Mehr als ein Hauch disruptiver Innovationsgeist
Interview mit Harald Hopfgartner, Geschäftsführer der NEXTSENSE GmbH

Wirtschaftsforum: Herr Hopfgartner, Sie sind seit vielen Jahren für NEXTSENSE tätig und leiten seit 2020 gemeinsam mit Renate Grabler-Gußmagg als Geschäftsführer das Unternehmen. Wie haben Sie die Entwicklung von NEXTSENSE in diesen vielen Jahren erlebt?
Harald Hopfgartner: NEXTSENSE ist ein Spin-Off des Joanneum Research in Graz, eines der größten Forschungszentren Österreichs. Anfang der 2000er-Jahre entstand die Idee der als Calipri bekannten Technologie, die Dreh- und Angelpunkt unserer Arbeit ist. Vier Mitarbeiter forschten damals an einem freihändigen Laserlichtschnittverfahren. Unterstützt wurden sie von der österreichischen Bundesbahn, die großes Interesse an der Profilmessung von Rädern zur Verschleißbestimmung hatte. 2006 wurde die sich aus dieser Kooperation entwickelnde Calipri-Technologie erstmals auf der Innotrans präsentiert, was ein großer Erfolg war. Aufgrund dieses Erfolges entstand dann 2007 Nextsense als Start-up.
Wirtschaftsforum: Wie ging es weiter?
Harald Hopfgartner: Ein Meilenstein war 2009 ein Auftrag von Magna. Unserem Unternehmen war immer wichtig, in verschiedene Industriebereiche zu gehen und sich nicht nur auf die Eisenbahnindustrie zu beschränken, um breiter aufgestellt zu sein. Als 2011 der Rahmenvertrag mit der Deutschen Bahn kam, war das der Break-even, nach dem es konstant bergauf ging – bis Corona kam. Heute konzentrieren wir uns auf die drei Industrien Bahn, Automotive und Stahl.
Wirtschaftsforum: Wie ist NEXTSENSE strukturell gewachsen, auch nach der Übernahme durch Hexagon 2018?
Harald Hopfgartner: Wir waren von Beginn an sehr export-orientiert und sind mit unseren internationalen Vertriebspartnern gewachsen. Seit 2015 gibt es Vertriebs- und Serviceniederlassungen in den USA und China. Deutschland ist nach wie vor unser stärkster Markt, China holt allerdings sehr stark auf. Mit der Übernahme durch Hexagon war die Ära des Start-ups passé. Wir sind heute Teil der Hexagon Manufacturing Intelligence und profitieren dadurch von vielen Synergien, wie zum Beispiel hinsichtlich des internationalen Vertriebs. Natürlich gibt es bestimmte Vorgaben durch die Muttergesellschaft, wir genießen jedoch viele Freiheiten. Insgesamt war es ein sehr organischer Übergang in den Konzern.
Wirtschaftsforum: Wieviel Mitarbeiter hat NEXTSENSE heute und wie hat Corona sich ausgewirkt?
Harald Hopfgartner: Vor COVID waren es knapp 100, heute um die 90. 2019 lag der Umsatz bei etwa 16 Millionen EUR und bis dahin hatten wir stets ein konsolidiertes Wachstum. Corona bedeutete erstmals eine Zäsur. Wir haben sehr beratungsintensive Produkte und leben von der Face-to-Face-Kommunikation. Auch wenn digital einiges abgefangen werden konnte, hatten wir Einbußen. Jetzt allerdings versuchen wir, COVID als Chance zu sehen und beschäftigen uns mit der Frage, wie diese Zäsur genutzt werden kann, um NEXTSENSE fit für die Zukunft zu machen.
Wirtschaftsforum: NEXTSENSE ist bekannt für seine Innovationsstärke. Wie lässt sich diese an den Produkten erkennen?
Harald Hopfgartner: Der Innovationsgrad ist sehr hoch und soll künftig weiter erhöht werden. Unser Ziel ist es, Kunden auf dem Weg zu ihrer digitalen Transformation abzuholen und ihnen diesen Weg zu erleichtern. Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus der Eisenbahnindustrie, wo Verschleiß zum Teil noch mit alten Schieblehren gemessen wird. Unser Laserlichtschnitt vereinfacht diesen Prozess. Bei unserer Technologie geht es um Predictive Maintenance. Wie kann Verschleiß so (valide) gemessen werden, dass vorbeugende Maßnahmen ergriffen werden können? Dafür sind valide Daten der Schlüssel, aber auch Softwarelösungen oder das Machine Learning. In unserem Automotive-Segment haben wir 2020 mit dem Calipri CB20 eine wirklich disruptive Innovation in der Messtechnik gelauncht. In der Spalt- und Versatzmessung sind die am Markt erhältlichen Messanlagen nicht ideal. Bei unterschiedlichen Lacken, verchromten Flächen und diversen anderen, vor allem transparenten Materialien stoßen sie an ihre Grenzen. Es wurde viel ausprobiert, aber keine wirkliche Lösung gefunden. Wir haben einen neuen Weg eingeschlagen und stark reflektierende Flächen durch Behauchung kurzfristig valide und wiederholbar messbar gemacht gemacht. Der Calipri CB20 funktioniert unabhängig von Farben, Materialien und Transparenz; die Technologie ist wirklich disruptiv und wurde zu einer Top 10 Innovation 2021 gekürt. Innovativ ist natürlich auch unser Brot-und-Butter-Produkt, der Calipri C42, ein handgeführtes Messsystem, der Status quo des Gründungsprodukts. Es dient der Verschleißmessung von Rad und Schiene im Eisenbahnbereich und hat damit ein Alleinstellungsmerkmal bis heute. In der Stahlindustrie sticht der Calipri RC220 hervor; eine auf Calipri basierende Technologie, die in Walzwerken schnell qualitätssteigernde Zwischenstichmessungen ermöglicht.
Wirtschaftsforum: Gibt es für Sie neben diesen innovativen Technologien weitere Erfolgskriterien?
Harald Hopfgartner: Wir konnten uns die Mentalität eines Start-ups erhalten, das ist ganz wichtig und soll sich nicht ändern. Natürlich spielen auch die konsequente Kundenorientierung und die Entwicklung von Produkten, die der Markt tatsächlich braucht, eine große Rolle. Das alles wird zu einer Umsatzverdoppelung in zwei bis drei Jahren beitragen. Wir wollen auf jeden Fall über Innovationen wachsen. NEXTSENSE ist nach wie vor extrem dynamisch, ich selbst lerne jeden Tag etwas Neues, das motiviert. Nicht zuletzt ist der Spirit der Mitarbeiter außergewöhnlich. Hier haben viele eine intrinsische Motivation, sich zu verbessern und Herausforderungen anzunehmen.