Die digitale Transformation ist keine Option, sondern eine Notwendigkeit
Interview mit Christopher Rheidt und Daniel Wagenführer
Wirtschaftsforum: Mit Ihrem „Digital Tour Book“ liefern Sie einen Reisebericht über das sagenumwobene Digitalien. Haben Sie selbst einschlägige Literatur zu diesem Reiseziel vermisst oder woher stammt die Idee dazu?
Daniel Wagenführer: Wir haben uns als erstes damit auseinandergesetzt, was die digitale Transformation für uns bedeutet. Daraufhin lag es nahe, nach Berlin zu gehen, um dort die notwendigen Schritte anzugehen. Dabei hätten wir gerne konkrete Hilfestellung gehabt – die es aber nicht gab. So mussten wir auf die harte Tour lernen, dass man ein Unternehmen nicht mal eben mit dem Geist eines Start-ups anfüllt und es dann als „digitalisiert“ begreifen kann. Indem wir unsere Erfahrungen jetzt aufgeschrieben haben, können wir dies anderen Unternehmen in ähnlicher Situation vielleicht ersparen und ihnen die Reise erleichtern.
„Wir mussten auf die harte Tour lernen, dass man ein Unternehmen nicht mal eben mit dem Geist eines Start-ups anfüllt und es dann als „digitalisiert“ begreifen kann.“ Daniel Wagenführer
Wirtschaftsforum: In der Einführung schreiben Sie, dass eine Reise nach Digitalien für die Führungsebene und leitende Positionen innerhalb von Unternehmen sehr bald eine Notwendigkeit sein wird. Was raten Sie denjenigen, auf die das Land dennoch wenig reizvoll wirkt?
Christopher Rheidt: Wir raten dazu, dass sich diese Unternehmen einen Ruck geben, den Koffer packen und sich schnellstens auf den Weg machen. Die digitale Transformation ist keine Option, sondern eine Notwendigkeit. Und die Erfahrung lehrt: Vorher hat man Ängste und Vorbehalte, aber wenn man erst mal da ist, ist alles gar nicht so schlimm. Man findet sich schneller zurecht als man glaubt. Hier gilt das alte Sprichwort: Jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt. Wir können nur sagen, dass wir heute nicht da stünden, wo wir jetzt sind, wenn wir uns nicht auf den Weg gemacht hätten. Wir haben in Digitalien wichtige Erfahrungen gemacht, die uns heute helfen, die Digitalisierung umzusetzen.
„Viele digitale Initiativen sind eher vordergründig „effekthaschend“ als wirklich nachhaltig. Davon darf man sich nicht in die Irre führen lassen.“ Christopher Rheidt
Wirtschaftsforum: In einer Passage mit dem Titel „Immer hinken wir hinterher“ gehen Sie auf die vielzitierte rote Laterne Deutschlands bei der Digitalisierung ein. Hängen wir wirklich hinterher oder lamentieren wir nur gerne?
Christopher Rheidt: Bevor wir das bewerten, müssen wir ein anderes Thema beleuchten: nämlich die vorhandene Infrastruktur in Deutschland. Wir glauben, dass wir hier hinterherhinken und die Politik dringend gefordert ist, jetzt schnell zu agieren. Das hat die neue Regierung ja auch versprochen.
Viel zu viele deutsche Gegenden sind noch nicht richtig mit einem schnellen Internetanschluss versorgt beziehungsweise er ist nicht so schnell wie angepriesen. Die Telekom will mit ihrem neuen Milliardenprogramm da ja auch Abhilfe schaffen, aber Fakt ist, wir haben noch nicht die besten Grundvoraussetzungen.
Ein anderer Punkt ist, wie sich die Wirtschaft verhält. Es gibt ja noch viele insbesondere mittelständige Unternehmen in Deutschland, die lieber ein Fax als eine E-Mail versenden. Diese Unternehmen werden es in der Tat schwer haben, Anschluss zu halten.
Man muss aber auch festhalten: Viele digitale Initiativen sind eher vordergründig „effekthaschend“ als wirklich nachhaltig. Davon darf man sich nicht in die Irre führen lassen. Zudem haben wir von den Start-ups gelernt: Die Jungunternehmer sind agil und machen einfach. Davon können wir lernen.
