Auch Banken werden zu den Gewinnern der Fintechnisierung gehören
Interview mit Florian Semle, Experte für digitale Kommunikation und Transformation

Wirtschaftsforum: Herr Semle, haben die traditionellen Banken in Deutschland, wie zum Beispiel die Volksbanken Raiffeisenbanken oder die Sparkassen, den Anschluss an die digitale Transformation verpasst?
Florian Semle: Nein. Die Finanz- und Versicherungsbranche war lange Zeit aus verschiedenen Gründen relativ resistent gegen digitale Entwicklungen, aber die Branche insgesamt hat ihre „Kodak- und Quelle-Lektion“ gelernt: Niemand unterschätzt inzwischen mehr die kreativen neuen Anbieter mit ihren Nischenprodukten und smarten Anwendungen. Die Einsicht in die Notwendigkeiten zur Transformation wächst branchenweit. Ich bin überzeugt, dass es auch auf Seiten der Banken sogar Gewinner der Fintechnisierung geben wird. Nur werden Größe und Marktposition nicht mehr das entscheidende Erfolgskriterium sein, sondern Wandelungsfähigkeit, Kooperationsfähigkeit – zum Beispiel mit Start-ups – und Innovationskultur.

„Eigentlich sollte eine App mit ihren standardisierten Automatismen keine Kundenberatung ersetzen können.“ Florian SemleExperte für digitale Kommunikation und Transformation
Wirtschaftsforum: Betrachten wir das Verhältnis zwischen Banken und Fintechs. Sind die Fintechs von heute die Großbanken von morgen?
Florian Semle: Wir sollten aufhören, in solchen Kategorien zu denken. Der Begriff „Fintech“ oder „Insurtech“ bezeichnete ja ursprünglich nicht einfach nur Start-ups, sondern die Verbindung zwischen Finanzgeschäft und neuen Technologien. Diese Definition führt meines Erachtens wesentlich weiter. In Sachen digitaler Transformation gilt, was Bill Gates bereits bei der ersten Welle der Digitalisierung wusste: Nicht die Großen werden die Kleinen, sondern die Schnellen die Langsamen schlagen.
Wirtschaftsforum: Diese Transformation wird sich auch auf die in der Bankenbranche beschäftigten Menschen auswirken. Wird der Bankberater bald durch eine App abgelöst?
Florian Semle: Eigentlich sollte eine App mit ihren standardisierten Automatismen keine Kundenberatung ersetzen können. Das Apps es dennoch häufig tun, zeigt, was eigentlich falsch läuft: Der persönliche Mehrwert vieler Beratungen fehlt. Der Kunde spürt, dass nicht er, sondern der Abschluss im Fokus steht. Er wird mehr verwaltet als beraten. Automatismen können Apps besser und smarter – ein persönliches Gespräch mit menschlichen Attributen wie Empathie oder Einfühlungsvermögen können sie (noch) nicht. Ich glaube, dass gerade wegen der Digitalisierung das hochwertige persönliche Beratungsgespräch wieder mehr geschätzt werden wird, allerdings nicht als Massenangebot, sondern als exklusiver Service.
Wirtschaftsforum: Wieviel Kulturwandel ist in den Banken notwendig, um die neuen Technologien erfolgreich einführen zu können?
Florian Semle: Der Kulturwandel ist meines Erachtens eine Grundbedingung dafür, dass diese neuen Technologien überhaupt funktionieren können. Denken Sie an die vielen High-Tech Intranets, die heute als digitale Friedhöfe vor sich hindämmern. Das ist ein teures Beispiel dafür, wie High-Tech zur Fehlinvestition wird, wenn die Menschen nicht abgeholt und mitgenommen werden. Erfolgreiche digitale Transformation muss „Mensch-zentriert“ sein: Sie sollte nicht bei der Technologie und in Expertenzirkeln beginnen, sondern bei Kunden und bei Mitarbeitern, sonst droht sie Lösungen für Probleme zu entwickeln, die niemand hat.

„Erfolgreiche digitale Transformation muss „Mensch-zentriert“ sein.“ Florian SemleExperte für digitale Kommunikation und Transformation
Wirtschaftsforum: Wie sieht denn nun das Bankgeschäft der Zukunft aus?
Florian Semle: Das ist die Frage nach der Weltformel der Transformation, die ich anhand von drei Punkten nur oberflächlich skizzieren kann. Erstens werden Banken so unsichtbar wie Stromanbieter heute, weil Finanzgeschäfte so unkompliziert und selbstverständlich digital sind, dass ich bei Transaktionen gar nicht mehr den Eindruck habe, es mit einer Bank zu tun zu haben. Zweitens werden Banken zu Vertrauensmarken – und Maklern: Finanzgeschäfte werden in Zukunft kein „Banken-Monopol“ sein, weil kleine Unternehmen, technische Dienstleister oder die Mega-Technologiefirmen wie Amazon oder Google Funktionen übernehmen werden. Die Aufgabe der Banken wird mehr die Wahrung von Qualität, Rechten und Garantien werden, nicht so sehr die Durchführung. Zu guter Letzt werden Banken zu Lifestyle-Ermöglichern. Im Zeitalter der Datenökonomie werden Leistungen nicht mehr angefragt oder durch Marketing angebahnt. Bei immer mehr Kunden wird die Bank vorher wissen, welche Bedürfnisse ihre Kunden haben. Sie wird sogar zukünftige Bedürfnisse ermitteln und im günstigsten Falle eine Art finanzielle Lebensberatung anbieten.
Menschen im Fokus
Florian Semle ist seit über acht Jahren selbstständig als Unternehmensberater, Blogger, Dozent und Coach tätig. Seine Arbeiten erhielten zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem den PR-Award für Public Affairs (2005), Bester Corporate Blog (2010) sowie den Grimme Online Award (2012).
Website: www.digitale-klarheit.de
Interview: Sabine Benzler