„Dinge, die lästig werden, werden wegdelegiert. Oft leider an die falschen Personen“
Interview mit Lasse Rheingans, Geschäftsführer der Agentur Digital Enabler

Wirtschaftsforum: Herr Rheingans, im Februar haben Sie Ihr Experiment „5-Stunden-Tag“ beendet. War das Projekt ein Erfolg – und welche Lehren haben Sie aus diesem Experiment gezogen?
Lasse Rheingans: Das Projekt war in jedem Fall ein Erfolg – und zwar so sehr, dass wir es nicht nur vorerst verlängern werden, sondern es auch wissenschaftlich begleiten und evaluieren lassen möchten. Wir haben eine ganze Menge Lehren aus dem bisherigen Verlauf ziehen können, mitunter auch ganz banale Dinge: Wir verbrauchen weniger Strom, wir brauchen weniger Getränkelieferungen.
Aber eben auch wesentliche Aspekte: Unter der „Minikrise“ eines 5-Stunden Tages kommen Aspekte an die Oberfläche, die in 8 Stunden nicht sichtbar werden. Für einige der Kollegen hieß das: Sie haben das Arbeitspensum nicht geschafft. Das hatte aber in meinen Augen (und in den Augen meiner Projektleiter) weniger mit den Kollegen zu tun als vielmehr damit, dass diese Kollegen schon vorher eine viel zu hohe Arbeitslast hatten: Im schlimmsten Fall hätte das mittelfristig Unzufriedenheit und vielleicht Weggang des überlasteten Kollegen bedeutet. Wir haben daraufhin im Team besprochen, wie wir Prozesse beschleunigen und Abläufe verbessern oder bestimmte Arbeiten grundsätzlich besser verteilen könnten.

„Ich profitiere als Chef von ausgeruhteren Kollegen, die sich darüber freuen, endlich wieder Zeit für neue Technologien oder ihre persönliche Entwicklung zu haben“ Lasse Rheingans
Noch eine andere Erkenntnis: Viele Kollegen haben ihr Hobby zum Beruf gemacht und füllen ihn mit sehr viel Leidenschaft aus. Diese Kollegen haben jetzt plötzlich sehr viel Zeit, die sie tatsächlich gerne – und für mich sogar unerwartet – für ihre persönliche Weiterbildung nutzen. Somit profitiere ich als Chef von ausgeruhteren Kollegen, die sich darüber freuen, endlich wieder Zeit für neue Technologien oder ihre persönliche Entwicklung zu haben: Dinge, die auch bei einem 8-Stunden-Tag häufig von Mitarbeitern erwartet werden, aber für die sie einfach weder Kraft noch Lust haben, wenn sie nach 8 bis 9 Stunden von der Arbeit nach Hause kommen.
Wirtschaftsforum: Wie hat sich die Einführung des 5-Stunden-Tages auf Ihre persönliche Arbeitsweise ausgewirkt?
Lasse Rheingans: Ich hatte zunächst wesentlich längere Arbeitstage als vorher: Denn es gab experimentbedingt niemanden mehr, dem ich einige der Aufgaben auferlegen konnte, die sich bei mir ansammelten. Im Gespräch wurde mir dann klar, was normalerweise mit solchen Fällen in Agenturen passiert: Dinge, die lästig werden, werden wegdelegiert. Oft leider an Personen, die daran weder Spaß haben noch für das Thema große Expertise oder Kompetenz mitbringen. Innerhalb des 5-Stunden-Experiments wurde mir also schnell bewusst, welche Kompetenzen im Team noch fehlen.

