Wie der Kunststoffspritzguss intelligenter wird
Interview mit Dr. Bastiaan Oud, CEO der Simcon kunststofftechnische Software GmbH

Wirtschaftsforum: Herr Dr. Oud, seit über 30 Jahren unterstützt Simcon mit starken Software-Lösungen bei der Simulation und Optimierung von Kunststoffspritzgussprozessen – wie gehen Sie dabei genau vor?
Dr. Bastiaan Oud: Unsere Anwender sind vornehmlich Ingenieure, die sich im Wege der Planung neuer Bauteile mit der Formteil- und Werkzeugauslegung beschäftigen – und genau in diesen Bereichen kann so einiges schiefgehen: Hier reicht es eben nicht, eine Kavität mit derselben Form wie die herzustellende Komponente zu entwickeln, in die man dann den heißen Kunststoff hineinschießt – denn wenn dieser abkühlt, schrumpft die Masse, und zwar aufgrund von Dickenunterschieden an unterschiedlichen Stellen auch unterschiedlich stark, sodass sich das Teil entsprechend verziehen und nicht mehr passgenau in das jeweilige Assembly-Produkt einfügen würde. Cadmould prognostiziert Füllverhalten und 3D-Verzug sehr präzise auf Basis bewährter, physikbasierter Modelle und leitet daraus konkrete Maßnahmen für die Form- und Prozessauslegung ab. Kunden reduzieren mit Cadmould regelmäßig Iterationsschleifen im Werkzeugbau und verkürzen Werkzeugbemusterungen – das führt zu schnellerer Serienfreigabe und stabileren Toleranzen. In vielen Fällen kann die Anzahl teurer Werkzeugänderungen um mehr als 50% verringert werden.
Wirtschaftsforum: Welche Rolle spielt die KI schon heute bei dieser Lösung?
Dr. Bastiaan Oud: Simcon ist seit über 30 Jahren im Markt aktiv, sodass wir auf einen enormen Datenfundus zurückgreifen können, um unsere Algorithmen zielgerichtet nachzukalibrieren, und natürlich auch, um entsprechende KI-Modelle zu trainieren, woran wir bereits seit etlichen Jahren arbeiten. So versteht unsere KI-Lösung Varimos inzwischen auch vielfältige Ursache-Wirkungsketten und spielt dem Anwender auf dieser Grundlage hilfreiche Optimierungsvorschläge aus.
Wirtschaftsforum: Wie groß werden die KI-getriebenen Veränderungen bei Simcon in der Zukunft ausfallen?
Dr. Bastiaan Oud: Ich glaube, das ist eine Frage des Zeithorizonts. In etlichen Jahren wird die Wertschöpfung von CAD über die Spritzgießsimulation bis in nachgelagerte Prüf- und Qualitätsprozesse von den Anwendern deutlich holistischer gesteuert werden und wesentlich nahtloser ablaufen als heute: Man wird dabei mit einem einzigen KI-Agenten sprechen können, der im Hintergrund auf verschiedene Software-Engines zugreift: Die Benutzerschnittstelle wird sich verschieben, und die Bedienung der Software wird noch einfacher. Die KI kann dann noch feingliedrigere Optimierungsvorschläge unterbreiten. All das ist jedoch nicht nur technologisch alles andere als trivial, sondern hängt auch stark von der Verfügbarkeit von Trainingsdaten für den Agenten ab, der ja jeden Schritt so exakt und vielschichtig verstehen muss wie ein Ingenieur: Diese Daten stecken jedoch oftmals – aus gutem Grund – als proprietäre Informationen in den Silos der entsprechenden Unternehmen.
Wirtschaftsforum: Wie wird sich vor diesem Hintergrund die Beziehung von Simcon zu seinen Kunden wandeln?
Dr. Bastiaan Oud: Trotz dieser Veränderungen werden wir weiterhin auf unsere gewachsenen Werten aufbauen können: Auf der technologischen Ebene sind das vor allem Präzision und Geschwindigkeit, die aus unserer Sicht eben nicht im Widerspruch zueinander stehen. Wir verstehen uns gerne als deutsches Ingenieursunternehmen, das seine Kunden mit einem pragmatischen Perfektionismus unterstützen möchte. Die Künstliche Intelligenz wird dabei nicht nur in Form von agentenbasierten Modellen weiter Einzug in unser Unternehmen halten, sondern auch in internen Service-Bereichen – etwa um Support-Antwortzeiten zu verkürzen und Projektabwicklungen zu beschleunigen. So profitieren Kunden noch schneller und direkter von unseren Lösungen. Neben dem DACH-Raum als unserem Heimatmarkt wollen wir uns in Zukunft auch international stärker aufstellen und nehmen dabei vor allem den südasiatischen Markt und die USA in den Blick – perspektivisch möchten wir so im Ausland sogar höhere Umsatzzahlen erzielen als hierzulande. Um unseren Kundenstamm nicht nur geographisch, sondern auch in einzelnen Branchen-Verticals zu erweitern, haben wir zudem weitreichende Veränderungen an unserem Geschäftsmodell vorgenommen und bieten unsere Lösungen inzwischen auch als flexible Abomodelle an.
Wirtschaftsforum: Welche Rolle spielt indes die ökologische Nachhaltigkeit für Sie und Ihre Kunden?
Dr. Bastiaan Oud: Bisher wird der Carbon Footprint oft als retrospektive Größe gesehen, den es zu messen und zu reporten gilt. Mithilfe unserer Simulationen können entsprechende Nachhaltigkeitskriterien jedoch schon bei der Entwicklung in die Zielfunktion aufgenommen werden, sodass sie die ingenieurstechnischen Entscheidungen genauso prägen können wie alle anderen relevanten Faktoren auch und noch dazu im Rahmen desselben Optimierungsproblems gelöst werden. Das schafft nicht nur einen holistischen Blick, sondern legt auch eine wichtige Grundlage für bessere Entscheidungen aus einem Guss.