Die Zukunft der Gesundheitsversorgung
Interview mit Dr. Nils Hellrung, General Manager der vitagroup AG

Wirtschaftsforum: Herr Dr. Hellrung, was sind die besonderen Herausforderungen, die sich bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen stellen?
Dr. Nils Hellrung: Das primäre Geschäftsmodell im IT-Bereich im Gesundheitswesen ist heute immer noch, dass die Anwender und Nutzer von Systemen gar keine Möglichkeit haben auf andere Systeme zu wechseln, da die Abhängigkeit von den Herstellern so groß ist. Die etablierten Systeme, die heute im Markt sind, wurden in der Regel gar nicht für die Versorgung geschaffen, sondern vor allem für die Abrechnung. Das führt dazu, dass selbst wenn sich Leistungserbringerstrukturen verändern und vielleicht neue Wege gehen wollen, sie das in der Regel nicht schaffen, weil Wechselkosten oder die Kosten zur Schaffung von Schnittstellen zu diesen Systemen so extrem hoch sind. Der Ansatz der vitagroup ist es immer gewesen, sich als Partner für diese etablierten Strukturen zu begreifen, also als Enabler zu zeigen, wie diese Strukturen in das digitale Zeitalter überführt werden können. Auch das Gesundheitswesen ist nicht vor Disruptionen geschützt. Momentan habe ich eher den Eindruck, dass diese Strukturen zu langsam sind, um sich dort anzupassen und dass stattdessen große telemedizinische Plattform-anbieter à la Amazon Care in den Markt drängen werden.
Wirtschaftsforum: Was haben Sie als vitagroup hier für eine Strategie?
Dr. Nils Hellrung: Wir wollen unsere Kunden und Partner in die Lage versetzen, erst einmal beweglich und innovationsfähig zu werden im Feld der Digitalisierung. Dabei ist unser zentrales Produkt unsere sogenannte Health Intelligence-Plattform. Sie ist ein wirklich vernetztes Ökosystem aus den besten digitalen Lösungen, die gut ineinandergreifen und dafür sorgen, dass dieses Versprechen, dass mehr Daten und mehr Digitalisierung auch wirklich zu einer Verbesserung der Versorgung führen, endlich eingelöst werden kann.
Wirtschaftsforum: Wie funktioniert das konkret?
Dr. Nils Hellrung: Als ersten Schritt befreien wir die Daten unserer Kunden und Partner, das heißt wir bauen mit der Health Intelligence-Plattform ein Ökosystem auf, wo wir die Daten auf eine Art und Weise speichern, dass sie ausschließlich auf internationalen Standards basieren. Das führt dazu, dass der Kunde sich unterschiedliche Lösungen anschauen und entscheiden kann, welches System seinem Prozess am besten nützt und gleichzeitig auch sicherstellt, dass die Daten auch anderen Systemen zur Verfügung stehen. Im nächsten Schritt geht es darum, etwas aus den Daten machen zu können. Wir haben den Eindruck, dass heute immer noch vor allem die Ablösung von Papier-basierten Prozessen im Gesundheitswesen im Vordergrund steht. Aber im Zeitalter von künstlicher Intelligenz sollte man doch Systeme aufbauen, um intelligente Mehrwerte zu schaffen. Wir wollen durch Technologie dafür sorgen, dass die Abhängigkeit von der Verfügbarkeit medizinischer und fachpflegerischer Kompetenz in Raum und Zeit immer geringer wird. Mit der Telemedizin kann ich das Ganze virtualisieren und das ist unser drittes Standbein. Wir haben bereits jede Menge Erfahrung und großartige Produkte, die unsere Kunden in die Lage versetzen, medizinische Dienstleistungen wirklich über die Entfernung hinweg anzubieten.
Wirtschaftsforum: Sie sind seit über 20 Jahren Pionier in der Branche. Was zeichnet die vitagroup aus?
Dr. Nils Hellrung: Wir sind ein zuverlässiger Innovator. Das bedeutet, wir sind auf der einen Seite kein Dino, der seit 30 Jahren das Gleiche macht und versucht, sich als innovativ darzustellen. Auf der anderen Seite sind wir weit davon weg, ein Start-up zu sein. Aufgrund unserer Größe und relativ besonderen Investoren- und Eigentümerstruktur haben wir die Fähigkeit, große, komplexe und bundesweite Projekte und Lösungen umzusetzen, auch mit komplizierten Stakeholderstrukturen. Wir sind beweglich und nicht festgefahren, sondern können die Dynamik des Marktes beobachten und darauf reagieren. Gleichzeitig schaffen wir es, diese regulatorischen Anforderungen umzusetzen. Außerdem ist unsere Plattform sehr vielseitig. Sie kann als Plattform eingesetzt werden, aber auch als eine konkrete Lösung für ein ganz konkretes Versorgungssystem. Auf diese Weise können wir mit unserem Ökosystem schnell Mehrwerte bieten.
Wirtschaftsforum: Was ist Ihre Vision für die Zukunft in der Gesundheitsversorgung?
Dr. Nils Hellrung: Meine Vision ist, dass man die Versorgungsbausteine, die es bereits gibt, aus ihren starren Abläufen herauslöst und stattdessen wie in einer Prozesskette entlang des Bedarfs des Patienten individuell zusammenstecken kann. Wir versuchen unsere Kunden und Partner in solch eine Lage zu versetzen. Dabei ist es egal, ob die medizinische Leistung vom Krankenhaus selber erbracht wird oder ob es jemand anderen dafür nutzt. Die ersten Schritte unternehmen wir in verschiedenen Projekten mit verschiedenen Konstellationen, also zum Beispiel mit Krankenhäusern, Versicherungen oder Leistungserbringern. Damit soll sich die Gesundheitsversorgung in Zukunft am Bedarf des Patienten orientieren.