Doch wie aussagekräftig sind Arbeits- und Zwischenzeugnisse, die laut der GewO wohlwollend formuliert und wahr sein müssen, wirklich? Eine Antwort darauf liefert eine Studie der Ernst-Abbe-Hochschule Jena (EAH Jena), für die Prof. Dr. Klaus Watzka und Steffi Grau aus dem Fachbereich Betriebswirtschaft (BWL) 200 Zeugnisaussteller und -auswerter aus Unternehmen aller Größen und Branchen befragt haben.
Das Ergebnis: „Die Anfertigung von Arbeitszeugnissen ist über weite Strecken zu einem relativ sinnfreien Ritual mutiert.“ Oftmals möchten viele Personen in einem Unternehmen fast zeitgleich ein Arbeits- oder Zwischenzeugnis anfordern und laut den Umfrageteilnehmern benötigt das Erstellen und Auswerten ebenjener Unterlagen viel Zeit. Dabei helfen die Dokumente bei einer Entscheidung zur Personalauswahl meist nur wenig.
Arbeitszeugnisse werden oft automatisiert erstellt
Dies liegt primär daran, dass, obwohl ein qualifiziertes Arbeitszeugnis detaillierte Informationen über die Leistung und Verhalten des Mitarbeiters enthalten soll, viele Unternehmen (41,7 %) automatische Hilfsmittel wie Zeugnisgeneratoren verwenden. Ein individuelles Arbeits- oder Zwischenzeugnis erstellen hingegen kaum Personalverantwortliche (7,3 %). Laut Alexander von Chrzanowski, Arbeitsrechtler bei Rödl & Partner, sind neben dem Zeitaufwand auch die Vorschriften der GewO für diesen Missstand verantwortlich.
„Das Arbeitszeugnis muss der Zeugniswahrheit entsprechen, gleichzeitig aber auch wohlwollend formuliert sein, sodass der berufliche Werdegang des Arbeitssuchenden nicht unnötig erschwert wird. Es ist für das Unternehmen sinnvoll, sich an ein bestimmtes Schema zu halten, da es mit wenig Aufwand verbunden ist und das Risiko minimiert, rechtlich belangt zu werden“, erklärt der Anwalt.
Aussagekraft von Arbeits- und Zwischenzeugnissen
Auch Vorgespräch mit dem Vorgesetzten vor der Erstellung des Zeugnisses finden nur in etwa einem Drittel der Unternehmen statt. „Die wichtigste Quelle für eine valide Einschätzung von Leistung und Verhalten wird also nur unzureichend genutzt“, so die Studienautoren der EAH Jena. Es wird somit deutlich, dass das Schreiben der Zeugnisse in vielen Unternehmen lediglich als störende Pflichtaufgabe angesehen wird. Lediglich die Hälfte der Studienteilnehmer ist deshalb der Ansicht, dass Arbeits- und Zwischenzeugnisse eine „hohe“ oder „sehr hohe“ Aussagekraft über die Leistung und das Verhalten von Mitarbeitern besitzen.
Missverständnisse durch Codes in den Zeugnisdokumenten
Die Studie offenbart zudem, dass etwa die Hälfte der Zeugnisschreiber nie eine Schulung erhalten hat. Besonders in kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU), in denen oft der Chef die Zeugnisse selbst verfasst, wird deshalb auf typischen Musterformulierungen zurückgegriffen.
Ein weiteres Problem sind die „Codes“ in Arbeits- und Zwischenzeugnissen, die von Personalern verwendet werden, um negatives Verhalten oder schlechte Leistungen der Mitarbeiter hinter positiv klingenden Formulierungen zu verstecken. Auch für diesen Missstand ist die GewO verantwortlich, weil diese durch die Zwickmühle zwischen Wohlwollen und Wahrheit den Arbeitgeber zur Verwendung geschönter Formulierungen praktisch zwingt. Die wahre Bedeutung des Zeugnisses wird von potenziellen neuen Arbeitgebern deshalb oft missverstanden. Dies belegt unter anderem ein Test mit 88 Teilnehmern, in denen nur eine Person auf einer Viererskala alle typischen Zeugnisformulierungen korrekt einordnen konnte.
Arbeitszeugnis erhält wenig Aufmerksamkeit
Es ist somit nicht überraschend, dass das Arbeitszeugnis in den meisten Unternehmen nur eine geringe Aufmerksamkeit im Bewerbungsprozess erhält. Im Mittel widmen sich die Umfrageteilnehmer dem Arbeits- oder Zwischenzeugnis eines Bewerbers nur für drei Minuten. Das Dokument dient dabei vor allem als Übersicht über die bisherigen Tätigkeiten, ist aber nur selten ein zentrales Entscheidungskriterium. Deutlich wichtiger sind hingegen der Lebenslauf und das Anschreiben.
Inzwischen nutzt ein Teil der Unternehmen (9,1 %) laut der Studie Arbeitszeugnisse bei der Personalauswahl deshalb „kaum“ oder „gar nicht“. Viele Unternehmen wünschen sich zudem, dass die GewO in Zukunft nur noch einfache Zeugnisse mit Standardkriterien zur Beurteilung der Mitarbeiter und eine einheitliche Zeugnissprache vorschreibt. Dadurch würde der Zeitaufwand beim Lesen und Erstellen deutlich sinken und die Aussagekraft der Dokumente wäre höher.