Es gibt nie nur einen einzigen Grund für Erfolg

Interview mit Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der Wochenzeitung 'Die Zeit'

Wirtschaftsforum: Der Titel des Buches, das Sie mit dem italienischen Mafia-Experten und Journalisten Roberto Saviano geschrieben haben, lautet ‚Erklär mir Italien‘. Wie würden Sie die italienische Wirtschaft erklären?

Giovanni di Lorenzo: Ich wäre nicht in der Lage sie zu erklären [lacht]. Diese Frage ist zu spezifisch und generisch zugleich. Ich kann aber sagen, dass es für viele Deutsche unverständlich ist, warum die italienische Staatsverschuldung wie ein kleines Unglück betrachtet wird und nicht wie ein ernsthaftes und schwerwiegendes Problem, das noch viele Generationen betreffen wird. Und vor allem, warum diese Staatsverschuldung der EU zur Last gelegt wird und nicht der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Regierungen Italiens. Das bleibt auch für mich ein Rätsel.

Wirtschaftsforum: Interessant ist, dass Sie vor vielen Jahren bei dem italienischen Medienunternehmen Mediaset, das von Silvio Berlusconi gegründet wurde, gearbeitet haben.

Giovanni di Lorenzo: Ich habe meine Magisterarbeit über Berlusconis Holding Fininvest geschrieben. Der Titel lautete ‚Strategie und Aufstieg des Privatfernsehens in Italien am Beispiel der Networks von Silvio Berlusconi‘. Danach folgte in der Tat noch ein kurzes Arbeitsverhältnis als Berater, ich habe die Fininvest von München aus über die Entwicklungen auf dem deutschen Medienmarkt informiert. In dieser Phase kamen auch in Deutschland die ersten privaten Fernsehsender auf. Meine Zeit in dieser Geschäftswelt war aber eher eine Momentaufnahme, ich habe mich da auch sehr fremd gefühlt.

Wirtschaftsforum: Ist Ihrer Meinung nach Silvio Berlusconi ein erfolgreicher Unternehmer?

Giovanni di Lorenzo: Ja, unterm Strich ist er das. Vor allem ist er ein innovativer Unternehmer: Er hat aus seiner eigenen Person eine der stärksten Marken gemacht. Das brachte ihm Erfolg, ich sage das jetzt wertfrei, unabhängig von moralischen Ansprüchen, an denen man Berlusconi auch messen sollte: Ihm war und ist ja jedes Mittel recht, um seine Macht zu erhalten.

Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der Wochenzeitung 'Die Zeit'
„Was die italienischen und deutschen Unternehmen unbedingt gemeinsam haben, ist, dass sie unbeirrt ihren Weg gehen, völlig unbeeindruckt von den Signalen durch die Politik.“ Giovanni di Lorenzo

Wirtschaftsforum: Wenn wir über Innovation sprechen und die Besonderheit der italienischen Wirtschaft: Glauben Sie, dass die Deutschen etwas von den Italienern lernen können oder eher umgekehrt?

Giovanni di Lorenzo: Sagen wir es so: Das Gefüge von mittelständischen Familienunternehmen in Italien hat sicherlich etwas mit Kultur zu tun. Innovative, mittelständische Familienunternehmen mit einer starken Familienstruktur, die gibt es zwar auch in Deutschland. Vielleicht spielt die Tradition bei ihnen aber eine nicht ganz so große Rolle. Was die italienischen und deutschen Unternehmen unbedingt gemeinsam haben, ist, dass sie unbeirrt ihren Weg gehen, völlig unbeeindruckt von den Signalen durch die Politik.

Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der Wochenzeitung 'Die Zeit'
„Wir sind früh dem Instinkt gefolgt, dass wir uns erneuern müssen, dass wir in Bewegung bleiben müssen.“ Giovanni di Lorenzo

Wirtschaftsforum: Sprechen wir über die ‚Zeit‘: Sie ist sowohl in der Papierversion als auch online sehr erfolgreich. Was ist Ihrer Meinung nach der Grund für diesen Erfolg?

Giovanni di Lorenzo: Es gibt nie nur einen einzigen Grund für Erfolg, auch wir haben kein Patentrezept gefunden. Und wir schauen auf die vergangenen Jahre auch sehr demütig, weil es natürlich keine Garantie gibt, dass es immer so weitergeht. Wir sind allerdings früh dem Instinkt gefolgt, dass wir uns erneuern müssen, dass wir in Bewegung bleiben müssen – auch schon zu einer Zeit, als die digitale Bedrohung für das Medium Print noch nicht spürbar war.

