Silber gegen Biofilm: die Zukunft der Implantattechnik?
Interview mit Agnieszka Mierzejewska, COO der aap Implantate AG

Wirtschaftsforum: Frau Mierzejewska, als die Welt 2022 die Coronapandemie hinter sich zu lassen begann, folgten die nächsten geopolitischen Krisen auf dem Fuße – mit massiven gesamtwirtschaftlichen Verwerfungen. Wie stark war die aap Implantate AG davon betroffen?
Agnieszka Mierzejewska: Massiv – denn wir kamen gerade aus einem Restrukturierungsprozess, und waren nun auf einmal als energieintensives metallverarbeitendes Unternehmen mit drei- bis vierfach erhöhten Stromkosten konfrontiert. Gleichzeitig waren 20% des weltweit verfügbaren Titans für uns nicht mehr zugänglich, da dieses aus Russland stammt.
Wirtschaftsforum: Trotzdem konnten Sie bei Ihrer großangelegten Humanstudie zu Implantaten mit Silberoberflächen erhebliche Fortschritte erzielen.
Agnieszka Mierzejewska: Bei den gegenständlichen Implantaten bringen wir Silber in die Titanoxidschicht der jeweiligen Platte ein, sodass eine homogene Oberfläche entsteht, die nach der Einbringung in den menschlichen Körper Silberionen freisetzt, damit das Risiko der Bildung eines Biofilms möglichst stark reduziert wird – denn wo kein Biofilm, da verringert sich das Risiko für eine Infektion drastisch. Derzeit läuft eine Doppelblindstudie mit knapp über 200 Patienten, die den Nachweis erbringen soll, dass unser Medizinprodukt mindestens so sicher ist wie das unbehandelte Pendant. Im August letzten Jahres wurde schließlich der letzte Studienteilnehmer behandelt und nach der einjährigen Nachbeobachtungszeit wird im August schließlich auch die letzte Explantation beziehungsweise Nachbeobachtung erfolgen. Bis Ende des Jahres/Anfang kommenden Jahres dürfte dann auch der Abschlussbericht der Studie durch die CRO vorliegen – ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Zulassung.
Wirtschaftsforum: Unterdessen haben Sie bereits einzelne Heilversuche* mit entsprechenden Implantaten durchgeführt – einer der behandelten Patienten war dabei ein ukrainischer Soldat.
Agnieszka Mierzejewska: Er wurde im Juni 2022 mit schweren Kriegsverletzungen eingeliefert – unter anderem einer offenen Fraktur und tiefen Wunden am Bein samt einer massiven Entzündung, die trotz mehrfacher antibiotischer Behandlungen keine Besserung zeigte. Der Patient war damit im Grunde austherapiert und der nächste Schritt wäre die Amputation der Extremität gewesen. Der behandelnde Arzt in Hamburg hatte von unserer antibakteriellen Technologie gehört und sah in diesem Fall keinen anderen Ausweg mehr. Die Ergebnisse waren dann sehr erfreulich: Schon sechs Wochen nach der Operation war eine Knochenkonsolidierung zu sehen, acht Wochen später eine infektionsfreie Weichteilpartie. In zwei anderen Fällen konnten wir ähnlich beeindruckende Ergebnisse erzielen. Natürlich sind die bisher gewonnen klinischen Daten noch nicht ausreichend für die umfassenden Zulassungsverfahren – aber sie bestärken uns doch nachhaltig darin, mit unserer Technologie auf dem richtigen Weg zu sein.
Wirtschaftsforum: Die Anwendungsfelder dürften noch deutlich über Ihre angestammte Kernexpertise hinausgehen.
Agnieszka Mierzejewska: Wir sind uns bewusst, dass der Scope unserer Technologie mit unserem Produktportfolio noch lange nicht endet. Deswegen führen wir bereits Gespräche mit anderen Marktteilnehmern, denen wir unsere Oberflächenbehandlungstechnik perspektivisch als Dienstleistung zur Verfügung stellen könnten – um uns so auch einen weiteren Revenue-Stream zu erschließen. Unser Ziel ist eine Plattformtechnologie, die, so haben erste Tests an Produkten anderer Marktmitbewerber gezeigt, geometrieunabhängig abdecken kann, von der Prothese bis hin zum Herzschrittmachergehäuse.
* Individuelle Heilversuche finden in Ausnahmefällen Anwendung, wenn es keine Standardbehandlung (mehr) gibt; die Entscheidung obliegt dem Arzt und Patienten nach genauer Abklärung aller Alternativen sowie einer fundierten Aufklärung, s. als Beispiel folgende Referenz: Individuelle_Heilversuche_gemeinsames_Informationsblatt_EK_und_FEK.pdf