Im Rausch der Farben

Interview mit David Kremer, Geschäftsführer der Kremer Pigmente GmbH & Co. KG

Der Name Kremer Pigmente ist international der Inbegriff für Kompetenz rund um Farben. Denkmalpfleger, Restauratoren, Museen, Maler aus der ganzen Welt– sie alle wenden sich an das familiengeführte Unternehmen in Baden-Württemberg, das in Aichstetten in einer alten Mühle zu Hause ist, wenn es um Pigmente geht, die durch die industrielle Produktion von Farben verloren gegangen waren.

Im Mittelpunkt stehen nicht Standardfarben, sondern ganz besondere Farbtöne, traditionelle, in Vergessenheit geratene Pigmente, die bei Kremer eine Renaissance erleben. Bleizinngelb, Smalte, Plossblau, Azurit, Malachit, Purpur, Atakamit, Lapis Lazuli, Beinschwarz oder Krapplack – bei Kremer finden Kunden eine feine Auswahl wiederentdeckter Nischenprodukte, einzigartig auf dem Markt.

„In der Nische sind wir führend“, so David Kremer. „Wir sind eine Art Tante-Emma-Laden mit fünf Sorten Mehl und drei Sorten Milch, Margarine und Butter, aus denen man etwas backen kann. Es gibt feste Rezepte, aber bei jedem schmeckt es anders. So ähnlich ist es bei uns. Aus den Zutaten kann man sich individuelle Farben und Lasuren mischen.“

Groß in einer kleinen Nische

David Kremer führt die Geschäfte in der zweiten Generation. Sein Vater, ein promovierter Chemiker, war es, der den Grundstein für die außergewöhnliche Manufaktur legte. „Es war reiner Zufall, dass wir irgendwann mit historischen Pigmenten eine neue Nische besetzten“, sagt David Kremer. „Ein Kindergartenvater kam damals auf uns zu, weil er als Restaurator auf der Suche nach einer bestimmten historischen Farbe war. Mein Vater nutzte sein chemisches Know-how und seine Leidenschaft für Geschichte, um sich in der Kellerwerkstatt mit der Herstellung historischer Pigmente zu beschäftigen.“ Kremer traf schon damals den Nerv der Zeit – zumindest den einer bestimmten Zielgruppe.

Von iPhone-Grau bis Lapis Lazuli

1977 macht Dr. Kremer sich als Ein-Mann-Betrieb selbstständig; die Nachfrage nach den Pigmenten steigt kontinuierlich, das Angebot wird stetig erweitert, so dass der Betrieb räumlich bald an seine Grenzen stieß. 1984 zieht Kremer in das Allgäu um. Auch heute ist der Farbspezialist hier mit rund 40 Mitarbeitern ansässig; zudem gibt es Geschäfte in München und New York.

Nach wie vor steht die Herstellung traditioneller Pigmente im Vordergrund – viele werden in Handarbeit hergestellt. Doch auch moderne, synthetisch hergestellte Pigmente werden angeboten. „Wir stellen selbst gebrauchsfertige Farben her“, erklärt David Kremer. „Seit ein paar Jahren auch Aquarellfarben. Entscheidend ist dabei nicht, dass sie stark färben oder preiswert sind, sondern dass traditionelle Pigmente eingesetzt werden.“

Aus dem Allgäu, bis Asien

Steckenpferd sind seit jeher Pigmente – hier ist Kremer Vorreiter und Spezialist. Restauratoren, Künstler, Handwerker, Designer, Architekten, Instrumentenbauer – Kremer bedient eine breite Zielgruppe. Versendet wird in die ganze Welt, bis Asien und in die USA. 1.500 Farbkörper umfasst das Sortiment, rund 8.000 verschiedene Produkte, meist Rohstoffe. David Kremer ist seit 2008 im Familienbetrieb tätig und nach wie vor fasziniert von dem alten Handwerk.

„Mich reizt die Abwechslung meiner Arbeit“, sagt er. „Die Projekte sind sehr unterschiedlich. Wir arbeiten mit Naturmaterialien, verändern diese in ihrer Form, aber wahren ihren Ursprung. Oft sind es traditionelle Pigmente, wie die Alten Meister sie verwendet haben; Lapislazuli und Zinnober beispielsweise und die klassischen Farberden. Die Mineralvorkommen auf der Welt sind rar und hochpreisig. Für die Industrie ist das Segment deshalb uninteressant.“

Bei Kremer geht es immer um das Besondere, aber nicht ausschließlich um reine Naturmaterialien oder alte, traditionelle Methoden, Techniken, Handwerkskünste und Farben. Das Unternehmen ist modern und aufgeschlossen für Neues. „Wir unterscheiden nicht zwischen Großabnehmern und Kleinkunden“, betont David Kremer. „Wir nehmen uns für jeden Zeit, bieten Lösungen an und greifen dafür auf unsere Erfahrung, Know-how und Kreativität zurück. Will jemand ein iPhone-Grau, bekommt er es bei uns. Dann schreddern wir das iPhone und machen Pulver daraus. Bei der Entwicklung und Herstellung von Pigmenten ist wichtig, dass man die Mineralogie kennt und ein Gefühl für Materialität hat.“

Traditionell, experimentierfreudig, offen

Kremer vertreibt die Produkte in den Geschäften, nutzt aber auch soziale Medien, um sich selbst zu präsentieren oder um sich inspirieren zu lassen. Daneben spielt der E-Commerce eine bedeutende Rolle. „Das Online-Geschäft wird immer wichtiger, gerade in der Corona-Zeit hat es uns sehr geholfen“, sagt David Kremer. „In zwei Wochen gibt es einen Relaunch, auf den ich sehr gespannt bin.“

