Das Beste aus zwei Welten - It’s all about time

Interview mit Stephan Stammberger, Geschäftsführer der MISUMI Europa GmbH

Wirtschaftsforum: Herr Stammberger, MISUMI hat mehr als 20 Millionen Komponenten von Schrauben über Linearachsen bis zu Automatisierungslösungen im Angebot, 12.000 Mitarbeiter weltweit, knapp 300 europaweit. Wie kam es zu diesen beeindruckenden Zahlen?

Stephan Stammberger: MISUMIs Wurzeln liegen in Japan, wo das Unternehmen 1963 gegründet wurde. Circa 40 Jahre lang wurde es privat geführt und entwickelte sich in dieser Zeit zu einem mittelständischen Unternehmen mit einigen 100 Mitarbeitern. Damals konzentrierte man sich auf den Handel mit Produkten aus dem Stanzwerkzeugbereich, die klassisch über Kataloge vertrieben wurden. Um die Jahrtausendwende wurde ein externer Nachfolger gesucht, der MISUMI in das neue Jahrtausend führen und sich auf den Turnaround konzentrieren sollte; mit Tadashi Saegusa wurde er gefunden. Intern wird er gerne ‘second era founder’ genannt.

Wirtschaftsforum: Welche besonderen Meilensteine gab es in dieser second era?

Stephan Stammberger: Ein Wendepunkt war das Jahr 2005, als MISUMI einen der größten Lieferanten aufkaufte. Seitdem produziert MISUMI unter einer eigenen Marke und wurde vom reinen Distributor zum Hersteller mit Produktionsstandorten in der ganzen Welt. Außerdem wurde ab 2003 global expandiert, 2012 gab es Akquisitionen in Europa und den USA, 2015 wurde ein Programm ausgerufen, das den Fokus auf die digitale Transformation legt.

„Wir wollen Dinge entwickeln, anders machen und neu denken.“ Stephan StammbergerGeschäftsführer
Stephan Stammberger

Wirtschaftsforum: Gab es aus Ihrer Sicht den einen entscheidenden Wendepunkt, der aus dem Mittelständler einen globalen Konzern gemacht hat?

Stephan Stammberger: Mit dem Aufkauf des Produktionsunternehmens wurde die Digitalisierung gestartet. Seitdem können Kunden im Internet Artikel nach ihren Wünschen konfigurieren und bekommen unmittelbar Preis und Lieferzeit mitgeteilt. Die fertigen Produkte werden in der Regel innerhalb von vier bis sieben Arbeitstagen geliefert. Die Konfiguration ist ein Alleinstellungsmerkmal und macht 70% des Geschäfts aus. Standardartikel, die nicht konfiguriert werden können, werden in unserem automatisierten Logistikzentrum in Kalbach gelagert, wo 200.000 Artikel bevorratet sind und schnell ausgeliefert werden können. Wir sind in dem so genannten ‘Low volume, high mix’- Segment tätig, das heißt, wir liefern nicht in Serie, sondern kleine bis mittlere Stückzahlen in vielen Varianten. Weil ständig andere Artikel geliefert werden müssen, sind diese Lagerkapazitäten extrem wichtig.

Wirtschaftsforum: Welchen Einfluss hat die japanische Kultur auf die deutsche Tochtergesellschaft?

Stephan Stammberger: Die Kaizen-Philosophie, die stetige Verbesserung, spielt auch hier eine große Rolle. Das zeigt sich unter anderem, wenn man einen Blick in die Produktion wirft, wo alles extrem auf Effizienz getrimmt ist. Vor einigen Jahren haben wir in Japan in punkto Kaizen einen sehr prestigeträchtigen Preis gewonnen. Sämtliche Produkte sind zu 100% optisch qualitätsgeprüft. Insgesamt herrscht bei MISUMI ein sehr offenes, tolerantes Klima. Wir haben knapp 300 Mitarbeiter und 38 Nationalitäten, die sich offen begegnen und austauschen. Um die unterschiedlichen Kulturen besser kennenzulernen und zu verstehen, finden regelmäßig interkulturelle Trainings statt. Was die Geschäftsführung betrifft, teilen wir die Arbeit auf. Als Präsident steuert Herr Tsunematsu die Geschäftsentwicklung durch Vertrieb, Marketing und die Business Units. Ich selber bin eher der Frontmann für die Belegschaft und verantworte die operationellen Einheiten und die Governance im Unternehmen. Im Laufe der Zeit haben wir zudem immer mehr lokale Kräfte in der Organisation eingesetzt; vorher waren das eher Expats. Produkte

Wirtschaftsforum: Diese besondere Unternehmensphilosophie hebt MISUMI vom Wettbewerb ab. Was macht MISUMI darüber hinaus anders als andere?

Stephan Stammberger: Wir haben im Prinzip viele und keinen Wettbewerber. Jeder CNC-Fräser ist ein potenzieller Wettbewerber, aber auch klassische Distributionsunternehmen. Es gibt allerdings kaum Unternehmen, die Handel und Fertigung kombinieren. Diese Aufstellung plus Konfigurator ist unser Asset. Damit wenden wir uns an die Automatisierungstechnik, den Maschinenbau, Industrien wie Verpackung, Medizin, Automobil, Luft- und Raumfahrt sowie Pharma.

