Erfolgreich durch Werte
Interview mit Dr. Sabine Nikolaus, Landesleiterin Deutschland Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG
Wirtschaftsforum: Frau Dr. Nikolaus, wie wichtig ist der Standort Deutschland für Sie?
Dr. Sabine Nikolaus: Deutschland ist unser Heimatmarkt und wir bekennen uns klar zu unserem Standort hier. Mehr noch, wir sind ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für Deutschland: ein Wirtschaftsfaktor mit Innovationskraft. Wir sind kein Treiber der nationalen Gesundheitskosten. Im Gegenteil: Wir investieren in den deutschen Markt mehr, als wir hier umsetzen: Wir haben 2021 rund 1,9 Milliarden EUR Umsatz in Deutschland gemacht. Das sind 9% unseres Umsatzes weltweit. Gleichzeitig haben wir 2021 rund zwei Milliarden EUR in die Forschung und Entwicklung (F&E) in Deutschland investiert, weitere 411 Millionen EUR in Sachanlagen. Das entspricht 48% aller F&E beziehungsweise 42% aller weltweit für Sachanlagen erfolgten Investitionen. Zudem arbeiten rund ein Drittel aller 52.000 Mitarbeitenden von Boehringer Ingelheim in Deutschland. Unsere Produktion betreiben wir zu rund 70% in Europa.
Wirtschaftsforum: Was sind heute die wichtigsten Säulen des Geschäftes von Boehringer Ingelheim?
Dr. Sabine Nikolaus: Wir haben im Konzern drei Säulen. Mit Abstand am wichtigsten ist der Bereich Humanpharma, Arzneimittel für Menschen, der 74% unseres Konzernumsatzes weltweit ausmacht. Unser zweites Standbein ist das biotechnologische Auftragsgeschäft, das in Deutschland den größten Geschäftsanteil darstellt. Komplettiert wird unser Portfolio durch den Bereich Tiergesundheit. Dies ist ein stark wachsender Markt, insbesondere der Haustiermarkt, auch in Deutschland. Wir sind auch im Nutztierbereich, in der Prävention von Erkrankungen, stark aufgestellt. Im Segment Pferdegesundheit sind wir weltweit Marktführer.
Wirtschaftsforum: In der Biotechnologie agieren Sie unter anderem als Lohnhersteller?
Dr. Sabine Nikolaus: Ja, wir entwickeln und produzieren im Auftrag biopharmazeutische Produkte. Dabei decken wir die gesamte Wertschöpfungskette von der ersten Idee bis hin zur Verpackung und der weltweiten Versorgung für unsere Auftraggeber ab. Wir haben auch eigene biotechnologische Produkte im Portfolio. Dabei konzentrieren wir uns auf biotechnologische Innovationen in Bereichen mit hohem medizinischen Bedarf. Aktuell bekommt das Thema Biotechnologie, nicht zuletzt durch die Pandemie, Aufwind.
Wirtschaftsforum: Wo sehen Sie Boehringer Ingelheim im Biotech-Markt und was sind hier aktuelle Themen und Trends?
Dr. Sabine Nikolaus: Wir sind in Deutschland und weltweit ein Pionier der Biotechnologie und weisen eine beispiellose Exzellenz aus Tempo und hoher Qualität auf. Unser biotechnologisch hergestelltes Schlaganfall-Medikament ist eine wichtige Therapieoption bei einem akuten Schlaganfall. Ein Thema am Markt ist die mRNA-Technologie, die wir auch Nutzen. Wir haben im vergangenen Jahr das Labor Dr. Merck zur Erforschung von onkolytischen Viren übernommen und investieren jetzt gezielt in den Ausbau, die Entwicklung und Produktion. Hier werden Viren als Botenstoffe, Vektoren, genommen, um Arzneistoffe in den Körper, in die Tumore, einzuschleusen.
Wirtschaftsforum: Welche Entwicklungen stehen bei Ihnen im Bereich der Humanarzneimittel in der nächsten Zeit an?
