Lebensart auf Italienisch
Interview mit Micol Viano, Leiterin Produktentwicklung der Eataly Srl
„Essen bringt Menschen zusammen“, sagt Micol Viano, Leiterin Produktentwicklung und seit 2009 bei Eataly. „Das klingt sehr einfach, aber genau das ist unser Kernprinzip. Unsere Produkte sind ‘echt’, das heißt, es sind alles Dinge, die nachhaltig und verantwortungsvoll produziert wurden.“
Und davon hat Eataly seinen Kunden reichlich zu bieten: Von Brot und Pasta über Fleisch- und Wurstwaren, Fisch, Obst und Gemüse, Öle, Saucen, Gewürzen, süßes und salziges Gebäck, Schokoladen, Konfitüren und Brotaufstrichen bis hin zu Säften, Tees, Likören und Wein umfasst das Angebot eine ganze Welt typisch italienischer Produkte.
Sie stammen fast ausschließlich von kleineren Produzenten, die ihr Handwerk mit großem Können und auf höchstem Niveau betreiben. „Die italienische Esskultur ist eine der reichsten der Welt und spiegelt sich in einer Vielzahl traditioneller Nahrungsmittel und Getränke wider. Unser Ziel ist es, diese traditionellen und echt italienischen Produkte, die mit der sonst häufig angebotenen Massenware nichts zu tun haben, bekannt zu machen“, führt Micol Viano aus. „Eine Zielgruppe im eigentlichen Sinne haben wir nicht, sondern wir wollen wirklich jeden ansprechen, jedem die Möglichkeit geben, die italienische Lebensart, bei der Essen und Gemeinsamkeit untrennbar verbunden sind, unverfälscht zu genießen und sie bewusst zu erleben, indem wir auch etwas darüber vermitteln. Wir möchten, dass unsere Kunden nicht nur bei uns einkaufen, sondern dabei auch Spaß haben und sogar etwas lernen können über die Dinge, die sie kaufen.
Unser Konzept ist ein Shop, der wie ein großer Marktplatz mit Ständen und kleinen Restaurants aufgebaut ist. Dort gibt es beispielsweise Schlachter, Fischhändler und Anbieter von Obst und Gemüse, außerdem eine Schauküche, wo unsere Köche Gerichte frisch zubereiten – aus den gleichen Zutaten, wie sie im Shop verkauft werden. Man kann ihnen dabei über die Schulter sehen, Fragen stellen, sich informieren ... Unsere Shops sind Orte der Begegnung, jeder von ihnen ist sozusagen ein großer ‘Vergnügungspark’ zum Thema italienisches Essen, wo man miteinander ins Gespräch kommt.“
Orte der Begegnung
Die Idee dazu kam Firmengründer Oscar Farinetti im Jahr 2002. Befreundet mit Carlo Petrini, dem Gründer von Slow Food, war auch er fasziniert von dem Gedanken, dass Essen eben nicht nur ein leicht zu befriedigendes Grundbedürfnis, sondern auch ein kulturelles, gemeinschaftliches Erleben ist und dass Nahrungsmittel insofern auch keine Massenware sein sollten, da ihnen ein eigener, hoher Wert zukommt.
„Das italienische Dolce Vita ist eine Lebensart, die jeder liebt, mit einer Küche, die jeden Geschmack trifft.“ Micol VianoLeiterin Produktentwicklung
Die Gründung von Eataly Srl als einem Unternehmen der Unternehmensgruppe Eataly Distribuzione fällt ins Jahr 2004, und mit ‘Lingotto’ wurde 2007 der erste Shop in Turin eröffnet. Hinzu kamen weitere acht in Italien, darunter in Bologna, Milan und in Rom, wo sich der mit 17.000 m² größte aller Shops befindet.
2008 wurde in Tokio die erste Filiale außerhalb Italiens eröffnet, und in den kommenden Monate und Jahren folgten weitere rund um den Globus: Kopenhagen (17. November 2016), Boston (29. November), New York, Chicago, Sao Paulo, Seoul, München, Istanbul, Dubai, Riad und Doha. Inzwischen gibt es weltweit 30 Filialen. Dabei ist das Unternehmen weiter auf Expansionskurs: Im kommenden Jahr sind Niederlassungen in Triest, Stockholm, Moskau und Los Angeles geplant.