„Dinge, die lästig werden, werden wegdelegiert. Oft leider an Personen, die daran weder Spaß haben noch für das Thema große Expertise oder Kompetenz mitbringen.“ Lasse Rheingans
Wirtschaftsforum: Die Arbeitszeitverkürzung wollten Sie durch eine bessere Struktur und Organisation ohne Produktivitätseinbußen erreichen sowie Prozesse eliminieren, die unnötig viel Zeit kosten. Was sind die größten Zeitfresser im Büroalltag gewesen, die Sie ausräumen konnten?
Lasse Rheingans: Offensichtlich sind Dinge wie der Plausch an der Kaffeemaschine, die Ablenkung durch Handy- oder E-Mail-Benachrichtigungen, übermäßige Chat- oder Social-Media-Nutzung, gemeinsame Frühstückspausen, Wartezeiten auf Feedback von Kollegen und und und. Subtil machen sich bald viel zu lange Meetings ohne klare Agenda bemerkbar, eine schlechte Kommunikation untereinander, unsinnige Prozesse oder auch schlicht und ergreifend nicht optimal eingerichtete Arbeitsplätze.

„Lasst uns ein Umfeld schaffen, wo hochkonzentriertes Arbeiten möglich wird, mit dem gemeinsamen Ziel, dass alle um 13 Uhr ihre Arbeit geschafft haben.“ Lasse Rheingans
Grundsätzlich glaube ich aber, dass wir bei unserem Modell gar nicht von einer Differenz von 5 Stunden zu 8 Stunden, sondern eher von 5 Stunden zu 6 oder 6,5 Stunden sprechen. Denn wie läuft ein 8-Stunden-Tag denn ab: Morgens ankommen, Kaffee holen, erstes Pläuschchen mit Kollegen, dann intensive Arbeitsphase. Darauf folgt die erste kleine Pause mit Kollegen. Dann bald Mittagessen. Nach dem Mittagessen: großes Leistungstief. Bis man wieder in die Arbeit findet, vergeht einige Zeit. Dann ein weiteres Pläuschchen mit dem Kollegen an der Kaffeemaschine, danach – kurz vor Feierabend – noch einmal die aktuelle Nachrichtenlage oder die aktuellen Fußballtabellen sichten oder mit Kollegen noch kurz über die Feierabendpläne sprechen. Zwischendurch muss häufig noch das ein oder andere private Thema erledigt werden, et cetera.
Ich bin überzeugt, dass in einem normalen 8-Stunden-Arbeitstag all diese Pausen zwingend notwendig sind. Kein Mensch kann 8 Stunden am Stück konzentriert arbeiten. Das sieht man auch an den vielen Studien über Leistungskurven oder über die Effektivität von Teilzeitkräften. Aber mein Vorschlag an die Kollegen ist eben: Lasst uns ein Umfeld schaffen, wo hochkonzentriertes Arbeiten möglich wird, mit dem gemeinsamen Ziel, dass alle um 13 Uhr ihre Arbeit geschafft haben.
Wirtschaftsforum: In einer Agentur wie Rheingans Digital Enabler scheint der 5-Stunden-Tag eher denkbar als in zahlreichen Industrieberufen, die seit Jahrzehnten in 8-Stunden-Schichten organisiert sind. Ist das Arbeitszeitmodell, mit dem Sie experimentiert haben, auf alle Branchen übertragbar? Und welche Rolle spielen dabei Unternehmensgröße und -kultur?
Lasse Rheingans: Dieses Modell ist sicher nicht per se auf alle Branchen übertragbar, oft werden hier zum Beispiel die Produktion oder die Gesundheits- und Pflegebranche genannt. Gleichzeitig denke ich, dass auch diese Branchen nicht zwangsläufig davon ausgenommen werden müssen: In der Produktion werden immer mehr Prozesse von Maschinen ausgeführt, die Maschinen und Roboter eben besser, schneller, fehlerfreier und sicherer erledigen können. Menschen sind hier dann für andere Bereiche verantwortlich. Im Handel ist es in Teilen ähnlich, zum Beispiel in Supermärkten mit Selbstzahler-Kassen oder mit Informations- beziehungsweise Touch-Terminals im Laden am Point of Sale. Das alles sind Dinge, bei denen menschliche Kreativität nicht gefragt ist. Sobald diese Kreativität aber gebraucht wird, kann der 5-Stunden-Tag auch Sinn machen.
In jedem Fall spielt aber die Unternehmenskultur eine sehr große Rolle, nicht nur bei einem Wechsel von der achtstündigen auf die fünfstündige Arbeitszeit, sondern grundsätzlich bei allen neuen Arbeitszeitmodellen. Gäbe es in unserer Agentur keinen ehrlichen Austausch auf Augenhöhe, könnten wir auch nicht gemeinsam reflektieren, wo Dinge nicht so gut laufen und wie sie verbessert werden könnten.

