Erneuerbare Energie intelligent verschwenden, anstatt blöd zu sparen

Interview mit Prof. Timo Leukefeld, Energieexperte, Autarkiesucher und Denkwandler

Wirtschaftsforum: Herr Leukefeld, alle Welt redet vom Energiesparen, Sie dagegen vom Verschwenden derselben. Was genau hat es damit auf sich?

Timo Leukefeld: So, wie es heute läuft, nervt es die Menschen! Sie sollen Energie sparen und werden dafür in vielen Lebensbereichen gegängelt: Wir sollen die Fenster geschlossen halten, die Temperatur herunterregeln, das Licht ausschalten und vieles mehr. Das ist Gängelei, von der ich nichts halte. Es ist wider die Natur des Menschen! Die Natur ist üppig und Menschen wollen verschwenderisch leben. Die Menschen sind dann auch nicht bereit zu investieren. Das sieht man ja an der Sanierungsquote und daran, dass im Neubau in der Regel nur die Mindestanforderungen an die Energieeinsparung erfüllt werden. Gleichzeitig können wir davon ausgehen, dass Energie reichlich vorhanden ist: fossile Energie und die erneuerbaren Energien sowieso. Aber ob wir uns für den einen oder den anderen Weg entscheiden, das entscheidet über unser weiteres Leben auf der Erde dramatisch. Stichwort Klimawandel!

Timo Leukefeld
„Wir sollen die Fenster geschlossen halten, die Temperatur herunterregeln, das Licht ausschalten und vieles mehr. Das ist Gängelei, von der ich nichts halte.“ Timo Leukefeld

Deshalb berufen wir uns auf den Standpunkt der Null-Grenzkosten-Gesellschaft. Die von dem Wirtschaftsprofessor Jeremy Rifkin entwickelte Theorie besagt, dass technologische Umwälzungen dazu führen werden, die Grenzkosten vieler Produktionsprozesse auf nahezu Null zu reduzieren. Grenzkosten sind die Kosten, die für jede zusätzlich produzierte Einheit eines Gutes anfallen. Wenn die Grenzkosten gleich Null sind, kann kostenlos produziert werden, sobald die Fixkosten gedeckt sind. Auf die Energiewirtschaft übertragen, heißt das: Während die fossilen Rohstoffe aufgrund ihrer Endlichkeit immer teurer werden, wird Solarenergie immer günstiger.

Ich gehe davon aus, dass Solarstrom aus einer neuen Photovoltaikanlage auf einem Einfamilienhaus in Deutschland im Jahr 2020 nur noch 1 bis 2 Cent je Kilowattstunde kosten wird. Langfristig gesehen wird Energie aus regenerativen Energieträgern kostenlos sein. Deshalb drehen wir die Gängelei in etwas Positives um und plädieren dafür, erneuerbare Energie intelligent zu verschwenden, anstatt blöd zu sparen. Solarenergie für Wärme, Strom und Elektromobilität soll nach Belieben und reichlich genutzt werden: Dann können die Menschen wieder die Heizung aufdrehen, das Licht anlassen und mit gutem Gewissen viele Tausend Kilometer mit ihrem Elektroauto fahren. Das zieht an und verführt zum Energiesparen, die Investitionen in klimaschonende Haustechnik auf Basis von Solarenergie kommen in Schwung.

Wirtschaftsforum: Sie haben Ihr Eigenheim zuletzt in ein Forschungsprojekt für energieautarkes Wohnen verwandelt. Wie empfanden Sie Ihr Leben als „Versuchskaninchen“?

Timo Leukefeld: Zunächst einmal: Wir haben uns in unserem energieautarken Haus immer wohlgefühlt und tun es auch heute noch. Das Haus wurde auch nicht als Forschungsprojekt gebaut, sondern als Standardprodukt, das so zu einem erschwinglichen Preis von der Stange gekauft werden kann. Weil es aber ein bis dato unbekanntes Energiekonzept war, wollten wir nachweisen, dass die Zahlen für die Energiebilanz, die wir vorab errechnet haben, eintreffen. Deshalb wurden 190 Sensoren eingebaut, die von der TU Bergakademie Freiberg kontinuierlich erfasst und ausgewertet wurden. Mit dem Ergebnis, dass wir es heute schwarz auf weiß haben. Die Messungen stimmen fast exakt mit den simulierten Daten überein. Das beweist: Energieautarkes Wohnen in einem bezahlbaren Haus ist dank Solarenergie für Wärme, Strom und Elektromobilität und den entsprechenden Langzeitspeichern möglich.

„Energieautarkes Wohnen in einem bezahlbaren Haus ist dank Solarenergie für Wärme, Strom und Elektromobilität und den entsprechenden Langzeitspeichern möglich.“ Timo Leukefeld
Timo Leukefeld

Außerdem: Das Wort „Versuchskaninchen“ bezieht sich ja nur auf die Daten. Wenn man ein Haus so detailliert vermisst, kann man keinen Mieter reinsetzen. Als Forscher muss man selbst darin leben. Ich habe meine Familie aber auch nie instruiert, wie sie sich zu verhalten hat. Alle waren erstaunt, wie normal man so leben kann. Die Sensoren stören nicht, und Photovoltaik und Solarthermie sind seit Jahrzehnten bewährte Technologien.

Das können übrigens auch unsere vielen Gäste bestätigen: Schulklassen, Bundesminister, Delegationen aus China und der Mongolei und viele viele andere: In solch einem Haus ist man selten allein. [lacht]

Wirtschaftsforum: Sie machen sich für die Nutzung der Sonnenenergie stark. Die Lust auf Photovoltaik und ähnliche Technologien ist aber seit Jahren, gerade an der Wirtschaft, in Deutschland eher gering. Funktioniert Ökologie nur dann, wenn es sich ökonomisch lohnt?