Der jüngste Erfolg der gedruckten ‚Zeit‘ wäre ja unvorstellbar, wenn die Digitalisierung an allen Problemen der Printmedien schuld wäre. Wir haben uns auch immer wieder an das gehalten, was heute in der Kommunikationswissenschaft ‚Constructive Journalism‘ genannt wird: Gemeint ist eine Art von Journalismus, bei dem die Probleme benannt werden, aber gleichzeitig Ideen für Lösungen beschrieben werden – mit dem Ergebnis, dass die Lektüre der Zeitung nicht mehr wie ein seitenlanges Untergangsszenario wirkt.

Wir haben nicht zuletzt innerhalb bestimmter Grenzen auch eine enge Zusammenarbeit zwischen Verlag und Redaktion, die uns hilft, gerade wenn es um die Umsetzung neuer Ideen geht.

Wirtschaftsforum: Welche waren die Impulse, die Sie der ‚Zeit‘ gegeben haben und welche werden sie in der Zukunft geben?

Giovanni di Lorenzo: Was meine spezifischen Verdienste betrifft, müssen das andere beurteilen. Ich kann nur sagen: Für die nächsten Jahre wollen wir alles tun, um den Erfolg der ‚Zeit‘ weiter zu sichern, der für diese Branche doch ziemlich ungewöhnlich ist.

Wirtschaftsforum: … die Auflage halten oder sie verbessern?

Giovanni di Lorenzo: Sie zu halten wäre angesichts der Umstände schon ein riesiger Erfolg. Und dann halte ich es für unabdingbar, nach dem Prinzip der Kulturrevolution das Blatt weiter zu verändern, selbstverständlich ohne Grausamkeiten. Es gibt viele Projekte, die bei uns gerade diskutiert werden. Wir überlegen sogar, ob wir das Format der ‚Zeit‘ ändern sollen.

Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der Wochenzeitung 'Die Zeit'
„Die kostenlosen journalistischen Formate können bis dato alles, außer das notwendige Geld einbringen, um solche Redaktionen wie die unseren aufrechtzuerhalten.“ Giovanni di Lorenzo

Wirtschaftsforum: Wir haben die digitale Welt angesprochen und ich komme darauf zurück. Denken Sie, dass es in fünf Jahren die ‚Zeit‘ noch in Papierform geben wird?

Giovanni di Lorenzo: Ohne Zweifel werden wir in fünf Jahren mehr Digital-Abonnenten haben, die aber genau das bekommen, was sonst auf dem Papier erscheint. Dafür zahlen sie den gleichen Betrag, den die Zeitung kostet. Mir ist es im Grunde egal, ob uns die Leute auf Papier oder auf dem IPad lesen. Wir wollen unsere Inhalte verkaufen.

Man muss allerdings auch ganz klar formulieren: Die kostenlosen journalistischen Formate können bis dato alles, außer das notwendige Geld einbringen, um solche Redaktionen wie die unseren aufrechtzuerhalten. Letztendlich sind aber gerade diese Redaktionen eine echte Garantie für Qualität und vor allem für Unabhängigkeit. Unsere Verlagsgruppe generiert immer noch den Großteil der Einnahmen aus der Wochenzeitung.

Wirtschaftsforum: Inwiefern glauben Sie, dass es heutzutage überhaupt noch möglich ist, den freien und kritischen Journalismus zu vertreten, gerade in Bezug auf den Wirtschaftsjournalismus?

Giovanni di Lorenzo: Natürlich glaube ich, dass das möglich ist, sonst müsste ich ja sofort meinen Job an den Nagel hängen: Für diesen freien und kritischen Journalismus gibt es doch gerade bei uns in Deutschland auch unzählige gute Beispiele! Gleichzeitig verfügen die Unternehmen über gigantische Informationsapparate, die nur dazu da sind, PR in eigener Sache zu organisieren. Diese Abteilungen sind sehr viel besser besetzt als die meisten Redaktionen der Wirtschaftszeitungen. Umso herausfordernder ist es, dem anspruchsvolle und unabhängige journalistische Arbeit entgegenzusetzen.

Fotos: DieZeit/Jim Rakete

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