Dr. Sabine Nikolaus: Unser wichtigstes Medikament gegen Typ-2-Diabetes hat gerade die Zulassung für zwei neue Indikationen in der Herzinsuffizienz erhalten. Das gibt dem Produkt weltweit eine große Bedeutung. Unsere Wurzeln liegen allerdings im Bereich der Atemwegsmedikation. Hier haben wir im vergangenen Jahr einen wiederverwendbaren Inhalator auf den Markt gebracht, der einen Zusatznutzen für Patienten hat und gleichzeitig auch ein Beitrag zu Nachhaltigkeit ist. Aus unserer Forschung haben wir einige neue Produkte in der Pipeline. Bis 2025 werden wir rund 15 neue Produkte in den Markt bringen können, unter anderem einen GLP1-Antagonisten zur Behandlung einer nichtalkoholischen Fettleber. Dafür wurde uns von der FDA bereits ein beschleunigtes Zulassungsverfahren erteilt, womit die besondere Bedeutung des Produktes unterstrichen wurde. Wir haben außerdem zwei Wirkstoffe zur Behandlung von Schuppenflechte in der Entwicklung sowie ein Medikament gegen Schizophrenie.
Wirtschaftsforum: Welche Rolle spielt die Digitalisierung als Treiber neuer Entwicklungen?
Dr. Sabine Nikolaus: Wir befinden uns seit Jahren in einer digitalen Transformation. Die Pandemie hat das Thema zusätzlich befeuert. Die Welt hat sich in den letzten zwei Jahren geändert. Wir konnten die Digitalisierung mit offenen Armen empfangen. Bei Boehringer Ingelheim haben wir im Herbst 2021 unsere neue Tablettenproduktion eingeweiht, eine Smart Factory, die fast vollständig digitalisiert arbeitet. Sie ist eine der ersten Smart Factories, die es in Deutschland gibt. In der Forschung arbeiten wir mit unserem digitalen Forschungsassistenten ‘ADAM’. Wir gestalten aktiv die digitale Gesundheit mit. Beispielsweise entwickeln wir digitale Anwendungen, die Patienten im Alltag dabei unterstützen, spezielle Übungen zu machen.
Wirtschaftsforum: Wie wichtig ist das Thema Nachhaltigkeit für Boehringer Ingelheim?
Dr. Sabine Nikolaus: Unsere ‘Be Green’-Initiative hatte letztes Jahr zehnjähriges Jubiläum und wird als ‘More Green‘ weitergeführt. Nachhaltigkeit ist seit Langem fester Bestandteil in allen Bereichen. Unsere Wirtschaftsbetriebe wurden mehrfach ausgezeichnet. Wir betreiben regionales Sourcing und Kreislaufwirtschaft, wann immer möglich. Auch bei den Lieferketten ist uns das Thema wichtig. Wir setzen jetzt am Standort in Ingelheim komplett auf Biomasse und haben hier ein Investitionsprojekt mit einem Volumen von rund 200 Millionen EUR für unsere künftige Energieversorgung angestoßen. Ende 2023 möchten wir die Anlage in Betrieb nehmen.
Wirtschaftsforum: Woher nimmt das Unternehmen seine Innovationskraft?
Dr. Sabine Nikolaus: Uns gibt es seit 137 Jahren. Unser größtes Asset sind unsere Mitarbeitenden. Sie sind hochmotiviert und mit Herzblut dabei. Wir entwickeln und forschen als Team. Für einen bereichsübergreifenden Austausch haben wir unseren Campus aufgebaut. Unsere Unternehmenskultur ist offen und fördert Engagement. Wir verfolgen schon seit Langem eine interdisziplinäre Zusammenarbeit und denken nicht in Silos. Unsere Forschung ist exzellent und erkennt frühzeitig wichtige Trends. Grundsätzlich fokussieren wir uns auf Bereiche, wo es den größten ungedeckten medizinischen Bedarf gibt. Das treibt uns an.
Wirtschaftsforum: Welche Themen haben Sie sich für das Jahr 2022 vorgenommen?
Dr. Sabine Nikolaus: Wir sind bestürzt über den Krieg in der Ukraine. Davon kann sich niemand freimachen. Geschäftlich hat das Jahr 2022 für uns sehr vielversprechend begonnen. Unsere neuen Produkte und Therapien laufen gut an. Uns wird natürlich die weitere digitale Transformation beschäftigen. Und wir werden uns alle sehr freuen, wenn wir hier am Standort als Team wieder mehr vor Ort arbeiten können.