

„Camping muss komfortabel sein!“

Interview mit Michael Krämer, Geschäftsführer der CAMPWERK GmbH

„Camping muss komfortabel sein!“

Camping war schon immer eine große Leidenschaft von Michael Krämer, aber die Produkte, die es auf dem Markt gab, haben ihm nie gefallen. Das wollte der ausgebildete Informatiker mit seinem…

Spannendes aus der Region Region Hannover

Förderung als Motor für Wachstum und Zukunft in Niedersachsen

Interview mit Michael Kiesewetter, Vorstandsvorsitzender der Investitions- und Förderbank Niedersachsen (NBank)

Förderung als Motor für Wachstum und Zukunft in Niedersachsen

Förderung ist ein Schlüssel für Wachstum, Innovation und Stabilität – besonders in Zeiten des Wandels. Als zentrale Förderbank des Landes nimmt sich die Investitions- und Förderbank Niedersachsen (NBank) in Hannover…

Digitale Zukunft braucht Sicherheit

Interview mit Tim Cappelmann, Geschäftsführer der AirITSystems GmbH

Digitale Zukunft braucht Sicherheit

Ohne resiliente IT-Infrastruktur keine digitale Zukunft – unter diesem Leitsatz sprach Wirtschaftsforum mit Tim Cappelmann, seit 2021 einer von drei Geschäftsführern der AirITSystems GmbH in Langenhagen. Im Interview erklärt er,…

Glasfaser für die Zukunft

Interview mit Thomas Heitmann, Geschäftsführer der htp GmbH

Glasfaser für die Zukunft

Im Zuge der Digitalisierung ist eine stabile und zukunftsfähige Infrastruktur wichtiger denn je. In Niedersachsen sorgt die htp GmbH seit Jahrzehnten für leistungsfähige Netze – und hat mit dem Glasfaserausbau…

Das könnte Sie auch interessieren

Global lehren, lokal entwickeln

Interview mit Stefan Wisbauer, Geschäftsführer der Lecturio GmbH

Global lehren, lokal entwickeln

Mit dem gravierenden Fachkräftemangel einerseits und der Notwendigkeit, praktische Fähigkeiten effizient zu vermitteln andererseits steht die Ausbildung im Medizinbereich vor enormen Herausforderungen. Die Lecturio GmbH mit Sitz in Leipzig hat…

Wo Ideen Raum finden

Interview mit Fabian Töws, Geschäftsführer der Laer Unternehmensverwaltung GmbH

Wo Ideen Raum finden

Als Folge von wachsender Urbanisierung, steigenden Immobilienpreisen und schrumpfenden Flächenreserven wird Platz zunehmend zu einer wertvollen Ressource. Flexible Lager-, Werkstatt- und Büroflächen sind gefragter denn je. Moderne Garagen- und Unternehmerparks…

Einfach schnell durchstarten

Interview mit Georg Weiß, CEO von Quivo

Einfach schnell durchstarten

Es ist das Bindeglied zwischen Onlineshop und Endkunde und spielt deshalb im E-Commerce eine zentrale Rolle – das Fulfillment. Damit sämtliche Prozesse – Lagerung, Kommissionierung, Verpackung, Versand und Retourenabwicklung, aber…

TOP