Die Corona-Hilfe muss aus Sicht des Mittelstandes nachgebessert werden

Interview vom Mai 2020 mit Mario Ohoven, Präsident des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft und der Europäischen Vereinigung der Verbände kleiner und mittlerer Unternehmen - verstorben am 31.Oktober 2020

Wirtschaftsforum: Herr Ohoven, der Slogan unserer Medienmarke Wirtschaftsforum ist: Wir nehmen Wirtschaft persönlich. Welches Thema ist Ihnen vor dem Hintergrund der aktuellen Situation besonders wichtig? Wo sehen Sie zurzeit den Schwerpunkt Ihrer Arbeit?

Mario Ohoven: Jeder zweite Mittelständler fürchtet wegen Corona um seine Existenz. Deshalb setzen wir uns als Verband, setze ich mich ganz persönlich dafür ein, dass die Unternehmen schnell und unbürokratisch mit der nötigen Liquidität versorgt werden. Parallel dazu müssen wir sie heute schon fit für die Zeit nach der Corona-Krise machen, indem wir sie zum Beispiel bei der Digitalisierung oder der Erschließung neuer Märkte im Ausland unterstützen. Hier ist aber auch die Politik gefordert. Ich sage ganz deutlich: Ohne eine spürbare Entlastung bei Steuern und Abgaben ist der deutsche Mittelstand auf Dauer nicht wettbewerbsfähig. Wer jetzt sogar noch Steuererhöhungen fordert, legt die Axt an die Wurzel unseres Wohlstands. Denn wir müssen von „Corona-Krisen“ im Plural sprechen: Neben der medizinischen Pandemie haben wir es mit einer Wirtschaftskrise und einer drohenden internationalen Staatsschulden- und Währungskrise zu tun.

Mario Ohoven
„Mittelstand ist gelebte soziale Verantwortung.“ Mario Ohoven

Wirtschaftsforum: Home-Schooling wegen Corona. Abgesehen davon, dass viele Eltern damit inhaltlich überfordert sind, hat das weitreichende Konsequenzen für die Unternehmen, bedeutet in diesen Zeiten eine doppelte Belastung. Viele Mitarbeiter setzen ihren Urlaub dafür ein, nehmen eine unbezahlte Auszeit oder lassen sich sogar krankschreiben. Welche Lösung sehen Sie hier? Was erwarten Sie von der Politik?

Mario Ohoven: Wir stehen hier vor einer doppelten Herausforderung. Beim Thema „Zeit für Home-Schooling“, davon bin ich überzeugt, finden Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam individuelle Lösungen im Betrieb. Weniger zuversichtlich bin ich, was die digitale Bildung insgesamt angeht. Das Breitbandnetz hat noch immer große Lücken. Und der Digitalpakt der Bundesregierung für die Schulen greift nicht, weil die fünf Milliarden Euro nicht dort eingesetzt werden dürfen, wo es nötig ist. Umso mehr braucht Deutschland jetzt den konsequenten Ausbau des Breitbandnetzes auf Glasfaserbasis und ein digitales Fitnessprogramm für unsere Schulen.

Wirtschaftsforum: Herr Altmaier hat schnelle, unbürokratische Kredite für den Mittelstand versprochen, Schnellkredite, Schutzschirme, Start-Up Hilfen. Trotzdem stehen viele Mittelständler jetzt schon vor dem Aus, weil Kreditanträge oft an den vielfältigen Bedingungen zur Kreditaufnahme scheitern, trotz Bürgschaftsübernahme durch die Bundesregierung. Wie lässt sich dieses Dilemma auflösen?

Mario Ohoven: Wir sind der Bundesregierung dankbar für ihr schnelles und entschlossenes Handeln. Dennoch muss die Corona-Hilfe aus Sicht des Mittelstandes nachgebessert werden. Das gilt insbesondere für die Kreditvergabe. Der Bund hat, nicht zuletzt auf unser Drängen hin, die Haftungsgarantie für die Hilfskredite auf 100 Prozent erhöht. Das Problem dabei ist, dass die staatliche KfW für diese Kredite drei Prozent Zinsen verlangt. Dadurch werden den angeschlagenen Betrieben noch zusätzliche Belastungen aufgebürdet. Deshalb sagen wir: Um Betriebe und Arbeitsplätze zu retten, sollte auf Zinsen komplett verzichtet werden.

Wirtschaftsforum: Durch die Aufhebung der Rückforderungsrechte der Insolvenzverwalter können auch gesunde Unternehmen, die eine Leistung erbracht haben, in Gefahr geraten. Entsteht so nicht ein Domino-Effekt für eine Vielzahl von Insolvenzen?

Mario Ohoven: Das sehe ich nicht so. Die Beschränkung der Anfechtungsrechte durch das COVInsAG ermöglicht es Kreditgebern, Unternehmen zur Überwindung der Corona-Krise Kredite zu gewähren und Sicherheiten dafür entgegenzunehmen, ohne in einem späteren Insolvenzverfahren die Anfechtung der Kreditrückzahlung oder Sicherheitenbestellung fürchten zu müssen. Dieser Mechanismus ist sinnvoll, weil ohne eine solche Regelung kaum die Bereitschaft bestehen würde, den Unternehmen durch neue Kredite aus der Krise zu helfen. Die Vertragspartner der von der Corona-Pandemie betroffenen Unternehmen werden dadurch in einem späteren Insolvenzverfahren in der Regel nicht schlechter gestellt. Denn ohne die Beschränkung der Anfechtungsrechte wäre der Kredit in aller Regel schon nicht gewährt worden, und die Insolvenz wäre früher eingetreten.

„Jede Woche, in der unsere Volkswirtschaft auf halber Kraft läuft, kostet uns bis zu 40 Milliarden Euro.“ Mario Ohoven
Mario Ohoven

Wirtschaftsforum: Gesunderhaltung der Menschen und Gesunderhaltung der Wirtschaft – welche Balance müssen wir jetzt hier für die Zukunft schaffen?

Mario Ohoven: Gesundheitsschutz der Menschen und Gesunderhaltung der Wirtschaft sind zwei Seiten einer Medaille. Mittelstand ist gelebte soziale Verantwortung. Schon deshalb tun die Unternehmer alles dafür, um ihre Mitarbeiter vor Ansteckung zu schützen. Auf der anderen Seite müssen wir aufpassen, dass die Medizin nicht mehr Schaden anrichtet als die Krankheit. Ich beobachte mit größter Sorge den massiven Anstieg der Kurzarbeit. Jede Woche, in der unsere Volkswirtschaft auf halber Kraft läuft, kostet uns bis zu 40 Milliarden Euro. Um im Bild zu bleiben, ist ein Unternehmen erst einmal tot, kommt jede noch so große Hilfe zu spät. Die Hauptfrage für die Zukunft ist: Wie verbinden wir Krisenbewältigung mit einer neuen Strukturpolitik?

Interview:

Manfred Brinkmann
und Sabine Benzler

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