Im Wechsel von Ebbe und Flut
Interview mit Fritjof Nelting, Geschäftsführer der Bonner Gezeiten Haus GmbH
Wirtschaftsforum: Herr Nelting, die Gezeiten Haus GmbH vereint unter ihrem Dach an drei Standorten private Fachkliniken für psychosomatische Medizin und Traditionelle Chinesische Medizin (TCM). Zu Ihnen kommen Menschen mit den unterschiedlichsten seelischen Erkrankungen. Gibt es einen Behandlungsansatz, der trotzdem allgemeine Gültigkeit hat?
Fritjof Nelting: Unterschiedliche Erkrankungen erfordern unterschiedliche Maßnahmen, doch die Grundlage jeder Behandlung ist immer die gleiche: die Würdigung der bisherigen Lebensleistung des Patienten mit all ihren Höhen und Tiefen. Den ganzen Menschen ernst nehmen, ihn wertschätzen, ihm Mut machen. Das ist es, was allem anderen vorangehen muss.
Wirtschaftsforum: ‘Gezeiten Haus’ ist ein ungewöhnlicher, aber sehr einprägsamer Unternehmensname. Was steht dahinter?
Fritjof Nelting: Das hat mit dem zu tun, was ich gerade über Wertschätzung gesagt habe. Die Gezeiten, Ebbe und Flut, stehen für die Dualität aller Dinge: Yin und Yang, Tag und Nacht, Krise und Erfolg – das eine gibt es nie ohne das andere. Gerade im Berufsleben zählt jedoch heute oftmals nur der Erfolg. Dass aber auch Rückschläge dazugehören, will man in unserer Leistungsgesellschaft nicht wahrhaben. Doch der durch diese Erwartungshaltung erzeugte Druck macht Menschen krank. Mein Vater hat dafür ein schönes Bild: „Ebbe lässt vertrocknen, Flut lässt ertrinken. Leben gedeiht nur im Wechsel der Gezeiten.“ Bei uns steht der ganze Mensch im Mittelpunkt.
Wirtschaftsforum: Die Gezeiten Haus GmbH wurde 2004 von Ihren Eltern gegründet. Heute arbeitet Ihre ganze Familie im Unternehmen mit. Wie beschreiben Sie die Entwicklung, die seit damals stattgefunden hat?
Fritjof Nelting: Auch wir als Familienunternehmen haben, wenn man so will, diesen Gezeitenwechsel erlebt: Unser Ansatz kombiniert psychosomatische Behandlungsmethoden mit Traditioneller Chinesischer Medizin. Wir waren damals euphorisch mit vielen sehr guten Mitarbeitern gestartet, hatten aber aufgrund der TCM, welche noch nicht die heutige Akzeptanz genoss, das Problem, dass wir als Sanatorium eingestuft wurden, weshalb wir keine Zusagen von den Krankenkassen bekamen. Wir standen irgendwann finanziell am Abgrund, wollten uns aber trotzdem nicht von unseren Mitarbeitern trennen.
Wir wollten unseren Patienten helfen, unsere Arbeit gut machen. Das geht aber nur mit einem guten Team. Es hat sich gelohnt: Zwei Jahre, nachdem wir als Akut-Krankenhaus anerkannt worden waren, schrieben wir schwarze Zahlen; heute stehen wir im Markt sehr gut da. Und wir konnten seitdem unser Behandlungsspektrum gut erweitern: 2011 mit unserer psychosomatischen Tagesklinik in Bonn, die mittlerweile im neuen Standort im Schloss Eichholz integriert ist, wo wir vor allem Menschen mit Depressionen, Burnout, Stressfolgeerkrankungen, Adipositas und Tinnitus behandeln, seit 2015 mit unserem teilstationären Fachkrankenhaus für Psychosomatische Medizin und TCM in Oberhausen, die die Weiterbehandlung der Patienten sichert, und seit diesem Jahr mit Schloss Eichholz in Wesseling bei Köln, wo der Schwerpunkt auf Traumatherapie und Behandlung von Kindern und Jugendlichen liegt. Hier erzielen wir unter anderem mit der neuartigen EMDR-Behandlungsmethode ausgezeichnete Erfolge. Im Schloss haben wir auch die Gezeiten Haus Akademie eingerichtet, wo wir Seminare zum Erwerb von Gesundheitskompetenz und zur betrieblichen Gesundheitsförderung anbieten. Letzteres Angebot richtet sich an Firmen, die in ihren Mitarbeitern ihr Kapital sehen, das es zu schützen gilt. Genau als das sehen wir auch unsere eigenen 200 Mitarbeiter.
Wirtschaftsforum: Was sehen Sie als die Stärken Ihres Unternehmens an und wie sehen Ihre Vorstellungen für die Zukunft aus?
Fritjof Nelting: Zum einen machen wir Begegnungsmedizin – wir sind keine Halbgötter in Weiß. Wir arbeiten nach dem Prinzip, dass es nicht das absolut Richtige, aber sehr wohl das individuell Passende gibt. Wir sind nicht renditeabhängig, wollen Sinnvolles für Unternehmen und Gesellschaft leisten. Für beides haben wir eine Verantwortung, der wir uns stellen. Mein Traum ist ein Gezeiten Haus-Siegel für Unternehmen, die sich um ihre Mitarbeiter und ihr Umfeld kümmern. Das möchte ich gern mit entwickeln.