Bereit für neue Dimensionen
Interview mit Stefan Wüst, Geschäftsführer der Ingenieure Wüst GmbH

Wirtschaftsforum: Herr Wüst, die Ingenieure Wüst GmbH ist ein Planungsunternehmen, das sich als Komplettanbieter im Bereich TGA, also Technische Gebäudeausrüstung, einen Namen gemacht hat. In den vergangenen Jahren hat das Unternehmen sich immer stärker mit dem Thema BIM beschäftigt. Was ist der Grund für diese Entwicklung?
Stefan Wüst: Wir sind seit mehr als 20 Jahren am Markt und haben uns seitdem konstant weiterentwickelt. Um expandieren zu können, sind wir 2012 an unseren heutigen Standort gezogen. 2016/17 fiel dann die Entscheidung, ins BIM-Verfahren einzusteigen. Damit waren wir Pioniere.Bei BIM handelt es sich um einen intelligenten, auf einem 3-D-Modell basierenden Prozess, der alle am Bau Beteiligten mit Werkzeugen für Planung, Entwurf, Konstruktion, Verwaltung und Infrastruktur von Gebäuden versorgt.
Der gesamte Lebenszyklus eines Projektes wird damit visualisiert; es wird ersichtlich, wie verschiedene Systeme interagieren und wo Handlungsbedarf ist. In Skandinavien, aber auch im Nahen Osten und Teilen Asiens ist die Technologie schon viel früher genutzt worden als bei uns. Ich habe mich intensiv mit dem Thema beschäftigt und Signale von Seiten des Ministeriums bekommen, dass das politischer Wille ist.
Wirtschaftsforum: Was genau überzeugt Sie an BIM?
Stefan Wüst: Mit BIM vereinen wir sieben Dimensionen in einem Bauprojekt. Die ersten drei Dimensionen dürften klar sein. Die vierte Dimension betrifft die Zeitplanung; man sieht modellhaft, was passiert. Bei der fünften Dimension geht es um Kosten und Mengen, die sechste Dimension fokussiert die Gebäudesimulation. Durch thermische Simulationen wird zum Beispiel ersichtlich, wie sich ein Gebäude im Winter und im Sommer verhält, wo Beschattungen notwendig sind und Ähnliches. Bei der siebten Dimension geht es um das Facility Management. Dank dieser sieben Dimensionen, zu denen übriges noch etliche andere hinzukommen können, bekommen Bauherren, Investoren oder Handwerker ein realistisches Bild vom Planungsprozess. Totzeiten, wie sie sonst oft in Planungsprozessen entstehen, verschwinden einfach, stattdessen wird im Planungsverlauf sogar Zeit gewonnen. BIM nutzt die zur Verfügung stehenden digitalen Arbeitsmittel, um Planungsprozesse in einer ganz anderen Qualität darzustellen.
Wirtschaftsforum: Um den Fokus gezielt auf BIM zu legen, wurde im Spätsommer dieses Jahres die BIMension als GmbH aus der Ingenieure Wüst ausgegliedert. Was genau macht BIMension?
Stefan Wüst: Wir konzentrieren uns hier nur auf BIM-Verfahren in VR, AR und Mixed Reality. Es gibt eine eigene App für Baustellen, die wir intern für unsere Projekte nutzen. Wichtig ist, dass es zwei verschiedene BIM-Verfahren gibt; das Open BIM-Verfahren, bei dem eine freie Auswahl an Software über IFC-Schnittstellen an ein Koordinationsmodell geführt wird, und ein Closed BIM-Verfahren innerhalb einer Produktfamilie, bei dem es eine Mehrwert- und eine Mehrdimensionennutzung gibt. Die Schnelligkeit des Closed BIM-Verfahrens ist sehr überzeugend. Im Prinzip wird dabei eine Datenbank modelliert und Virtual Reality oder Augmented Reality in die Bauphase mit eingebracht. Wir können damit den digitalen Zwilling auf der Baustelle im Rohbau einschweben lassen. Handwerker können mit Laptop oder Tablet schon vorab Rohinstallationen sehen. Planen mit BIM heißt Bauen vorwegnehmen.
Wirtschaftsforum: Ingenieure Wüst ist damit ein BIM-Pionier in Deutschland. Wie akzeptiert ist das Verfahren heute?
Stefan Wüst: Das ist unterschiedlich, insgesamt lässt sich aber eine positive Entwicklung erkennen. Wir haben Bauherren mit skandinavischem Hintergrund, dort ist BIM bereits Pflicht. In Deutschland haben wir es noch mit einer eher verhaltenen Entwicklung zu tun. Ein Grund ist die nach wie vor gute Auftragslage der Baubranche; wenige Unternehmen beschäftigen sich momentan damit, wie man ein digitales, transparentes Planungsverfahren im Büro implementieren kann. Allerdings gibt es erste Kommunen, die Ingenieurleistungen nach BIM-Kriterien ausschreiben. Auch wenn noch viel Überzeugungsarbeit geleistet werden muss, glauben wir, dass BIM sich mittelfristig durchsetzen wird.
Wirtschaftsforum: Nicht nur wenn es um BIM geht, ist Ingenieure Wüst ein Wegbereiter. Innovationen sind die Antriebsfeder des Unternehmens. Gibt es andere Bereiche, in denen das Unternehmen neue Wege geht?
Stefan Wüst: Mit der BIMension haben wir nicht nur ein innovatives Unternehmen mit klarem Fokus auf BIM gegründet; zudem haben wir dessen Produkte mit dem Namen IntelliBIM gelabelt und wollen so den Bekanntheitsgrad steigern. Ziel ist, unseren digitalen Zwilling auf die Baustelle zu bekommen. Voraussetzung für diese Innovationskraft ist ein entsprechendes Know-how. Wir haben deshalb vor drei Jahren eine interne Akademie für unsere Mitarbeiter gegründet.
Wirtschaftsforum: Auch wenn es um die Unternehmenskultur geht, arbeiten Sie mit neuen Methoden wie Scrum. Was heißt das genau?
Stefan Wüst: Wir haben Teams nach der Scrum-Methode neu aufgeteilt; Scrum passt einfach ideal zu BIM. Die Methode ist mit einer hohen Selbstverantwortung verbunden; Ziele werden mit der Unternehmensleitung besprochen, die Umsetzung liegt beim Product Owner. Wir nutzen aktuell sechs bis sieben Scrum-Einheiten. Wichtig ist, dass dies kein starres Korsett ist, sondern jeder Gruppe viel Freiräume lässt. Letztlich ist unser Mut zur Digitalisierung einer unserer wichtigsten Erfolgsfaktoren. Momentan sind etwa 30% unserer Projekte als TGA-Anbieter BIM-lastig; in zwei bis drei Jahren sollen es 50% sein. Der Markt ist gereift und hat die Baubranche für digitale Anwendungen entdeckt. Deshalb haben wir die Vision, ein bundesweit geschätzter BIM-Partner zu werden.