Aqualonis: Nebel in Trinkwasser verwandeln

Interview mit Peter Trautwein, CEO der Aqualonis GmbH

Wirtschaftsforum: Schon mehrere Unternehmen haben versucht, Wasser aus Nebel zu gewinnen. Inwiefern unterscheidet sich die Technologie von Aqualonis von den bisher implementierten Vorrichtungen, und wie verhindern Sie, dass Ihre Kollektoren vom Starkwind zerrissen werden – das größte technische Problem bei den bisherigen Konstruktionen?

Peter Trautwein: Vor der Gründung von Aqualonis war ich Volunteer bei der Wasserstiftung. Wir haben 2009 in Eritrea an zwei Standorten Nebelkollektoren nach dem Prinzip von FogQuest, einer kanadischen NGO, aufgestellt. Deren Vorrichtungen bestanden aus Stahl- oder Holzpfosten, gespannten Drahtseilen und Netzen mit einer Fläche von 40 m², die normalerweise in der Agrarwirtschaft zum Schutz vor Vögeln eingesetzt werden. Als ich in Eritrea schließlich das Ergebnis vor Ort gesehen habe, hat mich der katastrophale Zustand schockiert: Alles lag zerrissen und zerfetzt auf dem Boden.

Als Industriedesigner war ich überzeugt, dass man das viel besser machen und wirklich so konstruieren kann, dass die Nebelkollektoren auch orkanartigen Böen bis zu 120 km/h standhalten. Weil ich die bereits existierende Technologie für völlig defizitär hielt, habe ich bei null angefangen und sechs Bachelor-Arbeiten in den Bereichen Statik, Messtechnik und Strömungsmechanik vergeben, bevor wir 2013 den ersten Prototypen in Marokko getestet haben, der dort bis auf ein paar kleinere Abwandlungen heute noch steht wie am ersten Tag.

„Der Schlüssel zur Stabilität unseres CloudFishers liegt im Stützgitter hinter dem Gewebe.“ Peter Trautwein

Wirtschaftsforum: Gab es in der technischen Entwicklung einen Heureka-Moment, als Sie den Fehler gefunden hatten, an dem all die vorherigen Nebelkollektoren krankten?

Peter Trautwein: Der Schlüssel zur Stabilität unseres CloudFishers liegt im Stützgitter hinter dem Gewebe. Die eigentliche Stützkonstruktion aus Rohren und Schellen ist technisch gesehen banal. Das kann jeder Statiker berechnen. Bei den bisherigen Nebelkollektoren war das Gewebe aber an vier Stellen mit dem Drahtseil vernäht. Wenn da eine starke Windböe kam, wirkte die ganze Kraft der Gewebefläche auf den Saum, der bei einer Fläche von 40 m² oder mehr sofort durchriss. Es fehlte an einem Stoßdämpfer, um die starken Böen abzufedern. Statt der horizontalen Seile, die meine Kollegen gespannt hatten, um die Konstruktion zu stabilisieren, kommt bei unserem CloudFisher ein Stützgitter zum Einsatz, an dem sich das Gewebe nicht binnen Wochen kaputtscheuern kann.

Außerdem war es wichtig, die Rinne so zu gestalten, dass sie immer unten mit dem Ende vom Gewebe verbunden bleibt, damit die Wassergewinnung nicht schon beim kleinsten Windhauch zum Erliegen kommt. Anders als bei FogQuest verzichten wir auf verzinkte Bleche oder PVC, weil die Rinne ansonsten schnell rostet oder durch das UV-Licht spröde wird und splittert. Vor Ort in Afrika und Lateinamerika haben mir die Leute immer wieder gesagt: Wir finden Nebelkollektoren klasse – aber wir können sie nicht jede Woche reparieren. Wartungsarmut ist ein ganz wichtiges Ziel, damit die Technologie den Alltag der Menschen vor Ort wirklich dauerhaft erleichtern kann.

