Was wir von China heute lernen können
Interview mit Jürgen Kracht, Unternehmer und Autor
Wirtschaftsforum: Herr Kracht, was hat Sie dazu bewogen ein Buch über China zu veröffentlichen. Ist denn zu diesem Thema nicht schon alles geschrieben worden?
Jürgen Kracht: Nein, zum Thema China ist noch nicht alles geschrieben und mein Buch hat zudem ein besonderes Alleinstellungsmerkmal. Ich beschäftige mich darin mit der Entstehung des China-Geschäfts in den DACH-Ländern. Dabei zeige ich unterschiedliche Wellen in der Entwicklung beginnend mit 1713 als ein Gesamtbild. Das Datum gilt als historischer Startpunkt der Handelsbeziehungen, als ein Schiff der Monarchie Habsburg in Kanton einlief. Meine abschließende Frage ist dann, was Deutschland heutzutage von China lernen kann.
Wirtschaftsforum: Das kann durchaus als provokante Fragestellung aufgefasst werden. Schließlich glauben viele Europäer, dass die Chinesen so viel von ihnen lernen können.
Jürgen Kracht: Das ist vorbei. Wir hatten lange Zeit in China einen Seller‘s Market. Westliche Länder haben die Produkte nach China verkauft und entschieden, welche Produkte das waren. Heute gibt es Buyer’s Market. Die Chinesen entscheiden, was sie kaufen wollen und treten da auch sehr bestimmt auf. Um nochmal darauf zurückzukommen, was wir von China lernen können. Da wäre zum Beispiel das Zahlungswesen. In Peking bezahle ich vom Kaffee bis hin zum Taxi mit der App ganz ohne Bargeld. Da hinken wir in Deutschland deutlich hinterher.
„In Peking bezahle ich vom Kaffee bis hin zum Taxi mit der App ganz ohne Bargeld. Da hinken wir in Deutschland deutlich hinterher.“ Jürgen Kracht
Wirtschaftsforum: Sprechen Sie da WeChat an?
Jürgen Kracht: WeChat ist ein Messengerdienst mit über 900 Millionen Nutzern, der für weit mehr als nur das Bezahlen genutzt wird. Das wirkt sich auch im unternehmerischen Umfeld aus. Chinesische Mitarbeiter in Unternehmen mit Hauptsitz in Europa möchten zum Beispiel via WeChat mit den Kunden kommunizieren. Email oder Telefon werden kaum, Systeme wie Salesforce gar nicht mehr genutzt. Doch die Unternehmen reagieren viel zu langsam und haben Bedenken, weil es um den Datenschutz geht. Das ist ein riesiger Unterschied in der Geschwindigkeit bei der Entscheidungsfindung.
Wirtschaftsforum: Stichwort „Geschwindigkeit“ – Was sind die Ursachen für dieses Tempo, das wir an vielen Stellen nicht haben?
Jürgen Kracht: Die DACH-Region war immer ein technologischer Marktführer. Das hat uns auch ein wenig behäbig gemacht. Ein anderer Faktor ist sicherlich: Wenn wir Produkte entwickeln, sind wir sehr penibel, aber auch sehr langsam. Wir bringen nur ausgereifte Produkte an den Markt. Der Chinese ist ganz anders. Der denkt an time-to-market, also in der Dimension Geschwindigkeit. Er bringt das Produkt erst einmal auf den Markt und passt es an, je nachdem was der Kunde sagt.
Wirtschaftsforum: Welche Rolle spielt dabei die politische Führung Chinas?
Jürgen Kracht: Das ist ein sehr interessanter Punkt. Newcomern überlässt man ein breites Gestaltungsfeld, die können sich frei entwickeln. Denken Sie daran, wie Ali Baba nach oben gekommen ist. Wir in Europa schaffen zunächst einmal Bestimmungen und Gesetze. Dann erst kommt das freie Unternehmertum. Klar ist auch, dass China keine Demokratie ist und auf absehbare Zeit auch keine bekommen wird. Aber die Menschen haben sich darauf eingestellt, auch weil es Ihnen wirtschaftlich immer besser geht. Da ist Demokratie kein Gesprächsthema.
Wirtschaftsforum: Kann es sein, dass diese spezifische gesellschaftliche Grundlage in China es ermöglicht, langfristige Pläne zu machen, während unsere Politiker eher von Wahl zu Wahl denken und vor allem Handeln?
Jürgen Kracht: Ich habe in Deutschland ja nichts zu sagen. Aber wenn ich was zu sagen hätte, würde ich zumindest Bundes- und Landtagswahlen auf einen Termin setzen. Man hechelt von Wahltermin zu Wahltermin und das macht keine mittelfristige Politik möglich.
„Die DACH-Region war immer ein technologischer Marktführer. Das hat uns auch ein wenig behäbig gemacht.“ Jürgen Kracht
Wirtschaftsforum: Gibt es denn aus der ökonomischen Vergangenheit Chinas irgendeinen Hinweis, dass das Land diese gewaltige Entwicklung macht und quasi Weltmacht wird?
Jürgen Kracht: Als ich 1971 nach Hong Kong ging, konnte man im Traum nicht daran denken. Erst Anfang der 1980er-Jahre entstand ein Gefühl, hier entwickelt sich etwas und das wird sagenhaft. Eng verbunden ist das meines Erachtens mit der Person von Deng Xiaoping, der die Menschen mitgerissen und für wirtschaftliche Veränderungen gesorgt hat.
Wirtschaftsforum: Kommen wir abschließend zurück zu Ihrem Buch. Was wäre die Hauptbotschaft und wer ist die Zielgruppe?
Jürgen Kracht: Das Hauptthema ist zunächst zu zeigen, wo wir herkommen und uns besser auf die Zukunft vorzubereiten. Ich konnte mit vielen Zeitzeugen aus dem letzten Jahrhundert sprechen. Das hat nochmal deutlich gemacht, wie spannend das Thema China ist. Als Zielgruppe habe ich zunächst an alle gedacht, die mit China eben Geschäfte machen. Zwischenzeitlich erreichten mich aber auch interessierte Anfragen aus komplett anderen Bereichen, sodass ich von einem allgemeinen Publikum sprechen kann.
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