„Deutschland könnte vom isolationistischen Kurs Trumps profitieren“
Großes Auftaktinterview 2017 mit BVMW-Präsident Mario Ohoven

Wirtschaftsforum: Herr Ohoven, erst kürzlich haben Sie die Ergebnisse der BVMW-Unternehmerumfrage 2016/17 vorgestellt. Können Sie kurz erläutern, was den Mittelständler hierzulande in seinem Tagesgeschäft interessiert und welche Steine ihm in den Weg gelegt werden?
Mario Ohoven: Für 80% der Mittelständler ist der Bürokratieabbau die wichtigste Forderung. In der Priorität folgen die Senkung von Steuern und Abgaben mit 57% und die Verbesserung der Infrastruktur mit 48%. Das zeigt, den Mittelstand beschäftigen vor allem konkrete Anliegen aus dem Geschäftsalltag und die Standortbedingungen vor Ort. Leider müssen wir feststellen, dass die staatliche Regulierung zu- statt abnimmt. Immer neue bürokratische Vorschriften und Regeln verursachen gerade für Kleinst- und Kleinunternehmen einen enormen Erfüllungsaufwand.
Wirtschaftsforum: Wie lauten die wichtigsten mittelstandspolitischen Forderungen, was sollte die Bundesregierung Ihrer Meinung nach jetzt tun und wie wollen Sie Ihren Mitgliedern mehr Gehör verschaffen?
Mario Ohoven: Entscheidend sind jetzt mutige Impulse zum Abbau von Bürokratie und Regulierung. Konkret sollte zum Beispiel die One-in-One-out-Klausel auch auf die Umsetzung von EU-Recht angewendet werden. Zur Entlastung von Betrieben und Bürgern fordern wir die Abschaffung des Soli und den Abbau der Kalten Progression. Deutschland braucht außerdem ein Wagniskapitalgesetz und endlich eine steuerliche Forschungsförderung, wie in 28 von 34 OECD-Ländern. Die Erbschaftsteuer gehört komplett abgeschafft. Um das durchzusetzen, werden wir den Druck auf die Bundesregierung erhöhen. Unsere Botschaft an die Politik ist klar: Mittelständler und ihre Mitarbeiter sind immer auch Wähler.
Wirtschaftsforum: Mischt sich der Staat immer stärker in die Belange der Wirtschaft ein? Bitte nennen Sie einige aktuelle Beispiele!
Mario Ohoven: Bei der Regulierung tun sich vor allem Arbeitsministerin Nahles und Familienministerin Schwesig negativ hervor. Frau Nahles will Zeitarbeit und Werkverträge weiter reglementieren. Ein Beispiel ist der Rechtsanspruch auf Teilzeit. Das belastet gerade kleinere Unternehmen mit dünner Personaldecke. So kann die Besetzung einer freigewordenen reduzierten Stelle ein großes Problem sein, wenn die neue Mitarbeiterin oder der neue Mitarbeiter mehr als nur Teilzeit arbeiten möchte. Auch die Reform des Mutterschutzes mit der anlassunabhängigen Gefährdungsbeurteilung – was für ein Wort! – schafft zusätzlichen bürokratischen Ballast.

„Bei der Regulierung tun sich vor allem Arbeitsministerin Nahles und Familienministerin Schwesig negativ hervor“ Mario Ohoven
Wirtschaftsforum: Kommen wir zu den globalen Risiken: Inwiefern wird beispielsweise das Exportgeschäft belastet? Wie viel bürokratischer Aufwand und Kosten sind mit Wirtschaftsembargos verbunden?
Mario Ohoven: Für eine exportorientierte Wirtschaft wie die deutsche ist Protektionismus natürlich eine Herausforderung. Allerdings sind in der Regel die Kosten für das Land, das neue Zollbarrieren und Handelsschranken einführt, höher als beispielsweise für Deutschland. Und auch Herr Trump weiß, dass im Zeitalter der Globalisierung eine Politik der Abschottung zum Scheitern verurteilt ist. Deutschland könnte von einem isolationistischen Kurs der USA sogar profitieren. Da wir über 60% unseres Außenhandels mit anderen EU-Mitgliedsländern abwickeln, haben unsere Exporteure durchaus Alternativen.

„Auch Herr Trump weiß, dass im Zeitalter der Globalisierung eine Politik der Abschottung zum Scheitern verurteilt ist“ Mario Ohoven
Wirtschaftsforum: Ein aktuelles Aufreger-Thema sind die Pläne des neuen EU-Haushaltskommissars Günther Öttinger, jetzt sogar Steuern von der EU direkt zu erheben, die möglicherweise auch Unternehmen belasten. Für den Mittelstand wäre das fatal, oder? Nun stellt sich die Frage, wie sich das verhindern lässt. Haben Sie eine Idee?
Mario Ohoven: Die Idee eigener EU-Steuern ist nicht neu. Ich sehe dafür aber keine Mehrheit unter den Mitgliedstaaten, die ein solches Vorgehen absegnen müssten. Brüssel sollte seine Anstrengungen darauf konzentrieren, die Schuldenländer endlich zu Haushaltsdisziplin zu bewegen. Dafür wird sich unser Verband, werde ich mich persönlich in Brüssel stark machen. Nur zur Erinnerung: Griechenlands Verschuldung liegt bei 182% des BIP, bei Italien sind es 133%, bei Portugal 130%.
Wirtschaftsforum: Ist die zunehmende Verärgerung im Mittelstand, wie man sie unter anderem auf dem FDP-Neujahrsempfang feststellen konnte, ein Signal dafür, dass der Mittelstand womöglich in Richtung extremer Parteien abdriftet? Wenn ja, in welchem Umfang?
Mario Ohoven: Der unternehmerische Mittelstand ist eine der wichtigsten integrativen Kräfte unserer Gesellschaft. Durch die Verwurzelung in der Region und die langfristige Orientierung der Geschäftsmodelle bieten unsere Mittelständler auch in Krisenzeiten Stabilität und Verlässlichkeit. Ich bin überzeugt, der Mittelstand wird sich nicht extremen politischen Positionen zuwenden. Das bestätigen auch die Ergebnisse unserer Unternehmerumfrage. Nur jeweils rund 5% wollen eine Regierungsbeteiligung der Linken oder der AfD nach der Bundestagswahl.
Wirtschaftsforum: In vielen Fragen scheint es aktuell keine wirksame Opposition im Bundestag mehr zu geben. Inwiefern könnten Verbände wie der BVMW diese demokratische Rolle besetzen?
Mario Ohoven: Im Bundestag vermissen nicht nur viele Unternehmer ein ordnungspolitisches Korrektiv. Das spiegelt auch unsere Umfrage wider: Über 60% der Mittelständler wünschen sich eine Einbindung der FDP in eine künftige Bundesregierung. Davon abgesehen, versteht sich der BVMW als eine Art außerparlamentarische Opposition. Das heißt, wir müssen für den Mittelstand gegenüber der Politik klar Position beziehen. Und das tun wir auch sehr erfolgreich: beispielsweise im TTIP-Beirat oder beim IT-Gipfel der Bundesregierung, bei Anhörungen zu neuen Gesetzen, in der Tagespolitik, und eben auch über die Medien.

„Über 60% der Mittelständler wünschen sich eine Einbindung der FDP in eine künftige Bundesregierung“ Mario Ohoven
Lesen Sie auch unser Davos-Interview mit Mario Ohoven zum Weltwirtschaftsgipfel.
Interview: Dr. Tanja Glootz