Demokratie ist wie eine Drehtür. Spätestens alle vier Jahre stellen sich in Deutschland die Parteien hinein und wir, die Wähler, sitzen am Drücker. Noch hat niemand ein besseres System erfunden. Im Gegenteil: In Syrien und anderen autokratischen Systemen auf dieser Erde kämpfen und sterben die Menschen, um so bestimmen zu dürfen wie wir.
Und dennoch steigt hierzulande die Zahl der Nichtwähler. Beim letzten Mal im Jahr 2009 waren es fast 30% der Wahlberechtigten, die natürlich auch eine Wahlentscheidung treffen, nämlich die falsche. Und das aus zwei Gründen: Erstens entmündigen sie sich selbst und lassen damit andere über ihr Schicksal entscheiden. Zweitens verpasst man mit der Verweigerungshaltung die Chance des Wechsels, um den es in einer Demokratie eigentlich geht. Barack Obama hatte dies einst zum Leitmotiv seiner Wahlkampagne („Change“) gemacht und wurde prompt der erste schwarze Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.
Jeder sollte sich die Frage stellen, ob er mit der Arbeit der noch amtierenden Regierung zufrieden ist oder nicht. Acht Jahre haben Angela Merkel und ihre Mannschaft insgesamt Zeit gehabt, dieses Land voranzubringen. Doch von Gestalten kann kaum die Rede sein, eher von Verwalten. Wichtige Reformen wurden nicht angepackt, entscheidende Wirtschaftsimpulse verschlafen. Zaudern, Zögern und Zick-Zack-Kurse prägten in der Gesamtbetrachtung die Amtsjahre der Kanzlerin. Zuletzt war das auch außenpolitisch in der Syrien-Frage gut erkennbar – keine klare Linie.
Zwar steht Deutschland wirtschaftlich gut da, ist sogar die Wachstumslokomotive in Europa, aber viele sagen zu Recht: Merkel erntet nur die Früchte der Reformagenda 2010 von Ex-Kanzler Gerhard Schröder. Das reicht nicht. Dieses Land könnte noch so viel mehr leisten, wenn die Regierung die richtigen Prioritäten setzen würde. Ein Beispiel: An den Ausgaben für Forschung und Entwicklung beteiligt sich der Staat nur mit mageren 5,9%. In anderen Industrienationen wird mit bis zu 15% mehr Wert auf Innovationsfähigkeit gelegt.
Wer nicht genug in die Zukunft investiert, der hat in der Gegenwart auch nicht viel von ihr zu erwarten. Genau so ist es mit dem Kreuz auf dem Wahlzettel. Der erste Wahlverlierer ist nicht irgendeine Partei, sondern die Gruppe der Nichtwähler. Zwar sind Wahlen in Deutschland, anders als zum Beispiel in Belgien, keine Pflichtveranstaltung, aber vielleicht sollten sie es werden, damit man noch von einer repräsentativen Demokratie sprechen kann. Wir Deutschen haben ein Wahlrecht, das meist mehr Qual als Wahl ist, aber wer hat schon behauptet, dass die Entscheidung leicht wäre.
Tobias Kempkes