Reichweitenangst hat sich in den Köpfen festgesetzt

Interview mit Jona Christians, Gründer und CEO der Sono Motors GmbH

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Wirtschaftsforum: Mit integrierten Solarzellen in der Motorhaube will Ihr Sion das wohl nervigste Problem der derzeitigen Elektromobilität lösen: lange Ladezeiten und kaum öffentliche Lademöglichkeiten. Reicht das aus Ihrer Sicht aus, um der Elektromobilität zum Durchbruch im Massenmarkt zu verhelfen?

Jona Christians: Wir sehen damit den Durchbruch klar möglich. Vor der Gründung von Sono Motors haben wir die drei größten Probleme der Elektromobilität eindeutig identifiziert: Das waren der Preis, die unzureichende Ladeinfrastruktur und die Reichweite. Diese Probleme haben sich auch in den Köpfen der Menschen festgesetzt und sind zu generellen Vorbehalten gegen die Elektromobilität geworden. Man spricht hier auch von der Reichweitenangst. Die gehen wir nun mit unserer Solarintegration ganz explizit an: Unseren Sion kann man auch weiterfahren, wenn mal keine Ladestation in unmittelbarer Nähe ist. Damit sprechen wir auch explizit die Stadtgesellschaft an: Wenn man keine Garage hat, kann man das Fahrzeug einfach auf der Straße stehen lassen und es lädt sich selbst wieder auf.

Jona Christians
„Vor der Gründung von Sono Motors haben wir die drei größten Probleme der Elektromobilität eindeutig identifiziert: Das waren der Preis, die unzureichende Ladeinfrastruktur und die Reichweite.“ Jona Christians

Wirtschaftsforum: Mit einem angestrebten Neupreis von circa 20.000 EUR (16.000 EUR für das Fahrzeug, 4.000 EUR für die Batterie) ist der Sion nicht nur ein innovatives, sondern auch ein relativ preiswertes Auto: Wieso kann Ihr Start-up günstigere Preise bieten als viele etablierte Player?

Jona Christians: Weil wir auch in der Fertigung neue Wege gehen und unser Fahrzeug ohne Produktvariationen herstellen. Es gibt den Sion nur in einer Variante und es gibt nur eine Ausstattung. Das vereinfacht unser Logistik-Konzept und macht uns sowohl bei der Fertigung als auch im After-Sales-Service, etwa bei Reparaturen, schlanker. Wir haben an uns den Anspruch, den Sion so zu gestalten, dass er die Kundenanforderungen von Anfang an erfüllt, ohne zusätzliche optionale Features zu benötigen.

„Wir haben an uns den Anspruch, den Sion so zu gestalten, dass er die Kundenanforderungen von Anfang an erfüllt, ohne zusätzliche optionale Features zu benötigen.“ Jona Christians
Jona Christians

Wirtschaftsforum: Derzeit kann Sono Motors fast 7.500 Vorbestellungen für seinen Sion vorweisen. Ist eine solche Bestellmenge für ein so junges Start-up trotz Auslagerung der Fertigung nicht eine enorme Herausforderung? Und welche Schlagzahl streben Sie langfristig für Ihr Produkt an?

Jona Christians: Langfristig planen wir mit einer Stückzahl von 260.000. Wir können die Produktion so schnell und zuverlässig starten, weil wir unser Fahrzeug extern produzieren lassen. Wir haben die Probleme von anderen Unternehmen in der Elektromobilität, die in der Anlaufzeit Produktionsschwierigkeiten hatten, genau beobachtet und sind deswegen bewusst in eine andere Richtung gegangen. Anstatt eine neue Fabrik zu bauen und auf der grünen Wiese neu anzufangen, kooperieren wir eng mit unserem Auftragsfertiger und stoßen in seiner stehenden Produktionshalle in der Fertigungslinie dazu. Somit können wir von Anfang an auf eine umfassende Produktionsexpertise zugreifen, was es uns ermöglicht, diese Schlagzahlen von Anfang an zu erreichen.

Wirtschaftsforum: Ihr Unternehmen hat seinen Sitz in München, die Batterie des Sion wird ebenfalls in Deutschland hergestellt, das Fahrzeug selbst in Europa gefertigt. Im Gegensatz dazu wird dem Automobilstandort Deutschland in den Medien regelmäßig der Untergang prophezeit. Sitzt Sono Motors also auf einem sinkenden Schiff? Oder liegen all die Marktbeobachter falsch?

Jona Christians: Ich glaube nicht, dass das Schiff sinkt – auch nicht für die bestehenden Automobilhersteller. Ich glaube eher, dass sich dieses Schiff gerade wendet und dass es sich umbauen muss, weil es nicht so weiterfahren kann. Aber grundsätzlich kann der Markt der Elektromobilität aufgrund seines extremen Wachstums erst einmal außerordentlich viel aufnehmen. Es fehlt nicht an der Nachfrage, es fehlt am Angebot. Wir sehen den Automobilstandort Deutschland weiterhin als prägend an und wir haben uns bewusst dafür entschieden, die Wertschöpfungskette in Europa zu behalten, um kurze Lieferzeiten und eine schnelle Abstimmung zu ermöglichen. Der Automobilstandort Deutschland durchläuft gerade keine dunkle Epoche, sondern nur ein Zeitalter, in dem sich einiges ändern wird.