Als ich einen der Gründer von FogQuest, Robert Schemenauer, einmal bei einer Konferenz getroffen habe, wollte ich ihm von all meinen technologischen Verbesserungen erzählen. Die wollte er aber gar nicht erst sehen. Da habe ich mir gedacht: Gut, das musst du dann eben selber machen.

Galerie | Aqualonis: Wie Nebel zu Trinkwasser wird

Wirtschaftsforum: Wie funktionieren Ihre Nebelkollektoren im Alltag vor Ort – und wie lässt sich Ihre Technologie gerade in den ärmsten Regionen der Welt finanzieren?

Peter Trautwein: Das größte Projekt mit Nebelkollektoren, das es auf der Welt gibt, haben wir in Marokko durchgeführt, wo wir 31 Kollektoren à 54 m² aufgestellt haben. Ursprünglich hatten sich die 1.600 Menschen vor Ort mit Wassertrucks versorgt, die bei den schlechten Straßenverhältnissen aber oft gar nicht den Berg hochkamen. Zudem konnte ein großer Teil der Bevölkerung diese Wasserlieferungen gar nicht bezahlen – mit dem Ergebnis, dass die Trucks dann eben nicht wiederkamen.

Jetzt stehen dort oben auf dem Berg unsere Kollektoren, die wir an ein kilometerlanges Leitungssystem im Boden angeschlossen haben, mit dem das Wasser zu verschiedenen Zisternen und schließlich in die Haushalte fließt. Die Menschen haben dort jetzt Wasserhähne – das ist in dieser Gegend eine Revolution. Abgerechnet wird über ein Prepaid-Kartensystem, die Preise sind jedoch eher symbolisch und nach Verbrauch gestaffelt, sodass für Obst- und Gemüsebauer jeder weitere Kubikmeter teurer wird. Doch unterm Strich ist das immer noch um ein Vielfaches billiger als marokkanisches Leitungswasser. Ich bin der Überzeugung, dass Wasser etwas kosten muss, denn was umsonst ist, genießt bald keine Wertschätzung mehr. Doch der Preis muss so gestaltet werden, dass sich auch die ärmsten Menschen überhaupt sauberes Wasser leisten können. Von den überschaubaren direkten Einnahmen finanzieren wir das Wartungspersonal, das die Anlage und das Leitungssystem betreut.

Wir haben dieses Projekt in Kooperation mit anderen NGOs und der marokkanischen Regierung finanziert und über Bengo einen Antrag auf Fördermittel in Höhe von 666.000 EUR beim Bundesministerium für internationale Zusammenarbeit und Entwicklungshilfe gestellt. Da unsere Stiftung aber zu klein ist, um die dafür nötigen 25 % an Eigenmitteln aufzuwenden, arbeiten wir mit anderen Stiftungen zusammen, um weitere Projekte zu ermöglichen.

„Ich bin der Überzeugung, dass Wasser etwas kosten muss, denn was umsonst ist, genießt bald keine Wertschätzung mehr. Doch der Preis muss so gestaltet werden, dass sich auch die ärmsten Menschen überhaupt sauberes Wasser leisten können.“ Peter Trautwein

Wirtschaftsforum: Als Wetterphänomen ist Nebel ähnlich schwer prognostizierbar wie Wind und Regen. Kann Ihr CloudFisher trotzdem eine verlässliche Trinkwasserquelle sein?

