Aus Scherben Neues machen

Interview mit Bernhard Reiling, Geschäftsführer der Reiling GmbH & Co. KG

Wirtschaftsforum: Herr Reiling, wie kam es dazu, dass sich Ihr Unternehmen auf das Glasrecycling konzentrierte?

Bernhard Reiling: Wir sind ein klassisches Familienunternehmen, das zu Beginn des letzten Jahrhunderts mit dem Handel von Rohstoffen begonnen hat. Es war mein Vater, der das Potenzial von Altglas als Recyclingprodukt erkannte und 1957 die Firma Reiling Glas Recycling gründete. Damals war der Handel mit Altglas noch ungewöhnlich und wurde etwas stiefmütterlich behandelt. Inzwischen hat sich daraus eine ganze Industrie entwickelt, an der wir maßgeblich beteiligt sind.

Wirtschaftsforum: Was waren die wichtigsten Meilensteine in der Entwicklung Ihres Unternehmens?

Bernhard Reiling: In den 1970er-Jahren stellten wir die ersten Glasrecycling-Container in den Kommunen auf. Davor waren die meisten Glasbehälter pfandpflichtig. Mit der Einführung von Einwegglas waren wir die Ersten, die ein Sammelsystem einführten, um zu verhindern, dass dieses Glas auf der Mülldeponie landet. Dies wurde umso wichtiger, als in Deutschland in den 1990er-Jahren das Duale System ‘Der Grüne Punkt’ sowie die Verpackungsverordnung eingeführt wurden. Denn dadurch wurden die Hersteller zur Rücknahme und Verwertung ihrer Verpackungen verpflichtet.

Wirtschaftsforum: Glas wird nicht nur in der Lebensmittel- und Getränkeindustrie verwendet. Wie recyceln Sie andere Arten von Glas?

Bernhard Reiling: Hier waren wir auch Vorreiter und haben als Erste Verbundglas aufbereitet. Schon Mitte der 1980er-Jahre haben wir in eine moderne Aufbereitungsanlage für Flach-, Spiegel-, Auto-, Draht- und Bauverbundglas investiert. Heute haben wir beispielsweise Verträge mit Herstellern von Autoscheiben aus der Glasindustrie, die Audi mit fertigen Windschutzscheiben aus unserem recycelten Glas versorgen. Ein großes Thema für die Zukunft sind die Photovoltaik-Module. Bislang wurden in Deutschland mehr als vier Millionen Tonnen Photovoltaik-Module installiert und der größte Teil davon ist Glas. Die erste Generation der PV-Module wird jetzt ausgemustert. Wir verzeichnen in diesem Bereich jährlich exponentielle Mengensteigerungen. Allein in diesem Jahr haben wir über 5.000 t verarbeitet. Nächstes Jahr werden wir an unserem Standort in Münster eine neue Anlage nur für das PV-Recycling errichten.

Wirtschaftsforum: Wie viele Standorte haben Sie?

Bernhard Reiling: Wir sind an zwölf Standorten in Deutschland sowie an insgesamt sechs weiteren Standorten in Dänemark, Polen, Schweden und den Niederlanden vertreten. Insgesamt beschäftigen wir rund 690 Mitarbeiter. Unsere Standorte befinden sich alle in der Nähe von Glashütten. Sie verlassen sich darauf, dass wir eine kontinuierliche Versorgung mit recyceltem Glas gewährleisten. Altglas kann beliebig oft recycelt werden. Im Gegensatz zu der energie- und CO2-intensiven Herstellung von neuem Glas aus Primärrohstoffen können durch den Einsatz unserer recycelten Scherben pro 10% im Gemenge bis zu 3% bei Energie und 5% bei CO2 eingespart werden. Dadurch leisten wir einen erheblichen Beitrag zum Ressourcen- und Umweltschutz.

Wirtschaftsforum: Wie wichtig ist technologische Innovation?

Bernhard Reiling: Sehr wichtig. Wir haben nicht nur Trends frühzeitig erkannt, sondern auch in die neueste Technologie investiert. Deshalb sind wir heute technologisch führend in unserem Gebiet. Wir bieten der Glas herstellenden Industrie eine optimale Scherbenqualität dank dem Einsatz hochmoderner Aufbereitungsanlagen, die in der Lage sind, Störstoffe zu 99,9% auszufiltern. Diese haben wir gemeinsam mit den Anlagenbauern entwickelt. Um nur ein Beispiel zu nennen: Wir erhielten einen verzweifelten Anruf einer Frau, die versehentlich ihren Ehering in einem unserer Altglascontainer verloren hatte. Wir schickten einen Lkw los, um den Container zu leeren, ließen den Inhalt durch die Aufbereitungsanlage laufen und konnten ihr den Ring ohne Probleme zurückgeben.

Wirtschaftsforum: In welchen anderen Bereichen sind Sie aktiv?

Bernhard Reiling: Wir haben im Jahr 2000 mit dem Recycling von PET-Flaschen begonnen und sind heute einer der wichtigsten Partner für die Kunststoffindustrie. Wir sammeln und recyceln auch Altholz und liefern Hackschnitzel, zum Beispiel für die Herstellung von Spanplatten. Als Mittelständler ist es wichtig, dass wir uns auf unsere Kernkompetenz konzentrieren.

Wirtschaftsforum: Wie entwickelt sich der Markt zurzeit?

Bernhard Reiling: Für das kommende Jahr 2023 erwarten wir rückläufige Eingangsmengen aufgrund von Kaufkraftzurückhaltung im Konsum und am Bau. Unsere größte Herausforderung wird das Recycling von PV-Modulen in den zu erwartenden Mengen sein. Wir investieren zudem in neue Verwendungsmöglichkeiten für Altglas, das nicht in den Glaskreislauf zurückgeführt werden kann. Im vergangenen Jahr haben wir die Veriso Schaumglas GmbH übernommen, die sich auf die Herstellung eines nachhaltigen Dämmstoffs aus Altglas spezialisiert hat. Es stellt eine ökologische Alternative zu anderen erdölbasierten Dämmstoffen dar und hat vielfältige Einsatzmöglichkeiten in der Bauwirtschaft.

Wirtschaftsforum: Welche Zukunftspläne haben Sie?

Bernhard Reiling: Wir müssen uns permanent weiterentwickeln. Was heute als Fortschritt gilt, ist morgen Standard. Vor allem in Bezug auf Digitalisierung und Nachhaltigkeit haben wir große Pläne. Jeder Tag bringt eine neue Herausforderung mit sich, das macht meine Arbeit interessant.

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