Andreas Rettig: FC St. Pauli war schon immer rebellisch, weltoffen, aber auch selbstironisch

Interview mit Andreas Rettig, kaufmännischer Geschäftsleiter des FC St. Pauli

Wirtschaftsforum: Herr Rettig, Sie sind kaufmännischer Geschäftsleiter beim FC St. Pauli. Wie sieht denn Ihr typischer Arbeitsbereich aus?

Andreas Rettig: Ich bin ja dem Grunde nach eher Generalist und habe bei meinen vorherigen Stationen ebenfalls den sportlichen Bereich verantwortet. Bei St. Pauli haben wir eine Zweifachbesetzung in der Geschäftsleitung, bei der ich alle betriebswirtschaftlichen Belange verantworte. Um eine Größenordnung abzugeben: Wir machen etwas mehr als 50 Millionen EUR Umsatz im Jahr und haben in den letzten sieben Geschäftsjahren immer schwarze Zahlen ausgewiesen. Ich denke, dass wir diese Serie auch künftig fortsetzen können. 

FC St. Pauli Andreas Rettig
„Ich wollte eigentlich Trainer werden und habe auch die Fußballlehrerlizenz vor 20 Jahren erworben. Aber das Pendel hat dann am Ende Richtung Fußballmanagement ausgeschlagen.“ Andreas Rettig

Wirtschaftsforum: Sie haben bei Bayer eine Ausbildung zum Industriekaufmann abgeschlossen. War es für Sie dessen ungeachtet klar, dass Ihre berufliche Laufbahn mit Fußball verknüpft ist?

Andreas Rettig: Ich hatte damals einen tollen Mentor und Fürsprecher: Mein jahrelanger Chef war Reiner Calmund, mit dem ich heute noch freundschaftlich verbunden bin. Ich selbst war nur mit mäßigem fußballerischem Talent ausgestattet. Bei mir hat es nur für die dritte Liga gereicht. Reiner Calmund legte mir dementsprechend den Weg als Fußballmanager nahe. Nachdem ich viele Jahre im Konzern im Pharmabetrieb gearbeitet habe, bin ich tatsächlich für die Fußballabteilung freigestellt worden und arbeitete viele Jahre an Reiner Calmunds Seite. So habe ich das Handwerk von der Pike auf lernen können. Was immer ein weiterer Faktor war: Ich wollte eigentlich Trainer werden und habe auch die Fußballlehrerlizenz vor 20 Jahren erworben. Aber das Pendel hat dann am Ende Richtung Fußballmanagement ausgeschlagen.

Wirtschaftsforum: Sie kennen also die freie Wirtschaft und den Profifußball. Wo würden Sie da Schnittmengen ausmachen?

Andreas Rettig: Alles im Hinblick auf Zahlenwerke, wie zum Beispiel die Bilanz, sind bei einem Fußballverein genauso wie in der freien Wirtschaft. Wobei ich selbst nicht mehr von Fußballvereinen spreche, sondern von Kapitalgesellschaftsfußball. Weil eben nur ganz wenige Clubs wirklich als Verein firmieren. Viele haben Kapitalgesellschaften ausgegliedert.

Der gravierende Unterschied zwischen Realwirtschaft und Profifußball ist tatsächlich der öffentliche Fokus und die damit einhergehende Wahrnehmung. Ein Beispiel: Wenn Sie heute junge Leute nach drei Dax 30-Chefs fragen, kommen sie ins Stottern. Aber wenn Sie die 20 Kaderspieler vom FC Bayern nennen sollen, dann kommt das wie aus der Pistole geschossen. Ein weiterer Unterschied ist auch die emotionale Bindung. Wir sprechen im Fußball vom Fan und nicht vom Kunden. Das ist ganz entscheidend.

„Der gravierende Unterschied zwischen Realwirtschaft und Profifußball ist tatsächlich der öffentliche Fokus und die damit einhergehende Wahrnehmung.“ Andreas Rettig
Andreas Rettig

Wirtschaftsforum: Der Fußball ist im Wandel. Dabei spielt das Image der Vereine als Marke eine Rolle. St. Pauli hat da eine eigene Strahlkraft entwickelt. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Andreas Rettig: Die Strahlkraft des FC St. Pauli liegt aus meiner Sicht darin begründet, dass seine Entwicklung eben nicht am Marketingreißbrett vorgezeichnet ist. Viele Dinge sind aus der Anhängerschaft heraus entstanden. Denken Sie da an den Totenkopf als Symbol. Der Verein hat zudem schon Ende der 1980er-Jahre als linker, intellektueller Klub als erster eine Stadionordnung gegen Rechts und Rassismus herausgebracht. Das ist ja in diesen Tagen besonders erwähnenswert.  

Weiterhin hatte der Verein schon immer einen hohen Frauenanteil. Es ist eine Kultur da, die über das eigentliche Fußballereignis hinausgeht. Das wird ein Stück weit an den Markenwerten deutlich. Wir haben uns immer ein wenig als rebellisch gesehen, als weltoffen, aber auch als selbstironisch. Wir haben in Deutschland 18,3 Millionen Interessierte und davon sind 5,4 Millionen besonders interessiert. Was die Bekanntheit angeht, haben wir bundesweit einen Wert von 84% und in Hamburg liegt er bei 96%. Das liegt im Wesentlichen daran, dass wir uns außerdem um gesellschaftliche Themen kümmern. Natürlich wollen wir in erster Linie Fußball spielen und Erfolg haben, aber bei uns gibt noch mehr.

