„FC St. Pauli ist mehr als Fußball“

Interview mit Bernd von Geldern, Geschäftsleiter für den Bereich Vertrieb der FC St. Pauli Merchandising GmbH & Co. KG

Wirtschaftsforum: Herr von Geldern, Andreas Rettig sprach mit uns zuletzt über die Strahlkraft des FC St. Pauli. Für ihn liegt sie darin begründet, dass die Entwicklung des Vereins nicht am Marketing-Reißbrett geplant sei. Stimmen Sie dem zu?

Bernd von Geldern: Ja, dem stimme ich absolut zu. Bei uns gibt es einen Do-it-yourself-Ansatz. Vieles wird aus der Anhängerschaft an den Verein herangetragen und vom Verein dann zum Teil weiterentwickelt. Wir stellen außerdem oftmals die Ressourcen und Infrastrukturen zur Verfügung, damit sich diese Dinge entwickeln können. Wir haben mit der Kiezküche momentan ein sehr schönes Beispiel für den Do-it-yourself-Ansatz. Die Idee wurde von einem langjährigen Fan an uns herangetragen. Dieser Fan hat zuvor bereits Kochbücher unter dem Namen `Kiezküche´ herausgebracht, die unter anderem bei uns verkauft wurden. An dieser Idee beteiligen wir uns nun, geben den Totenkopf dazu und nennen es `Kiezküche by St. Pauli´. Wir haben außerdem Produkte dafür entwickelt und versuchen, das Projekt voranzubringen.

Wirtschaftsforum: Lassen Sie uns über Markenwerte sprechen, die beim FC St. Pauli außergewöhnlich hoch sind. Welchen Anteil hat daran das Merchandise?

Bernd von Geldern: Das Merchandise ist über viele Jahre quasi das Marketing des FC St. Pauli gewesen – insbesondere in den sportlich dunkleren Jahren 2002 bis 2005, in denen der Verein in der dritten Liga gespielt hat. In der Zeit war das Merchandise das, was man nach außen gezeigt hat und das, was man von außen sehen konnte. Es ist sicherlich gut gewesen, in dieser Zeit ins Merchandising zu investieren, weil die Nachfrage – auch nach dem Totenkopf – so hoch war. Wir haben einen zweiten Fanclub dazugewonnen und Marketing betrieben, das dann zum Großteil auch refinanziert war.

Wirtschaftsforum: Der FC St. Pauli steht für eine Kultur des Miteinander, die über den Fußball hinausgeht. Welche Werte würden Sie als prägend dafür beschreiben?

Bernd von Geldern: Prägend ist, dass wir gegen Rassismus, Faschismus und Diskriminierung agieren. Wir haben gerade ein T-Shirt entwickelt, auf dem ´No place for homophobia, fascism, sexism, racism` steht. Das trifft das Ganze im Kern. Unsere Haltung ist ganz klar antifaschistisch. Im vergangenen Jahr haben wir außerdem ein Duschgel herausgebracht, das wir `ANTI-FA´ genannt haben. Die Rechten sind Sturm dagegen gelaufen. Das ist uns ein besonderes Vergnügen, wenn wir solche Statements setzen und unsere Haltung klarmachen können.

Wir haben die Gewissheit, dass wir mit unseren Anhängern hier eine Gemeinschaft abbilden, in der diese Werte unumstößlich geteilt werden. Man kann den Kosmos St. Pauli nicht 100%ig erklären, aber was man erklären kann, ist eine gemeinsame Haltung in diesen Fragen. Derzeit findet bei uns eine große Ausstellung mit dem Namen `Kiezbeben´ statt. Sie zeigt, wie der Umbruch in den 1980er-Jahren hin zu dieser Kultur des Miteinanders stattgefunden hat.

Wirtschaftsforum: Inwiefern waren die Fans an der Entwicklung beteiligt?

Bernd von Geldern: Sie haben den Wandel von Anfang an begleitet. Sie waren es auch, die die Totenkopfflagge als politisches und als Haltungssymbol mit ins Stadion gebracht haben. Damit einher ging außerdem, dass wir als erster Verein eine Stadionordnung hatten, in der darauf hingewiesen wurde, dass weder der Gegner noch sonst jemand aus sexuellen, religiösen oder ethnischen Gründen herabgewürdigt werden darf. Das war der sehr politischen Bewegung Anfang der 1980er-Jahre geschuldet. Seitdem ist der Verein das, was er heute ist.

Wirtschaftsforum: Kommen wir zu Kleidung und Design. Würden Sie sagen, dass es eine eigene FC St. Pauli-Mode gibt, die über den Kult-Totenkopf hinausgeht?

Bernd von Geldern: Ich würde es so formulieren: Der FC St. Pauli geht über den Fußball hinaus. Der Bereich, in dem wir uns befinden, heißt Lifestyle, Haltung zeigen, Mode. Wir beobachten beispielsweise an unseren Standorten an verschiedenen Flughäfen oder an der Reeperbahn, dass uns sehr viele Touristen unabhängig vom Fußball als Marke wahrnehmen, mit der man auch beispielsweise auf einer Grillparty in München etwas aussagen kann. In dieser Rolle, die im deutschen Fußball einmalig sein dürfte, fühlen wir uns sehr wohl.

Wirtschaftsforum: Zum Abschluss bitte Ihre Meinung: Für wie stark halten Sie die deutschen Profifußball-Ligen in sportlicher Hinsicht im internationalen Vergleich?

Bernd von Geldern: Das fragen Sie mich als Zweitliga-Vertreter [lacht]. Ich bin in der Kommission Internationalisierung bei der DFL. Wir haben dort das Gefühl, dass die Bundesliga als Ganzes und die Bundesliga als Solidargemeinschaft in ihrer zentralen Vermarktung ein sportlich hervorragendes, stark gefragtes und gut zu vermarktendes Produkt ist. Ja, wir haben keinen Messi und keinen Ronaldo bei uns in der Bundesliga. Das ist so und aufgrund der gesamten Geld-Situation ist das vielleicht etwas, womit man hadern, was man aber nicht ändern kann. Das ist nicht nur für uns als Zweitligisten schwer. Auch für Bayern München wäre es schwer, Christiano Ronaldo zu verpflichten. Da müssen wir uns nichts vormachen. Aber die Bundesliga ist ein dichter Wettkampf, sportlich spannend mit einer guten Relegation – und nach wie vor ein prima Produkt.

Wirtschaftsforum: Sie schauen also auch selbst noch immer gerne die Bundesliga?

Bernd von Geldern: Ja, beruflich und auch privat schaue ich nach wie vor sehr gerne Fußball. Obwohl sich das Fußballschauen natürlich geändert hat, seitdem ich Geschäftsleiter des FC St. Pauli bin. Früher hat man sich gemütlich mit Freunden getroffen, heute denkt man dabei viel mehr nach. Das ist aber ganz normal. Wenn der Verein am letzten Spieltag einer Saison bei einem eigentlich völlig unbedeutenden Spiel verliert und dabei drei Plätze auf der Tabelle herunterpurzelt, bedeutet das einen Millionenausfall. Somit denkt man über die Spiele, wenn man in der Verantwortung steht, einfach anders nach.

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