Peter Trautwein: Bevor wir mit einem Projekt überhaupt beginnen, bestimmen wir mit Testkollektoren an verschiedenen möglichen Standorten die Ertragsmenge, und erst wenn wir hier zufriedenstellende Werte gesichert haben, gehen wir in die konkrete Planung. Dabei müssen unsere Nebelkollektoren nicht zwingend an der Küste aufgestellt werden: Bei unseren Kollektoren in Tansania hat der Nebel seinen Ursprung in einem nahegelegenen See, in Marokko nutzen wir sogenannten Advektionsnebel zur Trinkwassergewinnung. Entscheidend ist dabei die Tröpfchengröße, die idealerweise bei 20 bis 40 Mikrometern liegt. Das entspricht ungefähr dem Querschnitt eines europäischen Haares. Es müssen also durchaus bestimmte Bedingungen vor Ort gegeben sein, damit unser CloudFisher nennenswerte Wassermengen produzieren kann. Täglich erreichen mich E-Mails mit Anfragen wie: „Ich lebe in Wuppertal und hier hat es immer so viel Nebel. Könnte ich den nicht mit Ihren Kollektoren nutzbar machen?“ Selbst wenn mich ein solches Projekt interessieren würde, müsste ich allein aus physikalischen Gründen ablehnen.

Wirtschaftsforum: Gerade in den Gebieten, in denen Sie aktiv sind, wird der Wassermangel nicht zuletzt im Kontext des Klimawandels immer extremer werden. Kann Aqualonis dort auch im größeren Umfang eine Lösung sein?

Peter Trautwein: Das glaube ich nicht. Nebelkollektoren werden bestimmt eine von mehreren Technologien sein, um Wassermangel zu bekämpfen, aber ihr Einsatz wird sich auch in Zukunft auf sehr abseitig liegende Gebiete beschränken. Damit die Technologie funktionieren kann, müssen spezifische klimatische und geographische Bedingungen gegeben sein, und auch dann kommen Nebelkollektoren schnell an ihre Grenzen. Eine Kleinstadt mit 10.000 Einwohnern, von denen jeder 20 Liter Wasser pro Tag verbraucht, könnte nur mit einer völlig unrealistischen Anzahl an Kollektoren versorgt werden.

Wirtschaftsforum: Und wie verhält es sich mit den kommerziellen Anwendungen Ihrer Nebelkollektoren – denken wir an einen Wodkahersteller in Kalifornien, der die Herkunft seines Wassers aus Nebel eifrig bewirbt?

Peter Trautwein: Ich vermute darin eher eine Marketing-Strategie. Ursprünglich hatten wir in Kalifornien unsere Nebelkollektoren als möglichen Beitrag dazu vorgestellt, die desaströsen Auswirkungen der ständigen Dürre zu bekämpfen: Viele Winzer und Mandelbauern haben in den letzten Jahren aufgrund der immer schwieriger werdenden klimatischen Bedingungen ja schon die Segel gestrichen. Doch für Nordamerikaner, die immer gleich in XXL-Dimensionen denken, sind wir wohl mehrere Nummern zu klein. Zuerst fanden es bei unseren Workshops zwar alle ganz toll, aber wirklich umsetzen wollte es am Schluss niemand.

In diesen kommerziellen Anwendungen sehe ich für unsere Technologie sowie für die Zukunft von Aqualonis und der Wasserstiftung nur eine Randnotiz. Hauptsächlich wollen wir weiter dort helfen, wo unsere Vorrichtung einen wirklichen Unterschied im Alltagsleben der Menschen bewirken wird – in kleinen versprengten Ortschaften in den Bergregionen Lateinamerikas und in Afrika. Immer wieder sprechen wir dort mit Menschen vor Ort, die ihr Wasser aus völlig mit Nitrat verunreinigten Brunnen und Wasserstellen beziehen, was für Säuglinge und Kleinkinder lebensgefährlich ist. Doch den Menschen fehlt bislang die Alternative: sauberes Wasser.

Neben der Erzeugung von Trinkwasser engagieren wir uns auch in der Gewinnung von Wasser für die Agrarwirtschaft, insbesondere bei der Aufforstung. Derzeit führen wir in Eritrea zwei solche Projekte durch – denn bereits 1 km² wieder aufgeforsteter Regenwald hat bereits einen positiven Einfluss auf das Klima.

Interview: Julian Miller | Fotos: Aqualonis GmbH

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