„Wir befinden uns im Zeitalter der digitalen Transformation. Und dieser digitale Wandel ist der größte Umbruch seit der industriellen Revolution.“ Lasse Rheingans
Wirtschaftsforum: Die Arbeitswelt ist im Umbruch: In den Niederlanden gibt es ein Recht auf Home-Office, Schweden hat mit dem 6-Stunden-Tag experimentiert und durch die Digitalisierung steht unsere Auffassung von Arbeit zwangsläufig vor großen Veränderungen. Inwiefern ist Deutschland für diesen Umbruch flexibel genug?
Lasse Rheingans: Wir befinden uns im Zeitalter der digitalen Transformation. Und dieser digitale Wandel ist der größte Umbruch seit der industriellen Revolution. Ich glaube, die Unternehmen in Deutschland, die nicht die ausreichende Flexibilität mitbringen, werden in nicht zu ferner Zukunft sehr große Probleme bekommen, weil sie sich den veränderten oder sich verändernden Bedingungen nicht entsprechend angepasst haben oder anpassen. Spätestens dann, wenn diese Unternehmen mit den Mitarbeitern von Morgen konfrontiert sind, die nicht nach Stechuhr oder in ausgefeilten Hierarchien in einem Job arbeiten wollen, mit dem sie sich nicht identifizieren können. Aber ich würde diese fehlende Flexibilität sicherlich nicht auf ganz Deutschland übertragen.

„Tatsächlich haben wir die Vision, den deutschen Mittelstand zu retten. Das ist zwar – wie jede Vision – eine Utopie, aber dennoch versuchen wir, jeden unserer Kunden jeden Tag zumindest ein kleines Stück weit zu retten.“ Lasse Rheingans
Wirtschaftsforum: Der Name Ihres Unternehmens – Digital Enabler – könnte auch das Leitmotiv für den digitalen Wandel ganzer Branchen sein, oder für jemanden, der diesen Wandel kompetent und visionär gestalten kann. Was gehört dazu, um ein Digital Enabler zu sein?
Lasse Rheingans: Unser Name kommt natürlich nicht ganz von ungefähr. Ich habe Medienwissenschaften studiert und beschäftige mich seit den späten 1990er-Jahren mit technischen Innovationen und der Digitalisierung von Prozessen. Im Lauf der Jahre kamen noch andere Schwerpunktbereiche der Digitalisierung hinzu, die zu Beginn gar nicht dem Thema zugeordnet wurden: nämlich dem Wandel in Vertrieb, Kommunikation und Kultur. Für mich war der Name daher eine logische Konsequenz aus den Dingen, die mich seit knapp 20 Jahren antreiben, denn wir möchten auch unsere Kunden „enablen“, in diesem Wandel nicht unterzugehen, sondern ihre Zukunft aktiv zu gestalten.
Ein Digital Enabler braucht sehr viel Leidenschaft, ein Leuchten in den Augen und den Antrieb, seinen Kunden das Wissen, die Tools und den Vorsprung zu geben, auch in Zukunft mit dabei sein zu können. Tatsächlich haben wir die Vision, den deutschen Mittelstand zu retten. Das ist zwar – wie jede Vision – eine Utopie, aber dennoch versuchen wir, jeden unserer Kunden jeden Tag zumindest ein kleines Stück weit zu retten. Wahrscheinlich vor den Folgen der verpassten digitalen Transformation.
Interview: Julian Miller / Fotos: Margarete Klenner/ Rheingans Digital Enabler