Visionen und Werte im Wandel

Interview mit Stephan Stammberger, Geschäftsführer der MISUMI Europa GmbH

Wirtschaftsforum: Herr Stammberger, MISUMI hat Grund zu feiern. 2023 heißt es 60 Jahre MISUMI gobal, 20 Jahre Europa. Was hat diese positive Entwicklung maßgeblich vorangebracht?

Stephan Stammberger: Eine entscheidende Weichenstellung fand 2005 statt, als MISUMI durch den Kauf des größten Zulieferers selbst als Hersteller auf dem Markt auftreten konnte. In den rund 40 Jahren vorher agierte man als reiner Händler; seitdem wird in Werken auf der ganzen Welt produziert. Dieser Wandel war der Startschuss für die erfolgreiche Entwicklung unseres heutigen Geschäftsmodells.

Wirtschaftsforum: Wie sah diese Entwicklung aus?

Stephan Stammberger: Die vergangenen 20 Jahre standen unter anderem im Zeichen der Globalisierung. Heute beschäftigt der Konzern 12.000 Mitarbeiter in Asien, den USA und Europa; in Europa sind es knapp 300 Mitarbeiter, der Umsatz liegt bei 170 Millionen EUR. Als ich vor zehn Jahren hier anfing, waren es 40 Millionen EUR. Der Umsatz ist schneller als der Markt gewachsen und spricht für unser einzigartiges Geschäftsmodell mit Produktvielfalt, Konfiguration der Artikel und Lieferung von kundenspezifischen Artikeln innerhalb von vier bis sieben Werktagen ab Stückzahl 1 und ohne Mindestabnahme.

Wirtschaftsforum: Glauben Sie, dass diese Dynamik anhalten wird?

Stephan Stammberger: Der Maschinen- und Anlagenbau wird auch in Zukunft eine der treibenden Industrien Deutschlands und Europas sein. Innovative Technologien wie KI oder Industrie 4.0 ermöglichen wieder eine kostengünstige Produktion in Europa. Viele Industrien sind damals ins Ausland gegangen, weil manuelle Arbeitsanteile groß und Lohnkosten damit hoch waren. Heute, im Zuge der digitalen Transformation, können viele manuelle und repetitive Arbeiten automatisiert werden; damit wird es wieder interessanter, Produktionen hier vor Ort zu haben. Gleichzeitig reduziert sich der Instandsetzungsaufwand. Da wir viele Produkte einfliegen lassen und der CO2-Fußabdruck entsprechend groß ist, überzeugt die lokale Produktion nicht zuletzt aus Umweltgründen.

Wirtschaftsforum: Sie sind seit zehn Jahren bei MISUMI und seit vier Jahren Geschäftsführer bei MISUMI Europa. Hat sich ihre Rolle in dieser Zeit verändert?

Stephan Stammberger: Neben den operativen Tätigkeiten sehe ich meine Aufgabe vor allem darin, eine neue Unternehmenskultur zu etablieren. Gemeinsam mit der japanischen Konzernzentrale beschäftigen wir uns mit der Frage, wie sich eine neue Arbeitskultur mit Aspekten wie hybridem Arbeiten, Work-Life-Balance, 4-Tage-Woche und Fachkräftemangel entwickeln wird. Es gibt den Ruf nach Freiheit und Flexibilität; diese müssen aber mit Verantwortung und Eigeninitiative einhergehen. Schließlich muss am Ende jemand die Arbeit machen, damit wir als Land und Gesellschaft wettbewerbsfähig bleiben. Klar ist, dass eine neue Unternehmenskultur mit all ihren verschiedenen Facetten nicht von einem auf den anderen Tag etabliert und gelebt werden kann; dazu braucht es Zeit.

Wirtschaftsforum: Die Unternehmenskultur hat einen hohen Stellenwert. Wie lässt sie sich definieren?

Stephan Stammberger: Die Unternehmenskultur beinhaltet eine gewisse Wertetransformation. Für MISUMI geht es um Diversität, Eigenverantwortung, Vertrauen, positive Fehlerkultur und soziales Miteinander; das soziale Miteinander ist trotz hybriden Arbeitens und Digitalisierung der Kern eines gesunden Unternehmens. Wir haben in Europa knapp 300 Mitarbeiter, aber 40 Nationalitäten, die zusammengebracht werden müssen. Das ist spannend und abwechslungsreich, aber auch herausfordernd. Das gilt auch für den Umgang mit der Automatisierung. Man muss Mitarbeitern vermitteln, dass diese keine Bedrohung ist, sondern eine Chance der persönlichen Weiterentwicklung.

Wirtschaftsforum: MISUMI führt 20 Millionen verschiedene Komponenten für den indirekten Produktionsgüterbereich und für die Automatisierungsindustrie. Wie schätzen Sie die künftige Entwicklung des Portfolios ein?

Stephan Stammberger: Produkte werden eine smarte Komponente bekommen, Stichwort Predictive Maintenance. Mithilfe von Daten werden Konstrukteure künftig Prototypen vollständig digital aufbauen und schneller, besser und genauer konstruieren können. Für uns wird das Kernthema Prozesskosten weiter im Fokus stehen. Gemäß der Kaizen-Methode versuchen wir immer besser zu werden; wir helfen Kunden, Zeit zu sparen gemäß unserem Motto ‘your time, our priority’.

Wirtschaftsforum: Gibt es für Sie die eine beste Entscheidung, seit Sie für MISUMI tätig sind?

Stephan Stammberger: Schon vor zehn Jahren haben wir uns stark auf den Bereich E-Commerce und Prozesskosten rund um den Konstruktions- und Beschaffungsprozess konzentriert und das Thema E-Procurement vorangetrieben. So konnten wir das ohnehin gute Geschäftsmodell auf ein neues Level bringen. Es war ein schwerer Prozess, der großes Durchhaltevermögen erforderte, sich aber auszahlte.

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