Virtueller Tierarzt: Erste Hilfe dank Facetime
Interview mit Dr. Jan Holzapfel, Mitgründer von Dr. SAM
Wirtschaftsforum: In der Humanmedizin sind Videosprechstunden keine Neuheit mehr. Warum hinkte der Veterinär-Bereich bislang hinterher?
Dr. Jan Holzapfel: In der Humanmedizin werden häufig digitale Innovationen entwickelt, die dann teilweise später im Veterinärbereich übernommen werden. Die Humanmedizin nimmt also häufig eine Vorreiterrolle ein. Wir sind davon überzeugt, dass digitale Entwicklungen wie die Telemedizin in der Tiermedizin in Zukunft verstärkt in den Fokus rücken sollten, um Tierbesitzern und deren Haustieren schneller und einfacher zu helfen. Außerdem ermöglichen diese neue Technologien Tierärzten, ihre Patienten ganzheitlicher zu betreuen und nicht nur in der Praxis vor Ort.
Wirtschaftsforum: Digitale tierärztliche Untersuchung: Wie kann das funktionieren, wenn der Arzt seine Bewertung lediglich anhand Bilder und Videos – manchmal sicherlich verwackelt und in schlechter Qualität – abgeben kann?
Dr. Jan Holzapfel: Zunächst sollte man hier klar abgrenzen, dass wir mit Dr. SAM eine tierärztliche Beratung anbieten und den Tierarzt vor Ort nicht ersetzen, sondern vielmehr die erste Anlaufstelle sind in Fragen rund um die Tiergesundheit. Die Tierärzte beraten aufgrund verschiedener Informationen, die sie vom Tierbesitzer erhalten. Bereits vor dem Gespräch schickt uns der Tierhalter Fotos, Videos, Blutuntersuchungen, Röntgen-Aufnahmen und ähnliches zu. Im Videogespräch wird das Tier dann nach einem Anamnesegespräch begutachtet und wir können im Anschluss sehr gut zu möglichen Behandlungsfragen beraten. Unsere Erfahrungen und das Feedback unserer Nutzer beweisen, dass tierärztliche Onlineberatung funktioniert und wir den Tierhaltern und ihren Haustieren einen echten Mehrwert bieten. Die Vorteile unseres Services sind weniger Stress für den Tierhalter und sein Tier, da Beratung von zu Hause aus ermöglicht wird, die Erreichbarkeit außerhalb regulärer Praxisöffnungszeiten, keine Anfahrt und keine Wartezeiten sowie die Verfügbarkeit von Fachtierärzten und Spezialisten, zum Beispiel für Zweitmeinungen.
„Die Tierärzte helfen auch in Notfällen, wenn unklar ist, wie eine Erstversorgung sichergestellt werden kann, bis die Tierklinik erreicht ist.“ Dr. Jan Holzapfel
Wirtschaftsforum: Eine exakte Diagnose setzt meist ein Abtasten oder eine Entnahme von Proben voraus. Was genau leisten die virtuellen Tierärzte?
Dr. Jan Holzapfel: Die Tierärzte bei Dr. SAM beraten zu allen Themen der Tiergesundheit – von akuten Krankheitsbildern über Ernährungsfragen bis zur Parasitenbehandlung. Die Tierärzte helfen auch in Notfällen, wenn unklar ist, wie eine Erstversorgung sichergestellt werden kann, bis die Tierklinik erreicht ist. Außerdem gibt es viele Krankheitsbilder und Beratungsthemen, die keine sofortige Untersuchung vor Ort beim Tierarzt erfordern – zum Beispiel die Entfernung von Zecken, oberflächliche Schnittwunden oder Hautveränderungen. Außerdem bieten unsere Tierärzte eine neutrale Zweitmeinung, beispielsweise in Behandlungsfragen bei operativen Eingriffen et cetera an.
Wirtschaftsforum: Dr. SAM ermöglicht zwar eine virtuelle Diagnose, nicht aber die Medikamentenvergabe. Wird sich das zukünftig ändern und wenn ja, wie?
Dr. Jan Holzapfel: Dr. SAM ermöglicht keine vollumfängliche virtuelle Diagnose, sondern berät zu Fragen der Tiergesundheit. Die Medikamentenvergabe verschreibungspflichtiger Medikamente ist häufig ohne eine Untersuchung vor Ort nicht möglich. Allerdings sehen wir einige Vorteile, bestimmte Medikamente, zum Beispiel für chronisch kranke Tiere, einfacher online verfügbar zu machen. Denn hier würde eine Onlinesprechstunde für eine erneute Verschreibung viele Vorteile mit sich bringen. Wir glauben fest daran, dass diese Art der Vergabe viele Vorteile für Patienten und Tierbesitzer hat und arbeiten bereits daran, derartige Services in naher Zukunft anbieten zu können.
„Wir sehen einige Vorteile, bestimmte Medikamente, zum Beispiel für chronisch kranke Tiere, einfacher online verfügbar zu machen.“ Dr. Jan Holzapfel
Wirtschaftsforum: Ihr Konzept ist nicht neu – in anderen Ländern funktioniert der ‘virtuelle Tierarzt‘ bereits. Woran liegt das, legt die deutsche Bürokratie dem Ganzen Steine in den Weg?
Dr. Jan Holzapfel: Wie die Humanmedizin unterliegt auch die Tiermedizin den rechtlichen Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel das Arzneimittelrecht, das Heilmittelwerbegesetz oder die Berufsordnungen der Länder vorschreiben. Hier ist sicher in Zukunft noch Handlungsbedarf in Deutschland, um einige bestehende Hürden abzubauen, die eine digitale Gesundheitsversorgung in der Tiermedizin erleichtern würde. Andere Länder sind uns da deutlich voraus.
Interview: Aurelia Leppen | Fotos: Dr. SAM Germany GmbH