Klimaschutz ist kein Nice-to-Have, es geht um das Überleben der Menschheit
Interview mit Prof. Volker Quaschning
Wirtschaftsforum: Prof. Quaschning, Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier stellte jüngst seinen „Aktionsplan Stromnetz“ vor. Inwiefern ist das Ihrer Meinung nach der viel geforderte bzw. erhoffte Durchbruch in der Energiewende?
Volker Quaschning: Der Dürresommer hat uns plastisch vor Augen geführt, dass wir dringend den Klimawandel stoppen müssen, um die Folgen noch beherrschbar zu halten. Wollen wir dem Pariser Klimaschutzabkommen gerecht werden, brauchen wir bis 2040 eine vollkommen klimaneutrale Energieversorgung. Eine Leitung erzeugt keinen klimaneutralen Strom, sondern kann nur helfen, diesen besser zu verteilen. Gerade beim Ausbau erneuerbarer Energien hat die Bundesregierung aber Tempo rausgenommen. Mit den jetzigen Zubauzielen für die Photovoltaik oder die Windkraft lassen sich die Klimaschutzziele nicht einmal ansatzweise erreichen. Es wäre viel wichtiger, über einen beschleunigten Ausbau als über Leitungen zu diskutieren. Doch in dieser wichtigen Frage kommt von der Bundesregierung rein gar nichts.
„Wenn Bayern den Ausbau der Windkraft blockiert und dadurch im Süden zu wenig erneuerbarer Strom produziert wird, muss er natürlich woanders herkommen, wenn man in München nicht irgendwann im Dunkeln sitzen möchte.“ Volker Quaschning
Wirtschaftsforum: Es sollen tausende Kilometer an Leitungen von Nord nach Süd durch die Bundesrepublik gebaut werden. Ist so ein überregionales Netz in diesen Dimensionen überhaupt sinnig? Man könnte doch erneuerbare Energien dezentral vor Ort nach Bedarf ausbauen, frei nach dem Motto: Wind für den Norden, Sonne und Wasser für den Süden.
Volker Quaschning: Bayern blockiert den Ausbau der Windkraft weitgehend. Wenn im Süden zu wenig erneuerbarer Strom produziert wird, muss er natürlich woanders herkommen, wenn man in München nicht irgendwann im Dunkeln sitzen möchte. Nutzen wir in Süddeutschland aber nicht alle Potenziale der erneuerbaren Energien, wird Deutschland generell nicht klimaneutral werden können. Wichtiger als jetzt Leitungen durchzuboxen, wäre den Ausbau der Windkraft in Süddeutschland wieder in Schwung zu bringen.
„Nutzen wir 2% der Fläche Deutschland für Windeignungsgebiete und knapp 1% für den Aufbau von Photovoltaikanlagen, ließe sich Deutschland problemlos klimaneutral mit erneuerbaren Energien versorgen.“ Volker Quaschning
Wirtschaftsforum: Bedenken gibt es generell immer wieder zu Effizienz und Leistungsfähigkeit in der Gewinnung von regenerativen Energien. Sind denn Windkraft, Photovoltaik & Co. Effizienzwunder oder sitzen wir geschönten Zahlen auf?
Volker Quaschning: Mit 10 m² Photovoltaik können Sie so viel Strom erzeugen, dass ein Elektroauto 10.000 km pro Jahr fahren kann. Ich finde das schon beeindruckend. Da wir in Deutschland aber sehr viel Strom verbrauchen, benötigen wir auch sehr viele Photovoltaik- und Windkraftanlagen. Nutzen wir 2% der Fläche Deutschland für Windeignungsgebiete und knapp 1% für den Aufbau von Photovoltaikanlagen, ließe sich Deutschland problemlos klimaneutral mit erneuerbaren Energien versorgen. Effektiver Klimaschutz wäre also durchaus möglich, wenn dieser auch gewollt wäre.
„Wir müssen alle Regelungen, die den Ausbau erneuerbarer Energien verhindern, beseitigen und die Zerstörung des Klimas endlich mit den zu erwartenden Kosten belegen. “ Volker Quaschning
Wirtschaftsforum: Um die Pariser Klimaschutzziele zu erreichen, müsste in Deutschland der Ausbau von Photovoltaik vervierfacht werden. Das Interesse daran scheint gering. Was muss sich ändern?
Volker Quaschning: Klimaschutz ist nicht ein Nice-to-Have, sondern es geht dabei um das Überleben der Menschheit. Wir sehen, welche Folgen bereits die aktuelle Erwärmung von einem Grad Celsius hat. Unternehmen wir weiter so gut wie nichts dagegen, werden wir Ende des Jahrhunderts fünf Grad Erwärmung erreichen. Dann wird es Bereiche auf der Erde geben, die so heiß sind, dass man ohne Schutzanzug nicht mehr überleben kann, die Meeresspiegel werden um viele Meter ansteigen und die Nahrungsmittel knapp werden. Auf einem überbevölkerten Planeten werden die Verteilungskämpfe um Land, Wasser und Essen apokalyptische Zügen annehmen.
Es muss ein Ruck durch die Bevölkerung gehen, der Druck auf die Politik aufbaut. Wir müssen alle Regelungen, die den Ausbau erneuerbarer Energien verhindern, beseitigen und die Zerstörung des Klimas endlich mit den zu erwartenden Kosten belegen. Das heißt, Erdöl, Gas und Kohle müssen richtig teuer werden. Und angesichts der knappen Zeit dürfen wir auch von Verboten zum Beispiel von Öl- und Gasheizungen oder Benzin- und Dieselfahrzeugen nicht zurückschrecken und auch eine Baupflicht für Solaranlagen darf kein Tabu sein.
„Wir können doch nicht unseren Kindern verbrannte Erde hinterlassen, um noch ein paar Jahre satte Gewinne abzuschöpfen.“ Volker Quaschning
Wirtschaftsforum: Nicht nur Donald Trump gehört zu den Energiewende-Gegnern, auch hierzulande gibt es Skeptiker. Welches entscheidende Argument pro Energiewende halten Sie diesen Stimmen entgegen?
Volker Quaschning: Energiewende bedeutet Veränderung. Es wird neue Player geben, alte Geschäftsmodelle sterben aus. Vor allem die fossilen Energiekonzerne und die Automobilindustrie werden bei einem schnellen Wandel Schwierigkeiten bekommen. Daher zaubern sie zahllose Argumente aus dem Hut, warum es nicht so schnell geht und durch ihren großen Einfluss auf die Politik schaffen sie es auch, stark zu bremsen. Beim näheren Hinsehen sind alle Argumente vorgeschoben.
Am Ende geht es um die Gewinne weniger, die sie auf Kosten künftiger Generationen zu verteidigen versuchen. Aber wir können doch nicht unseren Kindern verbrannte Erde hinterlassen, um noch ein paar Jahre satte Gewinne abzuschöpfen.
Fotos: Silke Reents