Wirtschaftsforum: Eine zentrale Herausforderung ist die Nachhaltigkeit. Wie wird Umweltschutz bei MISUMI gelebt und wie blicken Sie angesichts dieser Herausforderung in die Zukunft?

Stephan Stammberger: Weil Umweltschutz zentrale Aufgabe der Unternehmensführung ist, sind wir nach ISO 14001 zertifiziert. Interessant ist, dass letztlich auch Corona zu einem Umdenken geführt hat. Die Krise hat uns gelehrt, dass die Abhängigkeit von Asien gefährlich sein kann. Mit dem Ziel einer besseren Kostenkontrolle und nicht zuletzt einer besseren CO2-Bilanz werden wir deshalb den Standort Portugal ausbauen. Dank der Digitalisierung und Industrie 4.0 können Geschäfte wieder zurückgeholt werden; man braucht keine Angst vor Niedriglohnländern zu haben. Wichtig ist, diese Technologien effizient und sinnvoll zu nutzen, Dinge zu entwickeln, anders zu machen und neu zu denken.

Tags
Nach themenverwandten Beiträgen filtern

Mehr zum Thema Industrielle Zulieferer

Die Bewegungskünstler

Interview mit Ralph Breuer, Geschäftsführer der Stromag GmbH

Die Bewegungskünstler

Sie sind unscheinbar, spielen aber in unterschiedlichsten Industrien eine Schlüsselrolle, weil sie im Hintergrund für den reibungslosen Betrieb von Windkraftanlagen, Landmaschinen, Aufzügen, Krananlagen oder Motoren sorgen: schaltbare Kupplungen, Bremsen, hochelastische…

Die Medizin wird ambulanter und digitaler

Interview mit Dr. Steffi Miroslau, Geschäftsführerin der GLG Gesellschaft für Leben und Gesundheit mbH

Die Medizin wird ambulanter und digitaler

Die GLG Gesellschaft für Leben und Gesundheit mbH ist ein bedeutender Akteur im Gesundheitswesen Brandenburgs. Mit einer zentralen Verwaltung in Eberswalde und insgesamt elf eigenständigen GmbHs, darunter mehrere Krankenhäuser und…

„Der technische Fortschritt braucht Kupfer!“

Interview mit Bernd Glauner, Geschäftsführender Gesellschafter der Ferd. Haecker GmbH & Co. KG

„Der technische Fortschritt braucht Kupfer!“

Die Ferd. Haecker GmbH & Co. KG aus Pforzheim hat sich in vielen Branchen als verlässlicher, kompetenter und kundennaher Zulieferer von Halbzeugen aus Kupfer, Kupferlegierungen und Aluminium einen Namen gemacht.…

Spannendes aus der Region Frankfurt am Main

Gar nicht abgehoben

Interview mit Armin Schikowsky, geschäftsführender Gesellschafter der AST Air Sea Truck International GmbH

Gar nicht abgehoben

Gegründet wurde die AST Air Sea Truck International GmbH 1983 in Frankfurt von Dieter Seubert, Armin Schikowsky, Ulrike Lukas-Rother und Franz Georg Bär. Als kleines, innovatives Unternehmen ist die Spedition…

Globaler geht es nicht

Interview mit Erik van Os, Country Head Germany und Gianfranco Maraffio, Vorstand der TMF Deutschland AG

Globaler geht es nicht

Die TMF Group bietet ihre Management-, Accounting- und Payroll-Dienstleistungen in über 80 Ländern an und kann ihre Kunden damit nicht nur geografisch umfassend unterstützen. Erik van Os und Gianfranco Maraffio,…

„Ins Büro kommen und Leute treffen, die ich mag“

Interview mit Patrick Benner, Geschäftsführer der ARTUS interactive GmbH

„Ins Büro kommen und Leute treffen, die ich mag“

Gern hätte Patrick Benner Design studiert, nur konnte er, wie er selbst zugibt, „leider weder zeichnen noch malen“. Doch ihn faszinierten die Möglichkeiten, die Computer im Hinblick auf die Verknüpfung…

Das könnte Sie auch interessieren

Olivenöl mit Herzblut

Interview mit Andreas Knauß, Geschäftsführer der LAKUDIA GmbH

Olivenöl mit Herzblut

Was mit einem Urlaub in Griechenland begann, entwickelte sich zu einer außergewöhnlichen Unternehmergeschichte: Die LAKUDIA GmbH vereint schwäbischen Unternehmergeist mit der Leidenschaft für Olivenöl allerhöchster Qualität, das schon lange im…

Globaler geht es nicht

Interview mit Erik van Os, Country Head Germany und Gianfranco Maraffio, Vorstand der TMF Deutschland AG

Globaler geht es nicht

Die TMF Group bietet ihre Management-, Accounting- und Payroll-Dienstleistungen in über 80 Ländern an und kann ihre Kunden damit nicht nur geografisch umfassend unterstützen. Erik van Os und Gianfranco Maraffio,…

Heimat schaffen

Interview mit Dipl.-Ing. Stefan Forster, Geschäftsführer der Stefan Forster GmbH

Heimat schaffen

Unzählige große Bauprojekte hat die Stefan Forster GmbH mit Sitz in Frankfurt am Main im Bundesgebiet schon umgesetzt. Ihr Schwerpunkt liegt dabei im städtischen Wohnungsbau. Doch auch darüber hinaus hat…

TOP