Das ist nicht das einzige größere Zukunftsprojekt. „Wir leben hier in einer Mühle, haben ein eigenes Wasserkraftwerk und sind auf keine fremden Energiequellen angewiesen“, sagt David Kremer. „Dieses Prinzip der gelebten Nachhaltigkeit wird auch für unsere Kunden immer wichtiger. Wir leben inmitten der Natur und mit ihr, gesünder und nachhaltiger. Gebäudetechnisch müssen wir uns allerdings verändern. Die Mühle ist aus dem 17. Jahrhundert, niedrig und verwinkelt, was geschäftliche Abläufe schwierig machen kann. Wir werden deshalb umziehen, jedoch am Ort bleiben und damit eine gewisse Stabilität wahren, die uns sehr wichtig ist. Wir sind insgesamt zufrieden mit dem, was wir haben und wo wir sind. Unsere Vision ist, Pigmente noch mehr in die Welt hinauszutragen und noch mehr Menschen zu begeistern.“

Die Begeisterung für die Welt der Farbpigmente ist in Aichstetten spürbar. Und überträgt sich in Kursen und Seminaren, die Kremer dort anbietet, unmittelbar auf die Teilnehmer.

Tags
Nach themenverwandten Beiträgen filtern

Mehr zum Thema Chemie

Die Formel für nachhaltiges Wachstum

Interview mit Marcus Acker, Geschäftsführer der Imhoff & Stahl GmbH

Die Formel für nachhaltiges Wachstum

Die Chemiedistribution ist das verbindende Glied zwischen Herstellern und Industrie. Sie sorgt dafür, dass chemische Rohstoffe sicher, flexibel und termingerecht dorthin gelangen, wo sie gebraucht werden – in nahezu allen…

Brücken bauen mit Molekülen

Interview mit Dr. Oliver Seidelmann, Geschäftsführer der ChiroBlock GmbH

Brücken bauen mit Molekülen

Innovative Chemie ist der Schlüssel für viele Zukunftsfragen – von nachhaltigen Produktionsmethoden bis hin zu medizinischen Lösungen. Mitten im Chemiepark Wolfen hat sich die ChiroBlock GmbH seit 1999 zu einem…

Im Labor der Möglichkeiten

Interview mit Johannes Steinel, Geschäftsführer der Schirm GmbH

Im Labor der Möglichkeiten

Die chemische Industrie ist eine tragende Säule der globalen Wirtschaft. Die Schirm GmbH aus Schönebeck (Elbe) zählt zu den führenden mittelständischen Spezialisten in der Auftragsfertigung für chemische Stoffe – von…

Spannendes aus der Region Landkreis Ravensburg

„Energie ist unser Antrieb“

Interview mit Dr.-Ing. Ulrich Wörz, Geschäftsführer der edel Energietechnik GmbH

„Energie ist unser Antrieb“

Kaum ein Thema beschäftigt die Wirtschaft derzeit mehr als die nachhaltige und kosteneffiziente Energieversorgung. Die Richtung ist klar: weg von fossilen Brennstoffen, hin zu nachhaltigen Alternativen – doch der Weg…

Mehr als nur Fassade

Interview mit Valentin App und Magnus App, geschäftsführende Gesellschafter der Rupert App GmbH & Co.

Mehr als nur Fassade

Von der Stange gibt es hier nichts. Denn jede Fassade ist einzigartig. Die Rupert App GmbH & Co. in Leutkirch macht fast alles möglich, wenn es um den Fassadenbau aus…

Mit Magnetlösungen Märkte bewegen

Interview mit Jürgen Malz, Geschäftsführer der Schienle Magnettechnik + Elektronik GmbH

Mit Magnetlösungen Märkte bewegen

Mit explosionsgeschützten Magnetlösungen, hoher Fertigungskompetenz und wachsender Präsenz in der Medizintechnik positioniert sich die Schienle Magnettechnik + Elektronik GmbH als innovativer Mittelständler aus dem Bodenseekreis. Geschäftsführer Jürgen Malz spricht mit…

Das könnte Sie auch interessieren

Nachhaltig Druck machen

Interview mit Melissa Sesselmann, Kaufmännische Leiterin der Kipp+Poffo Office Consulting GmbH

Nachhaltig Druck machen

Der technologische Fortschritt hat die Bürowelt in den letzten Jahrzehnten auf den Kopf gestellt. Schreibmaschine, Drucker, Faxgerät und Kopierer wurden teilweise vollständig ersetzt, Homeoffice-Lösungen sind Standard, das Schlagwort New Work…

Mit technischer Innovation zum weltweiten Erfolg

Interview mit Heiner Wemhöner, Geschäftsführender Gesellschafter der Wemhöner Surface Technologies GmbH & Co. KG

Mit technischer Innovation zum weltweiten Erfolg

Als weltweit führender Hersteller von Maschinen und Anlagen zur Veredelung von Holzwerkstoffen gilt die Wemhöner Surface Technologies GmbH & Co. KG aus Herford in Ostwestfalen als Paradebeispiel eines Hidden Champion.…

370 Jahre Etikettenkompetenz

Interview mit Santiago A. Kuipers, Geschäftsführer der Royal Hoitsema Labels B.V.

370 Jahre Etikettenkompetenz

Seit über 370 Jahren steht Royal Hoitsema Labels B.V. für Druckkunst auf höchstem Niveau. Heute zählt das Unternehmen mit Sitz in Groningen zu den führenden Spezialisten für Etiketten und Verpackungen…

TOP