Das Wertesystem der Ökonomik widerspricht den demokratischen Grundwerten

Interview mit Christian Felber, Autor, Tanzperformer und politischer Aktivist

Wirtschaftsforum: Herr Felber, der Untertitel Ihres Buches lautet `Aufruf zur Revolution der Wirtschaftswissenschaft´. Das klingt für ein Sachbuch ziemlich drastisch…

Christian Felber: Der Begriff der Revolution ist eine Anspielung auf den Wissenschaftshistoriker Thomas Kuhn, der 1962 ein Standardwerk über die „Struktur der wissenschaftlichen Revolution“ geschrieben hat, wobei er hier die Naturwissenschaften im Sinn hatte: Werden Grundannahmen, zum Beispiel in der Physik, so sehr erschüttert, dass sie irgendwann nicht mehr zu halten sind, erfolgt ein Paradigmenwechsel, der schließlich zu einer wissenschaftlichen Revolution führt. Einsteins Relativitätstheorie ist hier ein Beispiel, oder auch Kopernikus und sein heliozentrisches Weltbild, das die Vorstellung ablöste, die Erde sei der Mittelpunkt des Sonnensystems. Die der Ökonomik bevorstehende Transformation ist potenziell größer, weil es nicht nur um eine inhaltliche Disruption geht – Wachstumsglaube, Menschenbild, Gemeinwohl statt Kapital als Ziel – sondern ein ganzer Disziplinenwechsel steht bevor: von der Natur- zur Sozialwissenschaft.

Wirtschaftsforum: Sie setzen sich ausführlich mit diversen Kritikpunkten, die gegenüber dem Mainstream der Wirtschaftswissenschaft geäußert werden, auseinander. Welcher hat für Sie das größte Gewicht?

Christian Felber: Eben genau dieser, dass sie sich als oder wie eine Naturwissenschaft versteht und Märkte wie Naturphänomene untersucht. Deshalb spricht sie irreführender Weise auch von „Marktgesetzen“ und vom „Marktmechanismus“. Das ist nicht nur eine radikale Selbst- und Publikumstäuschung – die Wirtschafts- ist eine Sozialwissenschaft, zumal Märkte, Unternehmen, Geld und Eigentum menschengemachte kulturelle Erfindungen sind –; sondern diese Täuschung hat auch den Effekt, dass neue Ideen und Vorschläge zur Umgestaltung der Wirtschaftsordnung als „unwissenschaftlich“ und „normativ“ abgewehrt werden, so als wäre das aktuelle System keine politische Ordnung, die auf ganz bestimmten Werten und Entscheidungen beruht. Im Gewand der Naturwissenschaft erweckt sie die Illusion der Wertfreiheit, obwohl sie ein markantes Wertesystem verbreitet: Eigennutzmaximierung, Konkurrenzorientierung, Verfolgung finanzieller Ziele und grenzenloses Wachstum. Das Problem dieser Werte ist, dass sie im Widerspruch zu demokratischen Grundwerten – Menschenwürde, Gerechtigkeit, Solidarität, Nachhaltigkeit und Mitentscheidung – stehen. Der eigennutzenmaximierende Homo oeconomicus ist verfassungswidrig. Die Ökonomen stellen ihn aber nicht zur Diskussion, sondern behandeln ihn, als wäre er die Menschennatur. Dabei hilft ihnen der Anschein der Naturwissenschaftlichkeit.

Christian Felber
„Der eigennutzenmaximierende Homo oeconomicus ist verfassungswidrig. Die Ökonomen stellen ihn aber nicht zur Diskussion, sondern behandeln ihn, als wäre er die Menschennatur.“ Christian Felber

Wirtschaftsforum: Es entsteht der Eindruck, dass die Wirtschaftswissenschaft sich in dem vielzitierten Elfenbeinturm eingeschlossen hat. Warum können wir sie dort nicht einfach lassen?

