Der Soundtrack im Unterbewusstsein fürs Leben

Interview mit Oleg Stavitsky und Vlad Pinskij, Gründer von Endel

Wirtschaftsforum: Endel unterzeichnete vor kurzem einen Deal mit Warner Music über die Veröffentlichung von 20 Alben in diesem Jahr, dabei sind alle Ihre „Musiker“ und „Songwriter“ Softwareingenieure sowie Algorithmen. Würden Sie Endel tatsächlich als Musik bezeichnen – und wenn nicht, was ist es dann?

Oleg Stavitsky: Wir nennen Endel nicht Musik. Wir bezeichnen es als „functional sound“, weil es nicht dafür geschaffen wurde, um bewusst gehört zu werden. Der Sinn liegt darin, im Hintergrund abgespielt zu werden und auf den kognitiven Zustand einzuwirken. Gegenwärtig können unsere Nutzer drei verschiedene Modi auswählen – Fokus, Relax und Schlaf – und Endel wird ihnen dabei helfen, die zugehörige emotionalen Grundstimmung zu finden. Dies wird durch eine Umgebung von Sound erreicht, die auf einer bestimmten Anzahl an Angaben heraus generiert wird und die diese Soundlandschaft höchst anpassungsfähig macht: die Tageszeit, das Wetter, die Herzfrequenz des Nutzers und seine Bewegung neben einigen anderen Faktoren.

Wirtschaftsforum: Auf welchen wissenschaftlichen Grundlagen basiert Ihr Ansatz?

Oleg Stavitsky: Eine der zugrundeliegenden wissenschaftlichen Prinzipien von Endel ist der Biorhythmus: Jeder Körper geht den Tag über durch gewisse Phasen, deswegen fühlen wir uns am Morgen wach, ein wenig träge am Nachmittag und dann wieder aufmerksam gegen Abend. Dieser Rhythmus wird von einer inneren Uhr gesteuert. Es gibt Variationen innerhalb dieser Uhr, die sie um ihren Takt bringen: Er verändert sich mit dem Alter und der Jahreszeit und ist auch in höchstem Maß vom Licht abhängig, das wir bekommen.

Endel basiert ebenso auf den umfangreichen Werken zu neurowissenschaftlichen Aspekten und wie bestimmte Skalen, Frequenzen und Töne den kognitiven Bereich beeinflussen. Indem wir diese Geräusche und Töne zu jedermanns Vorteil nutzen, können wir dabei helfen, sich zu konzentrieren, zu entspannen oder zu schlafen.

Wirtschaftsforum: Wie Sie erwähnten, passt Endel den Sound für jeden Nutzer individuell an. Wie haben Sie entschieden, welche Art von Geräuschen zu einer intensiven Arbeit am Schreibtisch an einem bewölkten Morgen passen oder zum Entspannen in der Nachmittagssonne?

Oleg Stavitsky: Lassen Sie mich Ihnen ein Beispiel geben. Gehen wir davon aus, dass Sie sich genau in diesem Moment auf eine Aufgabe konzentrieren wollen. Von Ihrem GPS-Standort, dem lokalen Wetterbericht und der Tageszeit wissen wir, dass es dort ziemlich wolkig ist. Das bedeutet, dass Sie nicht genug Licht abbekommen, und weil Sie nicht genug Licht erhalten, können Sie nicht Ihre beste Leistung abrufen. Unser Fokus-Modus wird diesen Mangel an Tageslicht kompensieren. Zusätzlich könnten wir feststellen, dass Sie sich konzentrieren möchten, aber mit einer Herzfrequenz von 100 bpm scheinen Sie ziemlich gestresst zu sein. Endel wird Sie dann mit dem spezifischen Sound versorgen, der Sie beruhigt und dabei hilft, sich auf die anstehende Aufgabe zu konzentrieren. 

Gegenwärtig sind wir dabei, weitere Elemente einzuarbeiten, besonders den Kalender, der es uns ermöglichen würde, nachzuvollziehen, wie voll Ihr Tag ist. Daraufhin könnten wir beurteilen, in welchen Modus wir Sie in jedem gegebenen Zeitpunkt versetzen sollen.

Oleg Stavitsky, Endel Sound GmbH
„Unser Ziel ist es, komplette Umgebungen zu entwickeln und nicht nur Soundlandschaften zur Verfügung zu stellen.“ Oleg Stavitsky

Wirtschaftsforum: Bedeutet das, dass mehr und mehr kundenspezifische Faktoren auf lange Sicht zu einer vollständig individuellen Erfahrung von Endel führen?  