Jona Christians
„Grundsätzlich kann der Markt der Elektromobilität aufgrund seines extremen Wachstums erst einmal außerordentlich viel aufnehmen. Es fehlt nicht an der Nachfrage, es fehlt am Angebot.“ Jona Christians

Wirtschaftsforum: Stichwort Veränderungen: Oliver Blume, Vorstandsvorsitzender von Porsche, hat in unserem Interview die These aufgestellt, dass sich die Automobilindustrie in den nächsten fünf Jahren tiefgreifender verändern wird als in den letzten fünfzig Jahren. Stimmen Sie ihm zu? Und wo sehen Sie die größten Veränderungen auf uns zu kommen?

Jona Christians: Da stimme ich Herrn Blume zu 100 % zu. Wir durchleben wahrscheinlich gerade die größte Veränderung, die es in der Automobilindustrie je gab. Insbesondere zwei Megatrends – die Elektromobilität und das autonome Fahren – haben diese Entwicklung vor einigen Jahren angestoßen, und die tiefgreifenden Veränderungen, die sich aufgrund von ihnen vollziehen, werden sich auch noch die nächsten fünf Jahre rasant fortsetzen. Sie ermöglichen es erst, dass so viele neue Konzepte aufkommen können und dass sich so viele neue Unternehmen etablieren.

Wirtschaftsforum: Werden diese beiden Trends – Elektromobilität und autonomes Fahren – in Ihren Augen Hand in Hand gehen?

Jona Christians: Sie greifen definitiv ineinander, wobei sie technisch gesehen nicht per se voneinander abhängig sind. Elektromobilität macht das autonome Fahren einfacher, aber es ist kein Muss. Allerdings ist die Elektromobilität im Alltag schon ein gutes Stück angekommen. Man sieht sie schon auf der Straße – anders als das autonome Fahren. Wir gehen derzeit davon aus, dass es erst in fünf Jahren vollumfänglich autonome Fahrzeuge auf den Straßen geben wird.

Wirtschaftsforum: Sono Motors engagiert sich bisher nicht bei der autonomen Mobilität. Wenn Sie selbst aber in fünf Jahren vollautonome Fahrzeuge auf den Straßen sehen: Ist Ihre Technik dann nicht schon in wenigen Jahren völlig überholt?

Jona Christians: Zugegeben, ein sehr guter Punkt. Aber wir gehen diesen Trend derzeit bewusst nicht mit. Das lässt sich auch ganz einfach erklären: Denn das autonome Fahren spielt sich aktuell vor allem im Luxussegment ab, mit Fahrzeugpreisen von über 70.000 EUR. Ökonomisch erwarten wir dasselbe Verbreitungsmuster, das bei den meisten technischen Entwicklungen in der Vergangenheit stattgefunden hat: Ein Produkt wird zunächst für das Luxussegment entwickelt und im Zuge von weiteren technischen Innovationen später massentauglich. Sono Motors wird erst in das autonome Fahren einsteigen, wenn es massentauglich wird – und zu diesem Zeitpunkt werden wir mit unserem Sion auch nachziehen können.

„Sono Motors wird erst in das autonome Fahren einsteigen, wenn es massentauglich wird – und zu diesem Zeitpunkt werden wir mit unserem Sion auch nachziehen können.“ Jona Christians
Jona Christians

Wirtschaftsforum: Unter Fahrzeugherstellern gibt es gerade einen fast schon philosophischen Disput: Die einen wollen das Auto zum bloßen Nutzgegenstand machen, die anderen es als sinnliches Freizeitobjekt für Spaß und Lebensfreude bewahren. Lassen Ihre Slogans „Driven by the Sun“ und „Unendliche Mobilität“ den Schluss zu, dass Sie Ihren Sion eher im Sinne von Nutzbarkeit als im Sinne von Freude am Fahren betrachten? 

Jona Christians: Das Auto wird seine Hauptrolle als dominantes Fahrzeug in der Mobilität immer mehr verlieren und stattdessen Teil eines gesamtheitlichen Mobilitätskonzepts sein. Gleichzeitig wollen wir unseren Sion aber nicht als reinen Nutzgegenstand verstanden wissen, sondern vielmehr auch eine menschliche Komponente zeigen, eine gewisse Einfachheit. Wir wollen keinen Sportwagen in Klein nachbauen, sondern ein Fahrzeug, das seinen Fahrer von A nach B bringt und in dem man sich wohlfühlen kann. In dem Segment, in dem wir uns bewegen – Familien, Städter, Pendler, – besteht die Hauptanforderung darin, für Übersichtlichkeit im Fahrzeug sowie für ein funktionales Design zu sorgen. Wenn Sie im Sion sitzen, haben Sie auf jedem Sitz viel Platz, im Fahrzeug ist viel Licht, es ist angenehm und gemütlich: menschlich, aber nicht verspielt.

Jona Christians
„Das Auto wird seine Hauptrolle als dominantes Fahrzeug in der Mobilität immer mehr verlieren und stattdessen Teil eines gesamtheitlichen Mobilitätskonzepts sein.“ Jona Christians

Für uns ist das Auto aber nur ein Puzzlestück. Wir wollen nicht den Trend mitgehen und so viele Fahrzeuge wie möglich produzieren und auf die Straße stellen. Stattdessen wollen wir nachhaltige Mobilität anbieten. In Zukunft wird Sono Motors auch für Mobilitätsdienstleistungen stehen.

Interview: Julian Miller, Fotos: Sono Motors

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