Christian Felber: Ach, wäre es doch nur ein isolierter Elfenbeinturm! Doch die Ökonomik ist mehr der Penthouse-Aufsatz on top of the Parlament! Denn sie sind die gefragtesten und bestbezahlten Politik-Berater*innen. Jeder gute Regierungschef hält sich einen Chef-Ökonomen, aber keine Chef-Ökologin. Manchmal ersetzen ökonomische „Technokraten“ direkt Regierungschefs wie im Falle Griechenlands oder Italiens. Ergebnis sind Finanzkrisen, Verteilungsprobleme und eine sich verfestigende Unterschicht, obwohl das Land im Ganzen so reich ist wie noch nie, was wiederum zu Pegida, AfD, Brexit und Trump führt. Neben dem sozialen Desaster ist die Wirtschaftswissenschaft für das ökologische Desaster hauptverantwortlich, weil es als Ziel eben gerade nicht das „ökologische Gleichgewicht“ anstrebt, sondern permanentes BIP-Wachstum: eine Kamikaze-Strategie für jede vernunftbegabte Gesellschaft. Ach, wären sie doch nur in ihrem Elfenbeinturm!

„Neben dem sozialen Desaster ist die Wirtschaftswissenschaft für das ökologische Desaster hauptverantwortlich, weil es als Ziel eben gerade nicht das „ökologische Gleichgewicht“ anstrebt, sondern permanentes BIP-Wachstum.“ Christian Felber
Christian Felber

Wirtschaftsforum: In dem Kapitel `Lehrbuchposse´ wird deutlich, wie empfindlich etablierte Kreise auf Erschütterungen ihres Weltbilds reagieren. Inwiefern hat Sie die Vehemenz der Kritik an Ihrer Person und der Gemeinwohl-Theorie überrascht?

Christian Felber: Als Wirtschaftsreformer bin ich lebendige Resonanz gewohnt, Innovationen lösen stets auch Irritationen aus und nicht nur Begeisterung. Was mich hingegen überrascht hat, ist die Nichtigkeit des Anlasses für den extrem ineffizienten Einsatz öffentlicher Empörungsressourcen. Denn meine Abbildung war nach fachdidaktischen Kriterien – Multiperspektivität, Kontroversität, Aktualität – goldrichtig, sie hat ihnen nur nicht gefallen. Im Vergleich sind die meistverwendeten Lehrbücher der Mikro- und Makroökonomik haarsträubend fehlerhaft, ideologisch aufgeladen und voller politischer Meinung und Manipulation, was ich im Buch zeige. Hier bräuchte es eigentlich eine ganze Bürgerinitiative zur Verbesserung der Lehrbücher. Hier bleiben die Mainstream-Ökonomen jedoch untätig, sie kommen mit diesem Wahnsinn klar. Und gehen offenbar lieber gegen jene vor, die den Wahnsinn versuchen aufzuzeigen und Reformen einzuleiten.

Wirtschaftsforum: Als Alternative formulieren Sie eine Plurale Ökonomik. Wie lange wird es Ihrer Meinung nach dauern, bis sich eine solche Ansicht umfassend durchsetzt?

Christian Felber: Zum Glück wurden die ersten Master-Lehrgänge in Pluraler Ökonomik bereits eingerichtet: An der Universität Siegen, aber auch in Duisburg-Essen, in Wien und am Schumacher College in UK. In Valencia ist ein Lehrstuhl Gemeinwohl-Ökonomie eingerichtet. Doch diese „heterodoxen“ Ansätze in Forschung und Lehre sind bisher nur Nischen, der Mainstream ist noch sehr dominant. Mit dem Netzwerk Plurale Ökonomik und der International Students Initiative for Pluralism in Economics wird sich das jetzt hoffentlich ändern. Mein Buch ist ein Beitrag zu dieser transformativen und im Sinne Kuhns revolutionären Bewegung.

Interview: Markus Büssecker | Fotos:  uschioswald.at; Jose Lois Rocca; Robert Gortana

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