Raus aus der Sackgasse und weg vom falschen Tempo
Interview mit Dr. med. Mirriam Prieß, Ärztin, Unternehmensberaterin und Autorin

Wirtschaftsforum: Frau Dr. Prieß, der Titel Ihres Buches lautet „Zeit für einen Spurwechsel“. Sollen wir jetzt einen Gang hoch- bzw. runterschalten oder einfach nur den Blinker setzen: Wie definieren Sie den Begriff „Spurwechsel“?
Dr. Mirriam Prieß: Den Blinker setzen, um endlich auf die richtige Spur zu kommen. Dann zur richtigen Zeit schneller werden oder runter schalten und – das ist das Hauptziel des Spurwechsels: Ankommen! Also: Raus aus der Sackgasse und weg vom falschen Tempo.
Wirtschaftsforum: In der Einleitung formulieren Sie den Grundsatz, dass Leben Beziehung ist. Gilt das wirklich für alle Bereiche gleichermaßen, also Privat- und Berufsleben? Schließlich liegt ja vielen Menschen an einer Trennung von beiden?
Dr. Mirriam Prieß: Stimmt. Der Grundsatz meiner Arbeit lautet: Leben ist gelingende Beziehung. Gelingende Beziehung heißt Dialog. Er ist während meiner damaligen Kliniktätigkeit, als ich Menschen mit einem Burnout behandelt habe, entstanden.

„Es wurde deutlich, dass sich die Betroffenen nicht an zu viel Arbeit, sondern an zu wenig oder zu schlechter Beziehung erschöpft hatten.“ Dr. med. Mirriam Prieß
Dort wurde deutlich, dass sich die Betroffenen nicht an zu viel Arbeit, sondern an zu wenig oder zu schlechter Beziehung erschöpft hatten. Jeder von ihnen hatte entweder keine sozialen Kontakte mehr, konfliktreiche Beziehungen und jeder hatte die Beziehung zu sich selbst verloren – das heißt, er führte ein Leben beruflich/privat, was ihm überhaupt nicht mehr entsprach. Der Beziehungsaspekt ist der entscheidende Aspekt für Gesundheit und Erfolg. Gelingt uns Beziehung, stehen wir mit uns selbst, in unserer Partnerschaft, in unserem Beruf und mit dem Leben im Dialog, sind wir entspannt und können unser volles Potenzial leben. Es gilt also, dass wir in den sechs entscheidenden Lebensbereichen im inneren und äußeren Dialog stehen – und dort, wo wir es nicht tun, entweder die Ursache beheben oder das System verlassen. Manchmal reicht ein „innerer Spurwechsel“ – manchmal muss auf einen inneren Spurwechsel auch ein äußerer folgen.
Wirtschaftsforum: Sie geben im Laufe des Buches immer wieder Übungen oder Anleitung zur Selbstreflexion an die Hand. Wie wichtig ist Ihnen dieser anwendungsbezogene Aspekt?
Dr. Mirriam Prieß: Sehr wichtig. Nicht jeder will gleich eine Beratung aufsuchen und die Übungen geben neben den Praxisbeispielen die Möglichkeit, für sich selbst eine Bestandsaufnahme zu machen. So können Sie herauszufinden, wo ein persönlicher Spurwechsel notwendig wäre und wie dieser gelingen kann.
Wirtschaftsforum: Sie zählen als ausgewiesene Expertin für das Thema „Burnout“, das heute in besonderem Maße unsere Arbeitswelt prägt. Inwiefern spielen Ihre Erfahrungen auch im vorliegenden Buch eine Rolle?
Dr. Mirriam Prieß: Es baut ganz klar darauf auf. Mein erstes Buch habe ich damals auf Grundlage der Behandlungserfahrung mit Burnout-Patienten geschrieben und dort ein neuen Behandlungsansatz beschrieben, der sich in der Praxis für Einzelpersonen und Teams sehr bewährt hat. In diesem geht es um den Mechanismus, den fast jeder von uns betrifft, und der am Ende in die Sackgasse und in die Erschöpfung führt: Warum tun wir das, von dem wir rational wissen, dass es nicht richtig für uns ist? Warum können wir nicht das umsetzen, was wir eigentlich wollen? Warum verharren wir in Situationen – beruflich wie privat – die uns nicht gut tun, schaffen es aber nicht uns davon zu lösen?
Um genau diesen paradoxen Widerspruch geht es – die Antwort auf die Frage: Was in uns hindert uns daran, „wir selbst zu sein“.

„Gelingende Beziehung ist keine Frage von Quantität, sondern Qualität.“ Dr. med. Mirriam Prieß
Wirtschaftsforum: Vollzeitstelle, Familie, Hobbies – den Menschen fällt es zunehmend schwer, Zeit für sich selbst zu finden. Wie gelingt es trotz aller Verpflichtungen trotzdem?
Dr. Mirriam Prieß: Indem Sie sich die Zeit nehmen. Gelingende Beziehung ist keine Frage von Quantität, sondern Qualität. Wichtig ist, dass Sie sich so viel Zeit für sich nehmen, dass Sie folgende beiden Fragen mit ja beantworten können: 1. Ich bin noch da in meinem Leben, ich komme in meinem Leben vor. 2. Ich komme auf meine Kosten.
Solange dies für Sie noch nicht selbstverständlich ist, planen Sie bewusst Zeiten für sich selbst ein. Blocken Sie sich diese in Ihrem Terminkalender und betrachten diese nicht unter Prio C sondern unter Prio A. Pflegen Sie in diesen Momenten bewusst den inneren und äußeren Dialog und tun das, was Ihnen tatsächlich entspricht.
Interview: Markus Büssecker, Fotos: © PR