Die Akzeptanz der EU basiert vor allem auch auf dem Wohlstandsversprechen.

Interview mit Dr. Daniel Stelter, Ökonom, Berater, Blogger und Buchautor

Wirtschaftsforum: Gibt es ein Rezept, um den wachsenden Populismus in Europa einzudämmen ‒ und was lässt sich dabei von den Niederlanden und Österreich lernen?

Daniel Stelter: Die Akzeptanz der EU basiert vor allem auch auf dem Wohlstandsversprechen. In den letzten Jahren ist immer deutlicher geworden, dass die EU dieses Versprechen nicht erfüllen kann. Ansatzpunkte dazu gäbe es trotz der genannten demografischen Herausforderungen. So hätten die Politiker die Reformen durchsetzen müssen, um Europa zu einer wirklich innovativen und wettbewerbsfähigen Region zu machen. Da Reformen schwer umzusetzen und kurzfristig unpopulär sind, haben sie sich lieber auf sozialstaatliche Umverteilung verlegt, was das Wachstum weiter schwächt. Der Euro kommt erschwerend als Spalt-Pilz dazu. Immer deutlicher wird, dass es keine gute Idee war, Länder mit so unterschiedlicher Wirtschaftsstruktur und –kultur in eine gemeinsame Währung zu pressen.

Statt der erhofften Konvergenz haben wir eine zunehmende Auseinanderentwicklung erlebt. Auch wenn nicht alle Probleme des Südens (inklusive Frankreich) auf den Euro zurückzuführen sind, so ist er doch ein willkommener Sündenbock für populistische Politiker in allen Ländern. Die Briten, die schon bei der gemeinsamen Währung wohlweislich nicht mitgemacht haben, haben mit ihrem Brexit-Votum die Notbremse gezogen. Studien zeigen, dass die britische Wirtschaft viele Ähnlichkeiten mit jenen Skandinaviens, Hollands und Deutschlands hat, jedoch keinerlei mit dem Rest Europas. Der Austritt ist auch dieser Erkenntnis und der daraus abgeleiteten Schlussfolgerung, nicht dauerhaft Transfers leisten zu wollen, geschuldet. Dass nun in Wahlen die Populisten nicht das von einigen befürchtete Ergebnis erzielt haben, darf nicht als Entwarnung gesehen werden. Im Gegenteil dürfte uns die nächste Welle des Populismus spätestens bei der nächsten Rezession – die immer nur eine Frage der Zeit ist – mit voller Wucht treffen.

„Die Akzeptanz der EU basiert vor allem auch auf dem Wohlstandsversprechen.“ Dr. Daniel StelterÖkonom, Berater, Blogger und Buchautor

Wirtschaftsforum: Wenn Sie die Kandidaten und ihre wirtschafts- sowie europapolitischen Wahlaussagen betrachten: Glauben Sie, dass sich der glühende Europäer Emmanuel Macron mit seinem Wahlprogramm gegenüber der Rechtspopulistin Marine Le Pen durchsetzen wird?

Daniel Stelter: Vermutlich ja. Wobei der Aufschwung des kommunistischen Kandidaten Melenchon in den Umfragen die Chancen von Marine Le Pen erhöht. Die Finanzmärkte dürften einen Sieg Macrons feiern und der Euro zulegen. Doch dies meines Erachtens zu unrecht. Wie soll ein Präsident Macron, ohne eine eigene Mehrheit im Parlament die Reformen durchsetzen, die andere vor ihm mit mehr Hausmacht nicht durchsetzen konnten? Fast 50% der Franzosen unterstützen laut Umfragen Kandidaten, die EU- und Eurokritisch sind. Da dürfte es unmöglich sein, die pro-europäische Politik umzusetzen. Damit liegen die Hoffnungen der Eurobefürworter auf den Bundestagswahlen im September.

Der pro-Europäer Martin Schulz soll demnach einen Politikwechsel in Deutschland bewirken, hin zu mehr Schuldensozialisierung und Umverteilung in der Eurozone. Ich denke zwar auch, dass die derzeitige Politik der Bundesregierung falsch ist, weil sie die Krise verschleppt und damit den Schaden vergrößert. Doch kann mehr finanzielle Umverteilung nur Zeit kaufen und die Probleme mit noch mehr Schulden verdecken. Am Ausgang des Dramas ändert das nichts, weil die Überschuldung zu groß ist und die Wirtschaften zu unterschiedlich. Blicken Sie nur nach Italien: nach über 100 Jahren Währungsunion zwischen Nord und Süd und gigantischen Transfers hat sich der Unterschied vertieft und verfestigt. Ohnehin verstehe ich nicht, weshalb die deutschen Haushalte, die zu den ärmsten in Europa zählen, die Hauptlast für die Folgen der verfehlten Politik der letzten Jahre tragen sollen. Italiener, Franzosen, selbst Spanier und Portugiesen verfügen über mehr Vermögen. Was nutzen uns die Exporterfolge, wenn sie nicht zu mehr Wohlstand bei uns führen? Genauso gut könnten wir unsere Autos auch verschenken.

