Hightech trifft auf Papier

Interview mit Rinat Stark, CEO der Advanced Industries Packaging GmbH

Wirtschaftsforum: Herr Stark, Sie sind CEO der AIP Advanced Industries Packaging GmbH und seit 2018 für das Unternehmen tätig. In diesen sieben Jahren gab es mit COVID und dem Krieg in der Ukraine nicht nur unruhige Zeiten, sondern auch große Herausforderungen. Wie ist AIP mit diesen Krisen umgegangen? Waren sie eine Zäsur oder ist das Unternehmen gestärkt daraus hervorgegangen? 

Rinat Stark: Die Pandemie und der Ukrainekrieg haben die Entwicklung von AIP nachhaltig beeinflusst. Das Unternehmen hatte jedoch auch schon vorher eine sehr bewegte Geschichte und musste viele Umbrüche meistern.

Wirtschaftsforum: Können Sie wichtige Entwicklungsschritte beschreiben? 

Rinat Stark: Gegründet wurde das Unternehmen 1990 im Norden Europas. Die erste Produktionsstätte in den Niederlanden nahm ihren Betrieb im 19. Jahrhundert auf. Zum Unternehmen gehörten damals verschiedene Firmen aus dem Bereich Zellstoff und Papier. Das Jahr 2005 markierte eine Zäsur: Das russische Unternehmen JSC Segezha Pulp & Paper, Experte für besonders robustes Sackkraftpapier, wurde Eigentümer und führte die Unternehmensgruppe in eine neue Ära. Bei dem Papier handelt es sich um ein Nischenprodukt; der Markt ist rund 30% kleiner als der von Kraftpapier. Das russische Unternehmen geriet in ernsthafte Schwierigkeiten, wurde mehrfach verkauft – zuletzt 2014 an einen großen russischen Investmentkonzern aus Moskau namens Sistema. Eine erneute Zäsur brachte der Krieg in der Ukraine. Seitdem war es unmöglich, weiter Papier aus Russland zu beziehen. Vor diesem Hintergrund trafen die Shareholder die Entscheidung, das Unternehmen an einen Pool europäischer Investoren zu verkaufen – die Geburtsstunde der Advanced Industries Packaging.

Wirtschaftsforum: Damit liegt eine bewegte Geschichte hinter AIP. Ist mit der Übernahme durch den deutschen Private Equity-Fonds eine längerfristige Stabilität verbunden?  

Rinat Stark: Die Übernahme ist definitiv nicht das Ende der Geschichte. Es war von Beginn an klar, dass die Investoren AIP für die nächsten fünf bis sechs Jahre halten und diese Zeit für Restrukturierungen nutzen werden. Nach dieser Phase steht ein erneuter Verkauf an. Das heißt, in absehbarer Zukunft wird sich die Geschichte wechselnder Shareholder fortsetzen.

Wirtschaftsforum: Hat sich mit der Übernahme etwas an den Assets geändert? 

Rinat Stark: Wir haben heute ausschließlich Produktionsstätten in Europa. Ein Werk in der Türkei wurde vor etwa einem Jahr verkauft, weil die Türkei im Gegensatz zu den Europäern weiterhin günstiges russisches Papier bezieht. Heute gehören deshalb sechs Unternehmen aus den Niederlanden, Deutschland, Dänemark, Italien, Tschechien und Rumänien zur Gruppe. In der Vergangenheit haben wir immer mit russischem Papier gearbeitet und waren Teil einer integrierten Supply Chain. Seit 2023 sind wir nicht mehr Teil dieser Supply Chain, was signifikante Auswirkungen auf unser Unternehmenskonzept hat.  

Wirtschaftsforum: Wie groß ist das Unternehmen nach diesen zahlreichen Veränderungen?

Rinat Stark: Wir beschäftigen heute rund 550 Mitarbeiter und erwirtschaften einen Umsatz von etwa 150 Millionen EUR. Als Nummer zwei des europäischen Marktes haben wir einen Marktanteil von rund 10%. Zum Vergleich: Die Nummer eins des insgesamt sehr kleinen Papiermarktes hat 45 Produktionsstätten und einen Marktanteil von über 50%. 

