„Der digitale Zwilling ist ein bisschen wie Google Maps“

Interview mit Helmut Schuller, Geschäftsführer der SCHULLER & Company GmbH

Wirtschaftsforum: Herr Schuller, mit Ihrem Software- und Serviceangebot engagieren Sie sich sowohl im Industrieanlagenbau als auch im konstruktiven Ingenieurbau. Auf welche Lösungen setzen Sie dabei genau?

Helmut Schuller: Für den Indus-trieanlagenbau greifen wir auf Produkte von Aveva zurück, die wir dann entsprechend adaptieren, implementieren und finetunen. Vor der Gründung von SCHULLER & Company hatte ich viele Jahre lang die Global Sales-Aktivitäten von Aveva verantwortet, sodass ich mit sämtlichen Möglichkeiten der entsprechenden Produkt-Suites bestens vertraut bin. Im Bauwesen setzen wir mit unserer eigenen Lösung bocad indes auf das wahrscheinlich beste Produkt, das der Markt für die Ausführungsplanung zu bieten hat, da sich damit auch direkt der eigentliche Fertigungsprozess darstellen lässt. Die Anwendungsfelder unserer Lösungen sind dabei eben so breit und global wie komplex: In Indien dürfte in den letzten Jahren kaum ein Strommast entstanden sein, der nicht mithilfe von bocad geplant wurde; dasselbe gilt wahrscheinlich auch für die Verankerungen von Windkraftanlagen im Meer.

Wirtschaftsforum: Worin liegt bei der Kombination dieser beiden Ansätze der zentrale Mehrwert für Ihre Kunden?

Helmut Schuller: Im gelebten Alltag gehören beide Bereiche eigentlich untrennbar zusammen, auch wenn sie im Kern unterschiedliche Disziplinen darstellen. Durch die entsprechende Collaboration Suite können wir das Problem lösen, dass die einzelnen Fachdisziplinen den digitalen Zwilling oftmals nur im Hinblick auf ihre eigenen konkreten He-rausforderungen betrachten. Doch um die Betriebsgenehmigung für eine Anlage zu erhalten und alle anfallenden Prozesse so effizient wie möglich steuern zu können, müssen nicht nur die verfahrenstechnischen Aspekte bedacht werden, sondern auch die Planung von Fluchtwegen, die Zugangsmöglichkeiten zu Feuerlöschern, Einschränkungen in Bezug auf den möglichen Funkenflug in bestimmten Zonen und viele weitere Problemstellungen im Rahmen des BIM. Mit unseren Lösungen bringen wir beides zusammen – und ermöglichen den Anwendern somit einen unkomplizierten Überblick über alle relevanten Aspekte.
 

Wirtschaftsforum: Wie fassen Sie den digitalen Zwilling dabei genau auf?

Helmut Schuller: Ich vergleiche den digitalen Zwilling gerne mit Google Maps. Wenn Sie dort den Sitz unseres Unternehmens in der Mergenthalerallee in Eschborn eingeben, werden Sie schnurstracks zu unserem Gebäude geführt. Wenn Sie dann ein Stück weit herauszoomen, rückt auch die nähere Umgebung ins Blickfeld: Sie sehen dann etwa, dass Ernst & Young neben uns eine Niederlassung betreibt, oder dass sich um die Ecke ein italienisches Restaurant befindet. Wenn Sie dann darauf klicken, erfahren Sie dessen Öffnungszeiten und das Gericht des Tages und erhalten viele weitere Informationen. Aus welchen Quellen diese einzelnen Informationen letzten Endes stammen, wissen Sie nicht – das kann Ihnen aus der Anwenderperspektive aber auch egal sein. Wichtig ist, dass Sie als Consumer Zugriff auf alle Daten haben, die Sie benötigen. Genau so funktioniert im Idealfall auch der digitale Zwilling – nur dass es dort eben nicht um vergleichsweise banale Sachverhalte wie den Standort eines Restaurants geht, sondern um essenzielle Informationen für die Prozesssteuerung und sicherheitsrelevante Aspekte, die mit einer verlässlichen Weitsicht bedacht werden müssen. Denn kommt es im Industriekontext erst einmal zu einem schweren Störfall, im schlimmsten Fall sogar mit Personenschaden, ist die Bereitschaft zur Verhinderung des nächsten Problemereignisses oft groß – nur ist es dann eigentlich schon zu spät.
 

Wirtschaftsforum: Worin sehen Sie die zentralen Stärken Ihres Unternehmens?

Helmut Schuller: Ich glaube, man spürt in unserem gelebten Alltag, dass wir inhabergeführt sind und somit unabhängig von kurzfristigen Investoreninteressen agieren können. Wenn wir eine gute Idee haben und überzeugt sind, dass sie unseren Kunden helfen wird, dann wollen wir sie zügig und unkompliziert umsetzen – da halten wir es ein bisschen mit dem Slogan von Nike: Just Do it! Deswegen habe ich mich auch vor sechs Jahren zur Gründung von SCHULLER & Company entschlossen, einfach weil ich überzeugt war, dass wir außerhalb von Konzernstrukturen mit deutlich niedrigeren Abstimmungskosten flexibler und wirkmächtiger im Markt auftreten können. Inzwischen beschäftigen wir 80 Mitarbeiter und würden dieses Jahr gerne noch die symbolisch wichtige Schlagzahl von 100 erreichen. Dabei setzen wir nicht nur auf Menschen aus einschlägigen IT- und Ingenieursberufen, sondern auch auf interessierte Quereinsteiger aus eigentlich fachfremden Disziplinen, die sich in ihrer Berufslaufbahn Kompetenzen angeeignet haben, die für uns wichtig sind, etwa in der Kommunikation oder im Marketing. Zudem haben wir den großen Vorteil, geografisch weitgehend unbeschränkt auf den gesamten Talentpool zugreifen zu können – denn schon lange vor der Coronakrise haben wir konsequent auf nachhaltige Remote-Work-Konzepte gesetzt. Die Einschränkungen der Pandemie haben uns deswegen kaum betroffen – wir konnten ganz normal weiterarbeiten. 