Wir im Mittelstand sind es gewohnt, erst mit einer Idee loszurennen, wenn wir bei 100% sind. Zukünftig müssen wir es wagen, zeitiger mit einer Idee nach draußen zu gehen, um so auch früher das Feedback in Weiterentwicklungen einfließen lassen zu können.
„Wir im Mittelstand sind es gewohnt, erst mit einer Idee loszurennen, wenn wir bei 100% sind.“ Christopher Rheidt
Wirtschaftsforum: Ein kleiner Exkurs zur Aufmachung des Buches als Reiseführer: Es gibt von Ihnen für den Leser Ortsmarken, Reisetipps und Handlungsempfehlungen. Was sprach gegen ein klassisches Sachbuch? Wieso diese Metapher?
Daniel Wagenführer: Wie schon gesagt, haben wir bei unserer Reise konkrete Hilfestellungen vermisst. Daraus ist die Idee für das Buch entstanden. Wir sprechen übrigens lieber von einem Reisebericht als von einem Reiseführer, weil wir konkrete Erfahrungen schildern.
Als wir losfuhren, haben wir, wie jeder Reisende, etwas hinter uns gelassen und Neues gewagt. Unterwegs haben wir viele Menschen getroffen, die uns „Souvenirs“ verkaufen und uns „Shows“ bieten wollten – etwa so wie auf dem Basar von Marrakesch. Und wir haben uns während der Tour verändert. Wir haben das Positive aufgenommen und gelernt, uns nicht zu verlieren.
Es war für uns aus all diesen Gründen naheliegend, diese Erfahrungen in dieser Buchform aufzuschreiben und in einer unserer Auffassung nach unterhaltsamen Art und Weise aufzubereiten.
„In Berlin entstehen immer neue Netzwerke und die Mutigen dort sind bereit, etwas auszuprobieren und sich nicht beschränken zu lassen.“ Christopher Rheidt
Wirtschaftsforum: In Ihrem Buch konzentrieren Sie sich im Wesentlichen auf Berlin. Inwiefern ist Berlin für Sie die wahre Hauptstadt Digitaliens oder sehen Sie auch andere Kandidaten?
Christopher Rheidt: Wir haben uns für Berlin entschieden, weil die Stadt als Gründer-Hauptstadt und als Start-up-Hochburg gilt. Genau deshalb fahren ja auch viele Mittelständler und Konzerne dahin. In Berlin gibt es bereits viele Digitalisierungs-Aktivitäten, nicht nur von Start-ups, sondern auch von Corporates.
Wir glauben, dass vieles in Berlin weniger eingefahren ist als in anderen Städten und noch nicht alles zur Routine erstarrt ist. In Berlin entstehen immer neue Netzwerke und die Mutigen dort sind bereit, etwas auszuprobieren und sich nicht beschränken zu lassen. Dort hat sich ein richtiges Ökosystem rund um das Thema entwickelt mit einer funktionierenden Infrastruktur und man findet dort auch viele seriöse und gute Angebote. Dieses Umfeld bietet genau die Inspiration, die Unternehmen dringend benötigen.
Aber selbstverständlich kann die Hauptstadt Digitaliens auch anderswo liegen. Das Silicon Valley, Tel Aviv oder London sind ebenfalls inspirierende Kandidaten dafür, kamen für uns aber erstmal weniger in Frage. Wir wollten hands-on Eindrücke sammeln und lernen, wie diese im direkten Kontakt mit digitalaffinen Köpfen bei uns umsetzbar wären – daher Berlin.
In Deutschland könnten es auch Städte wie Frankfurt, Hamburg oder München sein. Auch hier findet man entsprechende Gründerszenen, nach unserer Auffassung aber nicht so ausgeprägt wie in Berlin.
Wirtschaftsforum: Nachdem Sie Ihren Reisebericht abgeschlossen haben: Haben Sie Geschmack am Dasein des Reisejournalisten gefunden? Wird es gar eine Reise nach Industrien 4.0 geben?
Daniel Wagenführer: Jeder muss das Thema Digitalisierung für sich in seinem Kontext definieren und begreifen. Das haben wir getan und unseren Weg gefunden. Deshalb ist es aus unserer Sicht eher unwahrscheinlich, dass wir den Weg Richtung Industrie 4.0 einschlagen – wir werden eher in Digitalien weiter fortschreiten. Aber… who knows?
Interview: Markus Büssecker
Foto: Dominik Butzmann