„Wir müssen Kleidung wieder wertschätzen“
Interview mit Gerd Müller, Bundesentwicklungshilfeminister
Wirtschaftsforum: Herr Müller, Sie führen häufig die Näherin aus Bangladesch an, die für einen Stundenlohn von 15 Cent 14 Stunden am Tag in einem Sweat-Shop Kleidung für den Westen näht. Wie kann der „Grüne Knopf“ dazu beitragen, ihre Lebenssituation signifikant zu verbessern?
Gerd Müller: Auf mehrfache Weise: Der Grüne Knopf gibt feste Arbeitsverträge mit geregelten Arbeitszeiten vor. Überstunden können dabei nicht willkürlich angeordnet werden, und wenn sie doch einmal anfallen sollten, müssen sie bezahlt werden. Außerdem erhält die Näherin den festgeschriebenen Mindestlohn – das ist in vielen Fabriken leider keine Selbstverständlichkeit. Natürlich kann der Mindestlohn nur ein Anfang sein. Die Arbeiterinnen brauchen wirklich existenzsichernde Einkommen. Daran arbeiten wir: In Bangladesch ist der Mindestlohn bereits um 50% erhöht worden. Die Richtung stimmt also. Und schließlich werden mit dem Grünen Knopf auch Vorschriften zur Arbeitssicherheit umgesetzt und gesundheitsgefährdende Chemikalien verbannt. Das alles macht für die Näherin in Bangladesch oder die Färber in Pakistan schon einen großen Unterschied.
„Mit dem Grünen Knopf gehen wir jetzt den nächsten Schritt und machen faire Mode, Bettwäsche und andere Textilien in den Geschäften sichtbar. Mit einem Lieferkettegesetz wären wir heute nicht weiter.“ Gerd Müller
Wirtschaftsforum: Die Hälfte des deutschen Textil-Einzelhandels ist Mitglied im 2014 gegründeten freiwilligen Textilbündnis, das auf globaler Ebene höhere Standards umsetzen will. Werden von dieser Selbstverpflichtung auf Dauer tatsächlich ausreichende Steuerungsmöglichkeiten ausgehen – oder braucht es irgendwann nicht doch durchgreifende Verbote und gesetzlich verbindliche Standards?
Gerd Müller: Das Textilbündnis ist ein Erfolg und die Grundlage für den Grünen Knopf! Hier setzen die 120 Mitglieder – Unternehmen, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen – jedes Jahr konkrete Schritte für soziale und ökologische Lieferketten um: 160 giftige Chemikalien werden aus der Produktion verbannt, der Anteil nachhaltiger Baumwolle wird bis zum Jahr 2025 auf 70% erhöht. Mit dem Grünen Knopf gehen wir jetzt den nächsten Schritt und machen faire Mode, Bettwäsche und andere Textilien in den Geschäften sichtbar. Mit einem Lieferkettegesetz wären wir heute nicht weiter. Der Grüne Knopf erbringt jetzt den Gegenbeweis, denn die vielen Unternehmen, die bereits mitmachen, zeigen: Es geht! Auch aus der Wirtschaft wird der Ruf nach gesetzlichen Mindeststandards immer lauter. Die Firmen wollen zu Recht gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle.
„Fast Fashion mit 20 Kollektionen im Jahr, möglichst billig produziert und genauso schnell wieder weggeworfen, ist ein Irrweg. Hinter jedem T-Shirt stehen Menschen, die es in harter Arbeit hergestellt haben.“ Gerd Müller
Wirtschaftsforum: Gleichzeitig hat die Primarkisierung der deutschen Modebranche zu einem regelrechten Boom billiger Massenware geführt, die alles andere als fair produziert wird. Muss die Bundesregierung solchen Produkten die Attraktivität nehmen, und welche Rolle spielt dabei der Grüne Knopf?
Gerd Müller: Ich glaube, die Branche ändert sich gerade. Fast Fashion mit 20 Kollektionen im Jahr, möglichst billig produziert und genauso schnell wieder weggeworfen, ist ein Irrweg. Hinter jedem T-Shirt stehen Menschen, die es in harter Arbeit hergestellt haben. Wir müssen Kleidung wieder wertschätzen. Das sehen auch immer mehr Kunden so. Für drei Viertel ist nachhaltige Mode wichtig. Der Grüne Knopf hilft ihnen, diese Kleidung zu finden. Fair muss dabei nicht teuer sein: Ein Unternehmen, das beim Grünen Knopf mitmacht, verkauft Socken im 10er-Pack für 15,99 EUR. Jetzt kommt es auf die Verbraucher an, bei fairen Produkten zuzugreifen.
Wirtschaftsforum: Von Gütesiegeln kann nur dann ein positiver Effekt ausgehen, wenn sie ihre Standards rigoros durchsetzen und deren Einhaltung ordentlich kontrollieren. Welche Maßnahmen ergreift der Grüne Knopf, um dies zu garantieren?
Gerd Müller: Die Einhaltung aller 46 Sozial- und Umweltstandards wird von unabhängigen Prüfstellen wie dem TÜV und der DEKRA kontrolliert. Ausgewiesene Fachleute suchen dafür auch die Produktionsstätten in Bangladesch oder Rumänien auf. Der Prüfprozess selbst wird ebenfalls kontrolliert. Dafür ist die unabhängige staatliche Deutsche Akkreditierungsstelle zuständig: Als „Prüferin der Prüfer“ stellt sie sicher, dass die Prüfer auch wissen, worauf es ankommt.
Galerie: Grüner Knopf
Wirtschaftsforum: Sie haben das Amt des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung nun schon seit sechs Jahren inne. Auf welche Errungenschaft aus Ihrer Amtszeit sind Sie am stolzesten – und was ist das wichtigste Ziel in Ihrem Ressort für den Rest der aktuellen Legislaturperiode?
Gerd Müller: Die Überwindung von Hunger und Armut ist unsere wichtigste Aufgabe. Zusätzlich tragen wir zur Stabilisierung der Flüchtlings- und Krisenregionen bei. Im Krisenbogen rund um Syrien unterstützen wir beispielsweise 20.000 Lehrer, die fast 400.000 syrische Flüchtlingskinder unterrichtet haben. Und im Nordirak versorgen wir hunderttausende Menschen mit sauberem Trinkwasser und Krankenhäusern. Das dritte große Thema ist der Klimaschutz. Er ist längst die Überlebensfrage der Menschheit. 20 Millionen Menschen mussten bereits aus den Dürreregionen Afrikas fliehen. Hier werden wir uns noch stärker engagieren. Das kann der Staat aber nicht alleine. Deswegen haben wir den Marshallplan mit Afrika voran gebracht. Damit fördern wir Privatinvestitionen in Afrika insbesondere für Mittelständler, etwa mit unserem Entwicklungsinvestitionsfonds oder einem neuen Markteintrittsprogramm für erneuerbare Energien.
Interview: Julian Miller | Fotos: Photothek.net