„Umwelt und Soziales war für mich immer untrennbar!“
Interview mit Kirsten Weihe-Keidel, Geschäftsführerin der Sense Organics Import & Trading GmbH
Wirtschaftsforum: Mit Sense Organics produzieren Sie seit 1996 nachhaltige Textilien, vor allem im Baby- und Kindersegment. Wie viel Mut war damals erforderlich, um mit diesem Unternehmenskonzept an den Start zu gehen?
Kirsten Weihe-Keidel: Das war offen gestanden schon schwierig – vor allem bei Gesprächen mit den Banken. Die dachten zuerst, da kommt jetzt so ein Alt-Hippie. Uns hat damals jedoch in die Hände gespielt, dass es zu dieser Zeit noch recht wenig modische Designs in diesem Bereich gab. Wir haben dann von Anfang an mit jungen Designern zusammengearbeitet. Viele von ihnen stammten aus England oder Frankreich; das waren sehr talentierte Leute, die oft frisch von der Grafikdesignschule in London kamen und zusammen mit uns ihre Ideen verwirklichen konnten. Die größeren Herausforderungen bestanden eher darin, die Beschaffungs- und Produktionsprozesse auf eine professionelle Ebene zu heben. Das ist uns dann auch sehr gut gelungen – und der Wandel, den wir in den letzten knapp 30 Jahren gerade auch im öffentlichen Diskurs beim Thema Nachhaltigkeit erlebt haben, war natürlich enorm. Heute sind wir mit unserem Konzept jedenfalls total angesagt – sozial wie ökologisch. Denn beide Aspekte waren für mich schon immer untrennbar miteinander verbunden. Schließlich kann man doch nicht umweltfreundlich arbeiten und den Menschen in der Wertschöpfungskette dann nicht einmal Mindestlöhne bezahlen.
Wirtschaftsforum: Befinden wir uns heute in der Erntezeit nachhaltiger Mode?
Kirsten Weihe-Keidel: Da muss man aus meiner Sicht stärker differenzieren. Wir arbeiten bei Sense Organics beispielsweise seit Ewigkeiten nur im zertifizierten Rahmen. Früher gab es da noch einen globalen Wildwuchs an Zertifizierungen, die in den einzelnen Märkten ziemlich unterschiedlich ausgestaltet waren. Mittlerweile ist das deutlich einheitlicher strukturiert durch internationale Zertifizierungen wie SA8000 (social accountability international). Das ist auch für den sozialen Standard in der Produktion von Fair Trade anerkannt. Somit hätte man dies auch im Lieferkettengesetz anerkennen können. Damit können sich die Kunden dann auch selbst ein Bild davon machen, welche Anbieter wirklich die hohen Anforderungen erfüllen, die sie zu Recht an ihre Mode stellen, und welche eben nicht. Manche Marken nennen sich hingegen einfach nur grün, ohne entsprechende Zertifizierungen von externen Stellen vorzuweisen – damit driftet man dann jedoch leicht in die unliebsame Greenwashing-Ecke ab.
Wirtschaftsforum: Das Lieferkettensorgfaltsgesetz soll inzwischen dafür sorgen, dass sich alle an die Spielregeln halten. Haben Sie diese Novelle begrüßt?
Kirsten Weihe-Keidel: Nicht unbedingt. Wir erfüllen alles durch unsere Zertifizierungen schon seit geraumer Zeit. Aber in überbürokratisierten Strukturen und den damit einhergehenden Mengen an Dokumentationsanforderungen ist das Lieferkettensorgfaltsgesetz auf die Ressourcen und Geschäftsfelder von Großunternehmen zugeschnitten. Kleinere Marktteilnehmer müssen die Erfüllung dieser Anforderungen aber genauso kleinteilig erfassen, was im Ergebnis unnötig Arbeitszeit bindet. Eine sinnvolle Lösung hätte beispielsweise darin bestehen können, einfach die hochwertigen Standards im GEO und Social Accountability als Compliance-Nachweis anzuerkennen – denn diese werden von den entsprechenden Institutionen ja nicht leichtfertig vergeben. Noch dazu wird von den Zertifizierungsstellen jedes Jahr unsere gesamte Lieferkette in Augenschein genommen, vom Anbau über Manufaktur und Logistik bis hin zu unserem Lager. Auch hier hätte man zum Beispiel für unseren Bereich Zertifizierungen anerkennen können. ZB GOTS , GRS , RWS – alles internationale Standards, die wir in der Nachhaltigkeit haben. Wir tun also schon lange alles, was nun eben auch das Gesetz von uns verlangt – nur müssen wir es leider nun auch umständlich ein weiteres Mal auf überbürokratischem Wege erfassen.
Wirtschaftsforum: Sie wünschen sich mehr Flexibilität?
Kirsten Weihe-Keidel: Und weniger Bürokratie und somit schlankere Prozesse basierend auf bestehenden sozialen, nachhaltigen Zertifizierungen – so wie wir es im Mittelstand ja auch Tag für Tag leben.
Wirtschaftsforum: Obwohl das Thema Nachhaltigkeit in die Mitte des gesellschaftlichen Diskurses gerückt ist, bleibt Fast Fashion ein wirtschaftliches Erfolgsmodell. Wie ließe sich das beenden?
Kirsten Weihe-Keidel: Ich glaube, das ist eine utopische Vorstellung. Wir müssen uns ja auch bewusst sein, dass in Deutschland viele Menschen leben, die auf Grundsicherung und Mindestlohn angewiesen sind, und auch die Renten werden eher schmaler als üppiger. Ich kann es keinem Menschen verübeln, der sich etwas Schönes leisten möchte. Aber aus meiner Sicht ist der Trade-off aus Menge und Qualität verrutscht. Früher waren viele Verbraucher noch eher bereit, lieber ein oder zwei Teile weniger zu kaufen, aber dafür auf Qualität und detailliertes Design zu setzen, was langlebiger und nicht gleich wieder out of fashion ist. Und damit einhergehend gesünder für Mensch und Umwelt. Da ist Bildung schon an den Schulen ein wichtiger Faktor, wieder mehr Bewusstsein dafür zu schaffen, dass weniger mehr sein kann.
Wirtschaftsforum: Mensch und Umwelt bleiben auch fast 30 Jahre nach der Gründung von Sense Organics Ihre zentrale Motivation?
Kirsten Weihe-Keidel: Das trifft auch auf alle anderen zu, die für Sense Organics arbeiten. Wenn wir morgen nicht mehr sozial und nachaltig produzieren, würden die meisten Mitarbeiter kündigen. Wir bleiben eben Überzeugungstäter.