Tags
Nach themenverwandten Beiträgen filtern

Mehr zum Thema

Hotellerie, die den Wandel meistert

Interview mit David Etmenan, Chief Executive Officer & Owner NOVUM Hospitality

Hotellerie, die den Wandel meistert

Vom Familienbetrieb in Hamburg zu einer der größten Hotelgruppen Europas: Die Novum Hospitality GmbH betreibt, entwickelt und managt Hotels in verschiedenen Segmenten – vom Midscale- bis zum Premiumbereich. Das Unternehmen…

Europas größer Fotoverbund – und noch viel mehr

Interview mit Thilo Röhrig, Geschäftsführer der Ringfoto GmbH & Co. KG

Europas größer Fotoverbund – und noch viel mehr

Seit über 60 Jahren bündelt Ringfoto die Schlagkraft von über 1.200 Fotofachhändlern in Deutschland und 26 weiteren europäischen Märkten und geht in seinem Selbstverständnis wie in seinem Leistungsspektrum weit über…

Vom Reststoff zur Ressource – eine Erfolgsgeschichte im Kreislauf

Interview mit Dirk Kopplow, Geschäftsführer und Benjamin Fiekens, Vertrieb der GVÖ Gebinde-Verwertungsgesellschaft der Mineralölwirtschaft mbH

Vom Reststoff zur Ressource – eine Erfolgsgeschichte im Kreislauf

Die Kreislaufwirtschaft ist längst mehr als ein ökologisches Ideal – sie ist ein zentraler Wirtschaftsfaktor. Steigende Rohstoffpreise, strengere Umweltgesetze und das wachsende Bewusstsein für nachhaltiges Handeln verändern die Industrie grundlegend.…

Spannendes aus der Region Main-Taunus-Kreis

Der Mensch bleibt das stärkste Netz

Interview mit Denise Link, Geschäftsführerin der comcontrol GmbH

Der Mensch bleibt das stärkste Netz

Die Digitalisierung verändert Arbeitswelten rasant. Die comcontrol GmbH aus Schwalbach am Taunus begleitet Kunden dabei in allen Fragen rund um Telekommunikation und Mobilfunk. Mit Geschäftsführerin Denise Link sprachen wir über…

Innovative Kochsysteme: Modular, mobil, nachhaltig

Interview mit Dr. Jörg Binding, Geschäftsführer der MEC2 GmbH

Innovative Kochsysteme: Modular, mobil, nachhaltig

Flexibilität, Innovation und Premiumqualität – das sind die Markenzeichen der MEC2 GmbH aus Eltville am Rhein. Das Unternehmen ist spezialisiert auf flexible, mobil einsetzbare Frontcooking- und Buffet-Systeme für die anspruchsvolle…

„The next smart thing“ für Beschaffung und Logistik

Interview mit Dr. Sandro Reinhardt Vorstandsmitglied der DG Nexolution eG und Andreas Malorny Geschäftsführer der DG Nexolution Procurement & Logistics GmbH

„The next smart thing“ für Beschaffung und Logistik

Schon seit etlichen Jahrzehnten bewegt sich die DG Nexolution eG als versierter Dienstleister der genossenschaftlichen Finanzgruppe mit ihren 700 Volksbanken und Raiffeisenbanken. Seit einem Jahr bietet das Tochterunternehmen DG Nexolution…

Das könnte Sie auch interessieren

Mit Simulation an die Spitze der Industrie 4.0

Interview mit Jens Cornelis, Geschäftsführer der FIFTY2 Technology GmbH

Mit Simulation an die Spitze der Industrie 4.0

Ob in der Automobilindustrie, bei Elektronikkomponenten oder in der Chipherstellung – überall dort, wo Flüssigkeiten eine kritische Rolle spielen, hilft präzise physikalische Simulation, komplexe Probleme zu lösen. Die FIFTY2 Technology…

Das Glasfasernetz immer im Blick

Interview mit Ralph Kosztovits, Geschäftsführer der JO Software Engineering GmbH

Das Glasfasernetz immer im Blick

Mit cableScout® bietet die JO Software Engineering GmbH eine Softwarelösung an, auf deren Basis sich Glasfasernetze effizient verwalten und rund um die Uhr schützen lassen: Themen, die gerade angesichts des…

Nah am Kunden, stark im Wachstum

Interview mit Donald Badoux, Geschäftsführer und Christian Leupold, Marketing Manager der NorthC Deutschland GmbH

Nah am Kunden, stark im Wachstum

Die NorthC Deutschland GmbH hat sich in kurzer Zeit europaweit als relevanter Anbieter von Rechenzentrumsdienstleistungen etabliert und verbindet dabei nachhaltiges Wachstum und einen klaren Fokus auf die Zukunftsthemen Digitalisierung und…

TOP