Aus Sabine und Michael werden Digital Natives

Interview mit Franziska Seibel, Geschäftsführerin und Michael Fischer, Geschäftsführer der Josef Seibel Schuhfabrik GmbH

Wirtschaftsforum: Frau Seibel, Sie vertreten die fünfte Generation der Familie, sind seit 2019 Geschäftsführerin für die Bereiche Marketing, Retail und Projekte und stehen aktuell vor großen Herausforderungen. In der schwierigen Corona-Zeit haben Sie die Weichen für das Unternehmen neu gestellt und ein Rebranding initiiert. Wie kam es dazu?

Franziska Seibel: Josef Seibel hat eine lange Geschichte mit vielen Höhen, aber auch Tiefen. Gegründet wurde die Firma 1886 von meinem Ururgroßvater Carl-August Seibel, der sich eine Sohlenstanzmaschine in die Scheune stellte und so begann, Schuhe zu fertigen. Es folgten viele schwierige Jahre mit Kriegen, Wirtschaftskrisen und der Nachkriegszeit. Tatsächlich aufwärts ging es mit dem aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrten Josef Seibel, der als Erster der Familie mit einer Produktion in Ungarn ins Ausland ging. Er war viel in Italien unterwegs und verstand schnell, wie der Markt tickte. Auch mein Vater forcierte die vertriebsseitige Internationalisierung in den 1980er-Jahren, expandierte in die USA und lagerte einzelne Produktionsschritte aus. Seit 2019 bin ich selbst im Unternehmen und gemeinsam mit meinem Mann und unserem Team arbeiten wir an einer kompletten Neuaufstellung. Das heißt nicht, dass wir Neues erzählen, denn wir machen ja nichts Neues, sondern präsentieren uns anders, moderner, stärker dem Markt angepasst. Sich ein Stück weit neu zu erfinden, sehen wir als riesige Chance an.

Michael Fischer: Wir stellen die Dinge, die wir richtig gut machen, stärker in den Vordergrund, statt wie in der Vergangenheit am Pfälzer Understatement festzuhalten. Das können wir zum Beispiel mit unserer JOSEF SEIBEL Schuhfa-brik, dem Besucherzentrum und der Erlebnisproduktion hier in Hauenstein, wo unsere Produkthighlights, die Sneaker 1886 und die Spirit of Nature-Linie, gefertigt werden.

Wirtschaftsforum: Seibel hat heute 200 Mitarbeiter in Deutschland, weltweit um die 500 und einen Jahresumsatz von 100 Millionen EUR. Exportiert wird in 40 Länder weltweit. War Corona eine Zäsur?

Michael Fischer: Bis 2018 sind wir konstant gewachsen, dann kam es zu einem Rückgang. Corona war schwierig; allerdings hatten wir gute Rücklagen und sind deshalb recht gut durch diese herausfordernde Zeit gekommen. Aktuell liegen die Vorverkaufszahlen deutlich über unseren Erwartungen, was uns sehr optimistisch stimmt. 2022 wird noch angespannt sein, unter anderem aufgrund von Logistikproblemen, danach hoffen wir auf einen klaren Wachstumskurs. Unser Onlineshop sowie die Verkäufe an Händler entwickeln sich momentan sehr gut.

Wirtschaftsforum: Was genau heißt für Sie Neuaufstellung und Rebranding?

Franziska Seibel: Wir haben 3,5 Millionen EUR in die Schuhfabrik investiert, weil wir an den Standort glauben und uns erneuern wollen. Das Rebranding ist ein großes Projekt, das viele Veränderungen mit sich bringt, nicht nur ein neu konzipiertes Logo oder eine überarbeitete Website. Uns geht es um Geschichten rund um die Produkte, mit denen wir den Kunden einen gewissen Freiheitsgedanken vermitteln wollen. Werte wie Nahbarkeit und Menschlichkeit sollen transportiert werden, wir wollen Kunden einen größeren Einblick geben und Transparenz schaffen. Früher ging es vor allem um die Produkte, heute auch um Assoziationen rund um den Schuh.

Michael Fischer: Die Neuaufstellung betrifft natürlich auch andere Bereiche. Ich beschäftige mich zum Beispiel intensiv mit der Supply Chain und der Digitalisierung. Wir haben ein Product Information Management (PIM) eingeführt, den Webshop neu gestaltet und das ganze Team neu strukturiert. Franziskas Vater ist nach wie vor Inhaber und Geschäftsführer, er setzt letztlich die Impulse bei den Schuhen. Er hat einfach einen sehr guten Draht zum Markt und Verständnis für Neuerungen.

Wirtschaftsforum: Was genau kennzeichnet das Seibel-Portfolio und damit die Schuhe?

Franziska Seibel: Im Angebot sind seit jeher die Herrenschuhe. Seit Ende der 1980er-Jahre produziert Seibel auch Damenschuhe. Umso bemerkenswerter ist, dass innerhalb kürzester Zeit das Damensegment zum größeren Umsatzanteil wurde. Wir greifen Trends auf und stehen für Slow Fashion, das heißt für langlebige Produkte. Deshalb haben wir dieses Jahr die Nachhaltigkeitslinie Spirit of Nature gelauncht, die ausschließlich in Deutschland produziert wird und für die nur europäische Materialien mit hohem Recyclinganteil verarbeitet werden.

Michael Fischer: Neben der Nature-Linie verkörpert das Modell 1886 perfekt Seibel-Werte wie Tradition und Handwerkskunst, gleichzeitig aber auch Zukunft und Innovation. Der Sneaker steht für 100% made in Germany, ist modern und cool und für einen attraktiven Preis erhältlich; das ist ganz klar ein Alleinstellungsmerkmal. Der 1886 kann zudem online oder in der Fabrik individuell konfiguriert werden.

Wirtschaftsforum: Gibt es den typischen Seibel-Kunden von heute und morgen?

Franziska Seibel: Wir haben unsere Bestandskunden Sabine und Michael genannt, sie sind zwischen 50 und 60 Jahre alt, bodenständig, legen Wert auf Regionalität und sind eher stationär unterwegs. Unsere Zielkunden sind mit Mitte 30 deutlich jünger und Digital Natives wie wir auch.

Michael Fischer: Wir hoffen durch die Neuaufstellung wieder organisch zu wachsen und ein Stabilisationsfaktor der Region zu sein, der den Menschen Sicherheit gibt.

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