„Wir sind dafür gezielt auf der Suche nach besonderen, in gewisser Weise symbolträchtigen Locations, die für die Stadt, in der sie sich befinden, eine besondere Bedeutung haben“, so Micol Viano. „Oft sind das gerade auch Orte, denen erst wir wieder zu altem Glanz verhelfen, ihnen neues Leben einhauchen müssen. Dabei legen wir, was die Einrichtung unserer Shops betrifft, dieselben Maßstäbe an wie für unsere Produkte: Auch hier zählen für uns natürliche und nachhaltige Materialien.“
Die Größe der einzelnen Shops reicht von 500 bis 17.000 m², sodass überall unterschiedliche Akzente gesetzt werden können: So liegt mancherorts der Schwerpunkt eher auf den unterschiedlichen Restaurants, in kleineren Shops gibt es dafür eventuell mehr Stände oder bestimmte Spezialitäten.
Überall gibt es jedoch eine Schauküche, sodass italienisches Essen wirklich ‘hautnah’ erlebt und gekostet werden kann. Je nach Größe variiert die jährliche Besucherzahl pro Shop zwischen 500.000 und sieben Millionen, letzteres beispielsweise in New York. Ebenso der Jahresumsatz, der je nach Shop zwischen fünf und 80 Millionen EUR beträgt und insgesamt bei 350 Millionen EUR liegt.
Italienisches Saper fare
In den Filialen außerhalb Italiens liegt der Anteil der Restaurants in den Shops bei etwa 60%, in den italienischen Niederlassungen sind es 70% Marktstände gegenüber 30% Restaurants.
„Im Ausland eignen sich Restaurants sehr gut, um italienische Produkte bekannt zu machen“, erläutert Micol Viano die unterschiedliche Gewichtung. „Dazu kommt noch etwas anderes, nämlich dass wir nicht nur Produkte anbieten, sondern gleichzeitig auch ein gewisses italienisches ‘Saper fare’, also das notwendige Know-how, mitliefern. Wir tragen damit auch unser Wissen in alle Welt, denn wir schulen unsere Mitarbeiter nicht nur, wir bilden sie auch aus.“
Inzwischen sind weltweit 4.000 Mitarbeiter für Eataly tätig. Ein integraler Bestandteil des Erfolgs von Eataly ist außerdem, dass es dem Unternehmen gelungen ist, italienische Lebensart über seine Produkte auf eine interessante und unterhaltsame Weise zu vermitteln – oder, wie Micol Viano es auf den Punkt bringt: „Das italienische Dolce Vita ist eine Lebensart, die jeder liebt, mit einer Küche, die jeden Geschmack trifft.“
Dass Eatalys Produkte in einem höheren Preissegment angesiedelt sind als Massenprodukte, ist angesichts der hohen Qualität nachvollziehbar. „Wir verstehen uns als Marktplatz für ausgezeichnete Produkte“, macht Micol Viano deutlich. „Die Preisgestaltung ist insofern auch angemessen, denn wer bewusst und nachhaltig produziert, nimmt dafür auch höhere Kosten auf sich.“
Ein- bis zweimal im Jahr präsentieren auch die Produzenten als Partner und Lieferanten von Eataly ihre Produkte in den Shops.
„Das, was uns am meisten beflügelt, ist, italienische Kultur und italienisches Essen in die Welt zu tragen und dabei andere Lebensarten kennenzulernen.“ Micol VianoLeiterin Produktentwicklung
Bestens vernetzt
Was den Wettbewerb betrifft, findet Micol Viano klare Worte: „Wir haben ein ausgedehntes Netzwerk an Partnern, sind auch in den Social Networks präsent. Unsere Konkurrenten sind so gesehen alle und niemand, denn wir machen eigentlich keinen Unterschied zwischen Partnern und Wettbewerbern. Wir arbeiten in unserem Bereich mit den unterschiedlichsten Produzenten, Caterern und Restaurantbetreibern sowie mit kulturellen Institutionen zusammen; es geht uns um das gemeinsame Event.“
Marketing betreibt das Unternehmen nicht: „Unsere Stärke liegt darin, dass wir unseren Kunden transparent und anschaulich erklären und zeigen können, was unsere Produkte sind und woher sie kommen“, sagt Micol Viano. „Wir sagen einfach die Wahrheit.“