Wirtschaftsforum: AIP blickt auf eine bewegte Geschichte zurück; auch aktuell leben wir in ökonomisch und politisch instabilen Zeiten. Welche Erwartungen haben Sie an die Marktentwicklung in den nächsten Monaten?

Rinat Stark: Der Markt ist am Boden; 2022 war das letzte gute Jahr – ein Rekordjahr. Unsere Entwicklung hängt stark von den jeweiligen Produktsegmenten ab. 50% unseres Umsatzes entfallen auf Papiersäcke für Zement; darüber hinaus bieten wir Säcke für Tierfutter, Saatgut und Milchprodukte an. Jedes einzelne Marktsegment entwickelt sich unterschiedlich. Da die Baubranche momentan in einer Krise steckt, ist der Markt für Zement und andere Baumaterialien stark eingebrochen. Hinzu kommt, dass es bei unserem Geschäft um Quantität, um Volumen geht. Auch wenn sich einzelne Segmente positiv entwickeln, hat dies angesichts der schwierigen Situation in der Bauindustrie langfristig keine allzu großen Auswirkungen. Insgesamt stellt sich der Markt damit sehr schwierig für uns dar.

Wirtschaftsforum: Was zeichnet das Produktprogramm insgesamt aus und wie kann sich AIP vom Wettbewerb absetzen? 

Rinat Stark: Uns geht es nicht allein um Produkte, sondern darum, die Wünsche und Bedürfnisse unserer Kunden zu verstehen. Der Service spielt eine tragende Rolle. Auf keinem der von uns produzierten Säcke ist unser Name oder Logo zu finden. Jeder einzelne Sack wird nach Kundenwunsch gefertigt und mit dem Kundenlogo versehen. Gemeinsam mit den Kunden arbeiten wir am Design und den perfekten Dimensionen. Unsere Techniker besuchen Kunden vor Ort, um optimale Lösungen zu erarbeiten. Kunden erwarten nicht nur hochwertige Säcke zur richtigen Zeit, sondern Produkte, die für sie wirklich funktionieren. Als Partner der Kunden bieten wir einzigartige Lösungen an. In den Niederlanden und in Dänemark produzieren wir beispielsweise unter Reinraumbedingungen. Unser Fokus liegt heute stärker auf Säcken für Nahrungsmittel, Tierfutter und Chemieprodukte; hier können wir mit komplexen Produkten und entsprechenden Services überzeugen.

Wirtschaftsforum: Wie geht AIP als Hersteller von Papiersäcken mit dem Thema Nachhaltigkeit um? 

Rinat Stark: Wir sehen Nachhaltigkeit als selbstverständliche Verpflichtung an. Unsere Nachhaltigkeitsreise startete 2017; seitdem arbeiten wir mit der Ecovadis-Plattform, um bestimmte Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, und verbessern uns Jahr für Jahr. Wir verfügen über alle wichtigen Zertifizierungen, Audits und Lifecycle-Assessments und sind so aufgestellt, dass wir Kunden genau das liefern können, was sie heute und in Zukunft wünschen. Das Problem ist, dass Kunden uns oft nicht genau mitteilen, was sie wirklich wollen. Für große Zementhersteller spielen Säcke am Ende des Tages nur eine untergeordnete Rolle. Während Nachhaltigkeit zunehmend diskutiert wird, spielt sie in der Praxis bei Beschaffungsentscheidungen oft nur eine untergeordnete Rolle. In vielen Fällen wird sie in den Produktspezifikationen gar nicht erwähnt – letztlich bleibt der Preis der entscheidende Faktor. Das zeigt, dass Nachhaltigkeit noch nicht vollständig als zentrale Priorität in der Branche angekommen ist.

Wirtschaftsforum: Wo sehen Sie AIP in der Zukunft? 

Rinat Stark: Qualität und Service werden auch künftig wichtige Alleinstellungsmerkmale sein. Zwar können viele Anbieter Säcke herstellen, aber nicht viele so technologisch komplexe Produkte wie wir. Wie es weitergeht, wird von den Plänen der Eigentümer abhängen. Die letzten zwei Jahre waren hart und es ging nur darum, zu überleben. Aber schwierige Zeiten bringen nicht selten das Beste in den Menschen zum Vorschein – genau das haben wir erlebt. Wir sind stolz auf das, was wir erreicht haben. Menschen vertrauen uns, und das motiviert uns.

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