Wirtschaftsskandale? Dahinter steckt Kalkül!

Interview mit Prof. Dr. Thomas Beschorner

Wirtschaftsforum: Herr Beschorner, wenn ich morgens die Zeitung lese und es um einen Skandal geht... kann ich davon ausgehen, dass er kalkuliert ist?

Thomas Beschorner: Wie schon mein Kollege Harry Mintzberg nach dem VW-Skandal geschrieben hat: Don‘t call it a scandal. Das ist kein überraschender Skandal, wie er üblicherweise dargestellt wird. Sondern das ist eigentlich systematisch angelegt und fast schon unternehmerische Praxis, die mit einer gewissen Vorsicht funktioniert. Die Rechnung dahinter ist ganz einfach: Mögliches Strafmaß mal Entdeckungswahrscheinlichkeit auf der einen Seite der Gleichung und dann die erwarteten Erträge auf der anderen. Anders kann man sich ja solche Vorkommnisse wie bei Volkswagen fast gar nicht mehr so richtig erklären. Ich fürchte schon, dass es da einfach ein ökonomisches Kalkül gibt. Man schreckt nicht davor zurück, nicht nur nicht moralisch zu handeln, sondern sich über rechtliche Normen hinwegzusetzen. Und das ist ein gewaltiges Problem.

Thomas Beschorner
„Die Rechnung dahinter ist ganz einfach: Mögliches Strafmaß mal Entdeckungswahrscheinlichkeit auf der einen Seite der Gleichung und dann die erwarteten Erträge auf der anderen.“ Thomas Beschorner

Wobei sich das Bild in der unternehmerischen Praxis ausgewogener zeigt. Ja, es gibt die schlimmen Finger, aber es gibt ebenso viele Unternehmen, die sich wirklich in den letzten Jahren bemüht haben, das Thema Unternehmensverantwortung anzupacken und ernst zu nehmen. Die haben erkannt, dass Unternehmen nicht nur dafür da sind, auf Teufel komm raus Gewinne zu maximieren, sondern auch eine gesellschaftliche Verantwortung in vielfältiger Hinsicht haben.

Wirtschaftsforum: Sind diese positiven Beispiele jetzt Unternehmen mit intrinsischer Motivation oder haben die sich einfach vorher schon mal die Finger verbrannt?

Thomas Beschorner: Generell ist bei dem Thema Unternehmensverantwortung sehr viel Zug reingekommen. Ein Faktor ist sicherlich der externe Druck. Es reicht den Menschen heute nicht mehr, wenn Unternehmen sagen: Ja, wir schaffen Arbeitsplätze, bieten günstige Konsumgüter an und zahlen Steuern. Da haben sich die Ansprüche verändert. Und Unternehmen tun natürlich gut daran, eine Marke auszubilden und ihre Reputation im Blick zu haben.

Daneben gibt es im Mittelstand zahlreiche Fälle von intrinsischer Motivation. Das wird häufig deutlich, wenn eine Unternehmensnachfolge ansteht. Da machen sich die Inhaber Gedanken, welche Werte und Verantwortung an die nächste Generation übergeben wird und was für die Gesellschaft geleistet werden soll.

„Es braucht eine Person, die vorangeht und bestimmte Ideen in die eigene Organisation hineinträgt.“ Thomas Beschorner
Thomas Beschorner

Wirtschaftsforum: Wie wichtig sind für Sie in diesem Zusammenhang Menschen, die vorangehen, die als Vorbild auftreten?

Thomas Beschorner: Es braucht eine Person, die vorangeht und bestimmte Ideen in die eigene Organisation hineinträgt. Verantwortung lässt sich aber nicht nur auf eine solche individual-ethische Perspektive reduzieren. Wir brauchen dafür ebenso Institutionen, das heißt, wirklich Strukturen, in Unternehmen. Wir müssen Verantwortung organisieren. Das fällt nicht vom Himmel. Was ja ganz wesentlich ist, aber oft falsch verstanden wird: Bei Unternehmensverantwortung geht es nicht um die Frage, wie wir die erwirtschafteten Gewinne irgendwie ausgeben im Sinne von Spenden oder ähnlichem. Es geht zentral um die Frage, wie die Gewinne überhaupt erwirtschaftet werden.

Vielleicht sollten wir außerdem mal über rechtliche Regelungen auf der gesellschaftlichen Ebene nachdenken. In meinem Buch formuliere ich den Vorschlag, über ein Unternehmensstrafrecht nachzudenken. VW ist für einen massiven Betrug mit schlappen fünf Millionen EUR belegt worden. VW kommt quasi mit einer Ordnungswidrigkeit davon. Das ist wie wenn wir unser Auto mal irgendwo falschparken.

Wirtschaftsforum: Bleibt die Frage, ob wir uns über den nächsten Skandal überhaupt noch empören sollten.