Interview: Dr. Tanja Glootz

Mehr zum Thema

„Wir müssen einfacher  bauen!“

Interview mit Matthias Burda, Geschäftsführer der Burda Plus GmbH

„Wir müssen einfacher bauen!“

Seit über 30 Jahren versorgt der Architekt, Wirtschaftsingenieur und Immobiliensachverständige Matthias Burda mit seinem Unternehmen Burda Plus die Top-Player im professionellen deutschen Real Estate-Segment mit fachkundigen Gutachten und umfassenden Projektsteuerungsleistungen,…

Global lehren, lokal entwickeln

Interview mit Stefan Wisbauer, Geschäftsführer der Lecturio GmbH

Global lehren, lokal entwickeln

Mit dem gravierenden Fachkräftemangel einerseits und der Notwendigkeit, praktische Fähigkeiten effizient zu vermitteln andererseits steht die Ausbildung im Medizinbereich vor enormen Herausforderungen. Die Lecturio GmbH mit Sitz in Leipzig hat…

„Wir gestalten Gärten mit Charakter“

Interview mit Michael Grimm, Geschäftsführer der GRIMM garten gestalten GmbH

„Wir gestalten Gärten mit Charakter“

In Zeiten, in denen der Rückzug ins Private und die Sehnsucht nach Naturerlebnis im eigenen Zuhause an Bedeutung gewinnen, entwickelt sich der Garten zunehmend zur Bühne für individuelle Lebensentwürfe. Die…

Spannendes aus der Region

„Wir müssen einfacher  bauen!“

Interview mit Matthias Burda, Geschäftsführer der Burda Plus GmbH

„Wir müssen einfacher bauen!“

Seit über 30 Jahren versorgt der Architekt, Wirtschaftsingenieur und Immobiliensachverständige Matthias Burda mit seinem Unternehmen Burda Plus die Top-Player im professionellen deutschen Real Estate-Segment mit fachkundigen Gutachten und umfassenden Projektsteuerungsleistungen,…

Wenn jeder Hundertstel­millimeter zählt

Interview mit Luc De Sutter, Geschäftsführer der Soenen Technology nv.

Wenn jeder Hundertstel­millimeter zählt

In jeder Küche verbergen sich kleine Wunder der Präzisionstechnik: perforierte Bleche in Mikrowellen, Siebe in Spülmaschinen oder Filter in Dunstabzugshauben. Was auf den ersten Blick selbstverständlich erscheint, erfordert eine Genauigkeit…

„Wir gestalten Gärten mit Charakter“

Interview mit Michael Grimm, Geschäftsführer der GRIMM garten gestalten GmbH

„Wir gestalten Gärten mit Charakter“

In Zeiten, in denen der Rückzug ins Private und die Sehnsucht nach Naturerlebnis im eigenen Zuhause an Bedeutung gewinnen, entwickelt sich der Garten zunehmend zur Bühne für individuelle Lebensentwürfe. Die…

Das könnte Sie auch interessieren

Wenn drei Generationen ein Ziel haben

Interview mit Moritz Baumgart, Geschäftsführung, und Annika Baumgart, Marketing der geba Handels- & Entwicklungsgesellschaft mbH

Wenn drei Generationen ein Ziel haben

In den ʻMärchen aus 1001 Nacht’ reichte ein ‚Sesam öffne dich‘, um Zugang zu einer verschlossenen Höhle zu bekommen. Heute öffnen sich Türen und Tore per Code, Fingerabdruck, Smartphone-App, Mini…

Von Westfalen in die Welt

Interview mit Ulrich Hagemann, Leiter Business Unit IMS der KELLER HCW GmbH

Von Westfalen in die Welt

‘Wir folgen konsequent den Marktbedürfnissen’ – getreu dieser Maxime ist die KELLER HCW GmbH aus dem westfälischen Ibbenbüren zu einem international gefragten Maschinen- und Anlagenbauer geworden, der ursprünglich auf die…

Die Gebäudetechnik der Zukunft

Interview mit Michael Übel, Geschäftsführer der KLE Gruppe

Die Gebäudetechnik der Zukunft

Seit ihrer Gründung im Jahr 1979 hat sich die Kretz + Wahl Gebäudetechnik GmbH & Co. KG von einem traditionellen Handwerksbetrieb zu einem innovativen Marktführer in der Gebäudetechnik…

TOP