Ökologisch und sozial nachhaltig bauen
Interview mit Anja Knoll, Geschäftsführerin der Tinglev Elementfabrik GmbH

Wirtschaftsforum: Frau Knoll, mit seinen Blähtonwänden will Tinglev für nicht weniger als die Zukunft des Rohbaus stehen – was genau verbirgt sich hinter dieser Technologie?
Anja Knoll: Unsere Leichtbetonwände lassen sich nicht nur deutlich ressourcenschonender herstellen als etwa Objekte aus Stahlbeton, da wir mit deutlich kürzeren Trocknungszeiten und einem wesentlich geringeren Materialeinsatz arbeiten, sondern sie erleichtern aufgrund ihres hohen Vorfertigungsgrades später auch die Montage auf der Baustelle. Unsere Technologie kann sowohl für das klassische Einfamilienhaus als auch für Hochhäuser eingesetzt werden und benötigt dabei nur einen Bruchteil der Bewehrungen im Vergleich zu anderen Verfahrensweisen. Darüber hinaus kommt unsere Bauweise ohne Putze aus, sodass neben einer sehr schlanken Erfüllung der bauphysikalischen Anforderungen auch ein klarer Zugewinn an Wohnfläche steht. Die einzelnen vorgefertigten Elemente können dabei völlig individuell nach den konkret erforderlichen Abmessungen für das jeweilige Grundstück produziert werden und werden malerfertig an die Baustelle geliefert, wo nach der Montage im Wesentlichen nur noch Spachtel- und Streicharbeiten durchzuführen sind.
Wirtschaftsforum: Welche Vorteile ergeben sich aus diesem hohen Vorfertigungsgrad?
Anja Knoll: Grundsätzlich entsteht so für uns die Möglichkeit, gewerkeübergreifend zu arbeiten und das jeweilige Gebäude konsequent vom Ende her zu denken: Wir können sämtliche gewünschten Raumhöhen und Zuschnitte realisieren und so auch fehleranfällige Stellen wie Abdichtungen optimieren und standardisieren, um schließlich eine verlässliche Dauerhaftigkeit des Bauwerks zu gewährleisten. Hinzu kommen die wesentlich besseren und attraktiveren Arbeitsbedingungen für die eingesetzten Mitarbeiter, die sich an den Montageplätzen auf der Baustelle über deutlich stringentere und körperlich weniger anstrengende Verfahren sowie schnellere Abläufe freuen können, während im Werk ohnehin kontrollierte Umgebungsbedingungen herrschen.
Wirtschaftsforum: Wie offen nimmt der Markt Ihre Innovationen auf – schließlich bestehen insbesondere in Deutschland weiterhin Vorurteile gegenüber dem sogenannten ‘Fertighaus’?
Anja Knoll: An dieser Stelle besteht in der Tat ein gewisses Problem mit den gängigen Begrifflichkeiten: Sprechen wir vom ‘vorgefertigten Bauen’, kann damit sowohl ‘elementiertes Bauen’ gemeint sein, wie Tinglev dies mit individuellen Planungen ohne Einschränkungen der Gebäudegestaltung praktiziert, als auch ‘serielles Bauen’, wo in standardisierter Weise immer wieder dasselbe Objekt entsteht. Gegenüber letztgenannter Variante bestehen im Markt durchaus gewisse Vorbehalte – denn viele Menschen setzen das Wort ‘seriell’ mit der Serienproduktion aus der Automobilindustrie gleich, wobei sie an ihrem millionenfach seriengefertigten Auto sehr viel Freude haben, bei einem Gebäude jedoch auf ein Unikat bestehen. Schnell besteht dann die Befürchtung, beim vorgefertigten Bauen stünde am Ende ausnahmslos ein billiges Objekt aus der Retorte. Doch gerade das ist bei Tinglev eben überhaupt nicht der Fall – im Gegenteil: Wir standardisieren allein die nicht sichtbaren baulichen Aspekte, um die Verfahrensprozesse für alle Beteiligten radikal zu vereinfachen, während der individuellen Gebäudegestaltung aufgrund der breiten Anwendungsmöglichkeiten von Blähton kaum nennenswerte Grenzen gesetzt sind.
Wirtschaftsforum: Wie blicken Sie vor diesem Hintergrund auf die Zukunft der Baubranche?
Anja Knoll: Die Baubranche ist in Deutschland seit jeher sehr traditionell geprägt, und in den 1990er-Jahren haben wir das vorgefertigte Bauen bisweilen etwas verlernt, nachdem man damit wohlgemerkt in den Jahrzehnten zuvor in Ost- wie in Westdeutschland große Erfolge gefeiert hatte. Doch ein lange anhaltender Fachkräfteüberschuss, wie man ihn sich heute in unserer Branche eigentlich gar nicht mehr vorstellen kann, sowie eine schier unbegrenzte Verfügbarkeit von Baustoffen, Energie und Kapital führten dazu, dass die als traditionell geltenden Bauweisen, etwa das klassische Mauerwerk, lange sehr hoch im Kurs standen. Ich glaube, dass man sich in unserer Branche in Deutschland bisweilen sehr schwertut, von diesen bewährten Pfaden abzuweichen, auch wenn es dafür gute Gründe gibt.
Wirtschaftsforum: Welche Gründe sind das?
Anja Knoll: Wir sind in einer Zeit der Endlichkeiten angekommen – nicht nur der materiellen, sondern auch der personellen Ressourcen. Wir merken oft, dass die Poliere und Bauhandwerker eigentlich mit keinem anderen System als unserem mehr arbeiten wollen, sobald ihre möglicherweise bestehenden anfänglichen Vorbehalte verflogen sind, weil wir ihre Tätigkeit systematisch erleichtern. In diesem Kontext sehen wir uns nicht nur der ökologischen, sondern auch der sozialen Nachhaltigkeit verpflichtet. Denn nur wenn wir nachhaltig mit den Menschen umgehen, gehen diese wiederum sorgsam mit unseren materiellen und finanziellen Ressourcen um!