Timo Leukefeld: Ja! Das muss man für unser Wirtschaftssystem wohl leider so konstatieren. Kleine mittelständische Familienunternehmen rechnen noch mit einer Amortisationszeit von zehn bis 15 Jahren. Aber große Unternehmen legen eine Amortisationszeit von drei Monaten zugrunde. Im Moment ist fossile Energie noch billig, Solarstrom und Solarwärme sind teurer als der Einkaufspreis für fossile Energie. Die Frage ist: Wann amortisiert sich eine Solaranlage im Vergleich zum üblichen Energiebezug? Das schreckt Investitionen ab.

Deshalb müssen wir hin zu neuen Geschäftsmodellen, die das Nutzen von Solarenergie begehrenswert machen. Unser Geschäftsmodell sieht so aus: Wir verkaufen nicht ein Haus mit einer Solaranlage, sondern wir verkaufen Pauschalmiete mit Energie-Flatrate. Der Mieter bekommt eine feste Mietzusage für zehn Jahre. In der Miete sind Wohnen, Wärme, Strom und zukünftig auch Elektromobilität gleich enthalten. Für das Rundum-Sorglos-Paket – Stichwort Bequemlichkeit – sind Mieter auch bereit, mehr zu zahlen. Das wiederum führt zu kürzeren Amortisationszeiten. Anders gesagt: Ich verkaufe eine Dienstleistung und nicht nur ein Produkt. Wenn uns das gelingt, können wir die Solarenergie pushen und voranbringen. Wenn uns das nicht gelingt, wird Deutschland ein Technikmuseum.

Timo Leukefeld
„Ich verkaufe eine Dienstleistung [Pauschalmiete mit Energie-Flatrate] und nicht nur ein Produkt. Wenn uns das gelingt, können wir die Solarenergie pushen und voranbringen. Wenn uns das nicht gelingt, wird Deutschland ein Technikmuseum.“ Timo Leukefeld

Wirtschaftsforum: Die Energiewende erscheint wie ein riesiger Dampfer, dem partout nicht der Kurswechsel gelingen will. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Timo Leukefeld: Da ist viel Lobbyarbeit im Spiel! Wenn man bedenkt: Nur ein Viertel des Energieverbrauchs in Deutschland entfällt auf Strom, drei Viertel auf Wärme und Mobilität. Unsere Energiewende ist aber eine Stromwende mit ganz klarem Fokus auf Elektrizität. Das ist verständlich, wenn man sich ansieht, warum Strom so eine starke Lobby hat. Dafür gibt es drei Gründe. Erstens: In der Strom erzeugenden Industrie sind viele börsennotierte Konzerne tätig – ganz anders als in der Wärme-Branche. Zweitens: Die Internetkonzerne üben ihren Einfluss aus. Sie wollen Strom als komplettes Produkt verkaufen. Das wird mehr und mehr digital laufen und von den Energieversorgern in die Hände der Internetkonzerne übergehen. Und drittens ist es eine Frage der Steuer: Auf Strom basierende Energiesysteme bringen dem Staat viel mehr Energiesteuern als solche mit Gas. Bei Erdgas beträgt die Energiesteuer aktuell 0,55 ct, bei Strom liegt sie bei 2,05 ct/kWh – also beim Vierfachen!

Die Bündelung dieser Motive hat zu einem dramatischen Ungleichgewicht geführt. Die Fokussierung auf Strom, auch für die Wärmeversorgung, wird drastische Folgen für die Verbraucher haben. Im Winter, wenn es durch zu wenig Solareinstrahlung und Windflaute zu wenig Solar- und Windstrom im Netz gibt, wird der Strompreis deutlich steigen. Die Kosten, auch für das Anfahren von Reservekraftwerken, wird auf die Verbraucher umgelegt. Die wiederum müssen den Strom abnehmen, weil sie ihn zum Heizen mit der Wärmepumpe und für ihr Elektroauto brauchen. Sie haben keine Alternative zum Ausweichen. Das Auseinanderklaffen von Solarstromerzeugung im Sommer und Wärmebedarf im Winter, der dann nicht regenerativ gedeckt werden kann, bezeichne ich als „saisonale Illusion“. Die Strompreise werden in diesen Winterwochen brutal für die Verbraucher.

„Die Fokussierung auf Strom, auch für die Wärmeversorgung, wird drastische Folgen für die Verbraucher haben.“ Timo Leukefeld
Timo Leukefeld

Wirtschaftsforum: Die Bundesregierung bezeichnet Sie als Energiebotschafter. Wenn Sie die Möglichkeit hätten: In welcher Stadt würden Sie gerne den Sitz Ihrer Botschaft eröffnen und warum?

Timo Leukefeld: Ganz klar: in Dresden. Die Botschaft säße im Zentrum der alten Energiewelt, in einem Kohleland. Das wäre ein starkes Signal, die Weichen anders zu stellen. Gleichzeitig wäre sie nah an Freiberg gelegen, wo ich meine beiden energieautarken Häuser vorführen könnte. Die größte Begeisterung habe ich immer nach dem Besuch meiner Häuser erlebt. Die Besucher können die Technik sehen und anfassen. Sie hören, wo was schief gegangen ist, und sie bekommen den besten Solarkaffee der Welt. Sehen, schmecken, hören, fühlen, verstehen – das waren schon immer die besten Mittel zur Überzeugung. Aber… ich bräuchte auch Handlungshoheit – die Vollmacht, meine Empfehlungen in die Umsetzung zu bringen und zwar in die breite Masse.

Interview: Markus Büssecker, Fotos: Stefan Mays, Burkhard Peter, Detlef Müller

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