Oleg Stavitsky: Unsere große Idee geht sogar ein ganzes Stück darüber hinaus. Unser Ziel ist es, komplette Umgebungen zu entwickeln und nicht nur Soundlandschaften zur Verfügung zu stellen. Am Jahresende wird Endel auf allen möglichen Plattformen integriert sein. Wenn wir damit angefangen haben, alle zugehörigen Nutzerdaten zu sammeln und auszuwerten, werden wir den kompletten Kontext eines Tages verstehen und wir werden mehr als nur den Sound der Umgebung  kontrollieren. Wir möchten die Beleuchtung und Temperatur in den Räumen anpassen und sogar noch einige Dinge mehr, um den perfekten persönlichen Raum zu designen. Wir sind aktuell in Gesprächen mit Anbietern von Unterhaltungselektronik, Mobilitätsfirmen und Hotels, weil wir wirklich daran glauben, dass unsere Technologie ihre volle Strahlkraft entfalten kann, wenn wir alle Daten sammeln können, die wir brauchen. Wir sind womöglich die einzige Firma, die nicht Ihre Daten sammelt, um Werbung einzublenden, sondern wirklich Ihr Leben verbessern möchte.  

Wirtschaftsforum: Bisher sind Sie Kooperationen mit namhaften internationalen Unternehmen wie Amazon und Warner Music eingegangen, aber trotz Ihres Sitzes in Berlin mit keinem deutschen Partner: Ist man international aufgeschlossener für Endel als hierzulande?  

Vlad Pinskij: Tatsächlich verhandeln wir derzeit mit zwei deutschen Großunternehmen, aber amüsanterweise ist der Kontakt zu ihnen nicht über ihre Unternehmenszentralen in Deutschland, sondern über ihre ausländischen Niederlassungen entstanden. Auch mit einem guten Produkt ist es für ein junges Unternehmen in Deutschland nicht einfach, voranzukommen, und ich finde es erstaunlich, dass wir im Ausland eine äußerst positive Resonanz erfahren, während in Deutschland, gelinde gesagt, nicht alle Kontaktaufnahmen zu fruchtbaren Ergebnissen führen.

„Ich finde es erstaunlich, dass wir im Ausland eine äußerst positive Resonanz erfahren, während in Deutschland, gelinde gesagt, nicht alle Kontaktaufnahmen zu fruchtbaren Ergebnissen führen.“ Vlad Pinskij
Vlad Pinskij, Endel Sound GmbH

Wir würden beispielsweise gerne mit Krankenkassen kooperieren, da unsere Technologie als präventives Stressbewältigungsmittel dienen kann: Endel hilft beim Einschlafen, Endel unterstützt die Konzentrationsfähigkeit. Konsequent zu Ende gedacht würde das bedeuten, dass Krankenkassen weniger Geld für stressbedingte Krankschreibungen ausgeben müssten, wenn ihre Versicherten Endel nutzen würden. Doch bis jetzt haben wir darauf trotz einiger Versuche der Kontaktaufnahme keinerlei Feedback erhalten – obwohl mit der Barmer und der TK die beiden größten Krankenkassen Deutschlands bereits in dieser Richtung aktiv sind. Es scheint aber, als würden die Kassen eher versuchen, ihre eigene Technologie „an den Mann“ zu bringen, anstatt  sich objektiv nach der wirkungsvollsten Maßnahme umzusehen. Dabei wäre es eigentlich ihre vorrangige Aufgabe, für ihre Versicherten das bestmögliche Ergebnis zu erzielen.

Wirtschaftsforum: Wieso haben Sie sich trotz dieser Hindernisse für Berlin als Ihren Unternehmenssitz entschieden?

Vlad Pinskij: Ich bin Berliner durch und durch und habe mich auch bei meinen Partnern mit Leidenschaft für meine Stadt als Standort eingesetzt. Es lässt sich hier super leben und es gibt ein großes Start-up-Netzwerk. Aber die viel beworbenen staatlichen Förderprogramme sind mit deutlich größeren Hindernissen verbunden, als dies gerne in der Öffentlichkeit dargestellt wird. Die bürokratischen Hürden, um an öffentliche Fördermittel zu kommen, sind immens, die Erfolgsaussichten stets ungewiss und der Prozess nimmt sehr viel Zeit in Anspruch – Zeit, in der man sich eigentlich der operativen Arbeit widmen möchte. Von Bankkrediten möchte ich gar nicht reden. Am Ende ist es viel einfacher, einen Investor zu finden.  

Interview: Julian Miller | Pictures: Endel

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