Interview: Markus Büssecker | Fotos: Witters GmbH

Lesen Sie den zweiten Teil des Interviews hier.

Tags
Nach themenverwandten Beiträgen filtern

Mehr zum Thema

Investitionen, die die Zukunft gestalten

Interview mit Dr. Christian Koch, Head BB Biotech @ Bellevue Asset Management AG

Investitionen, die die Zukunft gestalten

Die Biotechnologiebranche zählt zu den innovationsstärksten und dynamischsten Sektoren der globalen Wirtschaft. Getrieben von wissenschaftlichem Fortschritt, dem wachsenden Bedarf an neuen Therapien und Medikamenten sowie gesellschaftlichen Megatrends wie dem demografischen…

Troubleshooter, Psychologen, Zuhörer

Interview mit Mag. Karl Wiesflecker, Geschäftsführer der Franz Kramas Gebäudeverwaltung GmbH

Troubleshooter, Psychologen, Zuhörer

Die Franz Kramas Gebäudeverwaltung GmbH mit Sitz in Wien zählt zu den traditionsreichsten Hausverwaltungen der Stadt. Seit fast einem Jahrhundert betreut das Familienunternehmen Miet- und Wohnungseigentumsliegenschaften mit besonderem Augenmerk auf…

Kälte mit Konzept – Trockeneis, ­Technik und Zukunftsenergie

Interview mit Philipp ten Eicken, Geschäftsführer der CLEANGAS Verwaltungs GmbH

Kälte mit Konzept – Trockeneis, ­Technik und Zukunftsenergie

Ob in der Lebensmittelindustrie, beim Versand sensibler Waren oder in der Automobilbranche – Trockeneis ist ein unverzichtbarer Helfer. CLEANGAS zählt hier zu den führenden Anbietern. Geschäftsführer Philipp ten Eicken spricht…

Spannendes aus der Region Hamburg

Sichere Schleusen: Kein Zugang für Würmer

Interview mit Dipl.-Inform. Till Dörges Geschäftsführer der PRESENSE Technologies GmbH

Sichere Schleusen: Kein Zugang für Würmer

Der digitale Fortschritt hat auch seine Schattenseiten. So finden über Schadprogramme Würmer und Viren oft Zugang in Unternehmensnetzwerke. Die PRESENSE Technologies GmbH mit Sitz in Hamburg sorgt in Behörden und…

Gold: Sichere Wertanlage in unsicheren Zeiten

Interview mit Justyna Slowikow, Leitung Edelmetallhandel der Goldkontor Hamburg GmbH

Gold: Sichere Wertanlage in unsicheren Zeiten

Seit Menschengedenken ist Gold die Wertanlage schlechthin. Das gelbe Edelmetall gilt als krisensicher und wertbeständig und ist für Anleger oft die erste Wahl. Justyna Slowikow, Leiterin Edelmetallhandel der Goldkontor Hamburg…

Weil wir so sind: Stark in der Nische, klar in der Haltung

Interview mit Werner Brase, Vorstand der Allcura Versicherungs-AG

Weil wir so sind: Stark in der Nische, klar in der Haltung

Die Hamburger ALLCURA Versicherungs-AG steht für ein verantwortungsbewusstes Geschäftsmodell. Als unabhängiger Spezialversicherer konzentriert sich das Unternehmen auf die Vermögensschaden-Haftpflicht. Nachhaltigkeit und Kundenorientierung prägen die Unternehmenskultur. Oder, wie Vorstand Werner Brase…

Das könnte Sie auch interessieren

Mit Passion für den Pferdesport gelingt der Sprung in die Zukunft

Interview mit Ralf Berger, Geschäftsführer der Pferdesporthaus Loesdau GmbH & Co. KG

Mit Passion für den Pferdesport gelingt der Sprung in die Zukunft

Das Pferdesporthaus Loesdau zählt dank seines starken Filialnetzes sowie seiner schlagkräftigen E-Commerce-Präsenz zu den bekanntesten Reitsportfachgeschäften in Deutschland und Österreich. Mit welcher Vision und welchen Werten das Traditionsunternehmen den Weg…

Gut für Mensch und Umwelt

Interview mit Michal Brandauer-Netreba, Verkaufsleiter-Sport der Brav Germany GmbH

Gut für Mensch und Umwelt

Outdoorkleidung, die mit Fluor behandelt wurde, ist wasserdicht und sogar ölabweisend. Doch im Alltag reichen atmungsaktive und wasserabweisende Funktionen. Zumal die Produktion von Fluorbeschichtungen häufig eine erhebliche Gefahr für Mensch…

Die Piste genießen, die Natur bewahren

Interview mit Necip Lucian, Geschäftsführer der Bergbahn Lech-Oberlech GmbH & Co. KG

Die Piste genießen, die Natur bewahren

Schneesicherheit. Das Zauberwort für eine erfolgreiche Wintersaison und ein ungetrübtes Pistenvergnügen. Im Skigebiet Lech-Oberlech in Österreich ist Skifahren häufig von Dezember bis April möglich. Die Bergbahn Lech-Oberlech GmbH stellt sich…

TOP