Thomas Beschorner: Empörung ist weiterhin wichtig. Ich glaube, wir müssen wirklich kollektiv sehr wachsam sein, solche Dinge überhaupt erst mal wahrnehmen und darüber kommunizieren. Einfach die Hände in den Schoß legen, ist keine gute Vorgehensweise. Dabei geht es nicht nur um Fragen in ökonomischer Hinsicht. Wenn ein Unternehmen wie Facebook dermaßen in unsere demokratische Willensbildung eingreifen kann über die Vermutung, dass Wahlen und Abstimmungen manipuliert werden, sollte eigentlich ein Panik-P aufpoppen. Denn das kann uns wirklich als Gesellschaft nicht recht sein.

Interview: Markus Büssecker | Fotos: Prof. Dr. Thomas Beschorner

Tags
Nach themenverwandten Beiträgen filtern

Mehr zum Thema

KI trifft Ingenieurskunst – Transparenz für komplexe Softwarewelten

Interview mit Dipl.-Ing. Stephan Mauk, Vorstand der Concentrio AG

KI trifft Ingenieurskunst – Transparenz für komplexe Softwarewelten

Ob im Auto, im Flugzeug oder im Kraftwerk – Software entscheidet heute über Sicherheit, Effizienz und Leistung. Doch kaum jemand weiß, was im Hintergrund wirklich passiert. Genau hier setzt die…

Wurzeln, die tragen – Wachstum mit Bestand

Interview mit Kilian Sohm, Geschäftsführer der Sohm HolzBautechnik GmbH

Wurzeln, die tragen – Wachstum mit Bestand

Holz wächst leise – Schicht für Schicht, Jahr für Jahr. Es braucht Geduld, Beständigkeit und das richtige Maß. Wer mit Holz arbeitet, lernt diesen Rhythmus zu verstehen. Auch Unternehmen können…

Kurs auf Premiumklasse

Interview mit Marko Zacherl, Geschäftsführer der Sun Charter GmbH

Kurs auf Premiumklasse

Der Yacht-Chartermarkt steht unter Druck: Steigende Kosten, sinkende Nachfrage und harter Verdrängungswettbewerb zwingen viele Anbieter in die Knie. Doch während andere kämpfen, hat die Sun Charter GmbH in nur zwei…

Spannendes aus der Region

Wurzeln, die tragen – Wachstum mit Bestand

Interview mit Kilian Sohm, Geschäftsführer der Sohm HolzBautechnik GmbH

Wurzeln, die tragen – Wachstum mit Bestand

Holz wächst leise – Schicht für Schicht, Jahr für Jahr. Es braucht Geduld, Beständigkeit und das richtige Maß. Wer mit Holz arbeitet, lernt diesen Rhythmus zu verstehen. Auch Unternehmen können…

„Wir wollen es dem Entwickler so  einfach wie möglich machen!“

Interview mit Roland Appel, Manager Technical Marketing und Tim Möbus, Key Account Manager der Embarcadero Germany GmbH

„Wir wollen es dem Entwickler so einfach wie möglich machen!“

Auch Softwareentwickler benötigen eine Software, auf deren Basis sie die Anwendungen ihrer Wahl programmieren können: Genau diese Werkzeuge stellt ihnen Embarcadero bereit, damit sie ausgehend von einer einzigen Codebase eine…

Das könnte Sie auch interessieren

Produkt- und Markenpiraterie haben sich zuletzt explosionsartig ausgebreitet

Interview mit Christine Lacroix, Geschäftsleitung Aktion Plagiarius

Produkt- und Markenpiraterie haben sich zuletzt explosionsartig ausgebreitet

Einmal im Jahr gehört die Bühne den schwarzen Schafen in der Wirtschaft. Das ist dann der Fall, wenn die Aktion Plagiarius ganz besonders dreiste Fälschungen auszeichnet. Wirtschaftsforum wirft mit Christine…

Engineering und Consulting aus einer Hand

Interview mit Jan-Erik Gürtner, Geschäftsführer der Helbling Business Advisors GmbH

Engineering und Consulting aus einer Hand

Was Helbling Business Advisors GmbH von anderen Beratungsunternehmen unterscheidet, ist die einzigartige Kombination von technischem Know-how und betriebswirtschaftlicher Beratungskompetenz. Das 1989 in Düsseldorf als Teil der Helbling Gruppe gegründete Unternehmen…

Menschsein war noch nie so anstrengend wie im 21. Jahrhundert

Interview mit Leon Windscheid, Wirtschaftspsychologe und Unternehmer

Menschsein war noch nie so anstrengend wie im 21. Jahrhundert

Dr. Leon Windscheid wurde deutschlandweit bekannt, als er 2015 die Millionenfrage bei Günther Jauch knackte. Seitdem ist viel passiert und Windscheid bringt während Keynotes oder auf seiner Tour die neusten…

TOP