Die Energiewende muss glaubwürdig kommuniziert werden – Klimaziele für 2050 helfen uns nicht weiter
Interview mit Volker Quaschning, Professor für das Fachgebiet Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin
Wirtschaftsforum: Herr Prof. Quaschning, vor kurzem ist Ihr neues Buch erschienen: Energierevolution jetzt. Auf welche Themen konzentrieren Sie sich in diesem Buch?
Prof. Quaschning: Die Idee für das Buch entstand über einen Podcast, den ich zusammen mit meiner Frau seit zwei Jahren regelmäßig sende. Einzelne Folgen hatten bis zu 60.000 Aufrufe. Wir haben in dem Buch jetzt die wichtigsten Folgen und Themen unseres Podcasts aufbereitet. Die zentrale Frage ist, wie uns der Umstieg auf eine nachhaltige Wirtschaft gelingen kann. Wir kommen wir aus der Klimakrise? Reichen Photovoltaikanlagen auf dem Dach, Windräder und Elektroautos? Welche Rolle spielt das Thema Kernenergie? Ganz wichtig: was können wir selbst zum Klimawandel beitragen, zum Beispiel durch Änderung unserer Lebensgewohnheiten? Wie sollten wir uns zum Beispiel ernähren? Dürfen wir überhaupt noch fliegen?
Wirtschaftsforum:Welche Forderungen haben Sie konkret an die Politik und die Medien?
Prof. Quaschning: Wir leben in einer Demokratie und das ist auch gut so. Wir müssen die Menschen vor allem massiv aufklären, denn sonst werden sie die nötigen drastischen Maßnahmen nicht verstehen und mittragen, und wir bleiben stecken. Nach wie vor gibt es viele Menschen, die die Dramatik der Klimakrise noch nicht verstanden haben. Das Thema Klimawandel muss stärker von den Medien bearbeitet werden. Es gibt eine schöne Initiative „Klima vor 8“, ähnlich wie „Börse vor 8“ – das wäre ein guter Ansatz. Über die Corona-Krise wird ständig berichtet – dabei ist die Klimakrise viel dramatischer. Und die Politik muss sich trauen, die nötigen Maßnahmen auch endlich mal durchzusetzen.
Wirtschaftsforum: Wenn Sie von Maßnahmen sprechen, was sind für Sie dabei die wichtigsten Ziele?
Prof. Quaschning: Ganz wichtig ist, dass Deutschland das Pariser Klimaschutzabkommen einhält. Die Regierung hat als Ziel die Klimaneutralität bis 2045 festgelegt, aber eigentlich müssen wir das schon bis 2035 erreichen. Hier ist die neue Regierung etwas mutlos gestartet. Robert Habeck hat 1,5 Grad versprochen, die er mit einer Klimaneutralität bis 2045 erreichen will – das ist ein wissenschaftlicher Widerspruch. Wir brauchen eine glaubwürdige Kommunikation – dazu muss man auch offen zugeben, dass man nachbessern muss, denn wir müssen im Expresstempo nachholen, was wir 30 Jahre lang versäumt haben.
Wirtschaftsforum: Was schlagen Sie also konkret vor?
Prof. Quaschning: Wir haben an der HTW Berlin kürzlich eine Studie veröffentlich, die beschreibt, was wir tun müssen, um bis 2035 tatsächlich klimaneutral zu werden. Wir dürften möglichst ab sofort keine neuen Öl- und Gasheizungen mehr einbauen und keine neuen Benzin- und Dieselautos mehr zulassen. Hierfür brauchen wir schnellstmöglich die nötigen Regeln. Außerdem müssen wir Solar- und Windenergie endlich richtig an den Start bringen. Wir brauchen einen Ausbaufaktor acht und den Dreiklang aus Solar, Wind und Speichern. Betrachtet man die Flächen in Deutschland, können wir uns zu großen Teilen selbst versorgen – natürlich verändert sich das Land dadurch. Man will Strom aus der Steckdose, aber kein Windrad, kein Kohlekraftwerk und auch keine Kernenergie – so kommen wir nicht weiter.
Wirtschaftsforum: Welche Rolle spielen die Unternehmen in Deutschland für den Klimawandel?
Prof. Quaschning: Die Rolle und auch die Haltung der Unternehmen hat sich in den vergangenen zwei Jahren stark geändert. Vor Beginn der Fridays-for-Future-Bewegung war das Engagement enttäuschend. Zudem wollte die Politik die Wirtschaft nicht fordern. Unternehmer und Führungskräfte haben aber auch Kinder. Fridays for Future hat hier zu einem echten Umdenken geführt. Die Unternehmen sind jetzt offen für Veränderungen und auch bereit zu investieren. Herbert Dies hat sogar vor der Wahl gefordert, die CO2-Steuer zu erhöhen. Bis vor einigen Jahren haben die Konzerne ihre Macht noch dazu genutzt, Zahlen zu verwässern und den Diesel weiter voranzutreiben. Die Frage ist nur: reicht das gegenwärtige Tempo aus? Ziele, die für 2050 gesetzt werden, helfen uns nicht.
Wirtschaftsforum:Was sagen Sie zur aktuellen Debatte um das Thema Kernenergie?
Prof. Quaschning: Ich stelle in den sozialen Netzwerken immer wieder fest, dass es erstaunlicherweise immer noch Fans der Kernenergie gibt. Dabei war das Thema um die Laufzeit der Kraftwerke für die Unternehmen, aber auch für die Politik in Deutschland schon lange durch. Eine Laufzeitverlängerung ist bei uns auch technisch gar nicht mehr realisierbar. Trotzdem ist sie jetzt wieder in der Diskussion, weil die EU-Kommission Gas- und Atomenergie als klimafreundlich, also als „grün“, einstufen will. Hier in Deutschland machen sich aber nicht einmal die FDP oder CDU stark dafür. Die Kernenergie ist nur noch ein Thema der AfD. Das ist ein schönes Beispiel, dass sich der politische Zeitgeist geändert hat.
Wirtschaftsforum: Sie engagieren sich schon sehr lange für das Thema Klima. Sie sind Wissenschaftler, kommunizieren aber an die breite Öffentlichkeit. Wie passt das zusammen?
Prof. Quaschning: Ich engagiere mich tatsächlich schon seit Anfang der 1990er-Jahre für den Klimaschutz. Schon damals gab es übrigens eine parteiübergreifende Enquete Kommission des Bundestags zum Thema Erderwärmung – die auch schon zu dramatischen Erkenntnissen gekommen ist. Ich möchte über meinen Beruf wissenschaftliche Lösungen entwickeln, habe aber gemerkt, dass es nicht ausreicht, nur in wissenschaftlichen Journalen zu veröffentlichen. Die Politik handelt nicht oder nur zögerlich, weil sie Angst vor der Abwahl hat. Ich lehne mich als Wissenschaftler bewusst mit meiner Kommunikation weit aus dem Fenster – denn Veränderung können wir nur über Aufklärung und eine breite Unterstützung durch die Bevölkerung erreichen. Dazu müssen wir raus aus unserem Elfenbeinturm der Wissenschaft.