„Wir stehen vor den ersten Studien am Menschen“

Interview mit Dr. Oliver Bärtl, Geschäftsführer der CorTec GmbH

Wirtschaftsforum: Herr Dr. Bärtl, dieses Frühjahr erhielt Ihre Technologie in den USA das FDA-Approval im Rahmen einer Investigational Device Exemption – was wird Ihnen dieser Meilenstein ermöglichen?

Dr. Oliver Bärtl: Der Kern unseres technologischen Ansatzes besteht darin, die Stromsignale des Gehirns messbar zu machen, indem wir ein Implantat auf die Gehirnoberfläche aufbringen, das mithilfe einer Elektrode drahtlos Signale aus dem Gehirn heraus übermitteln kann. Diese Daten werden anschließend von Algorithmen verarbeitet, woraufhin Neurostimulationssignale in einem Closed-Loop-System über unser Device zurück ins Gehirn gesendet werden – eine Technologie, die für therapeutische Interventionen bei einer Vielzahl von Krankheiten interessant ist, von Depressionen bis hin zu Epilepsie.

Nachdem wir in verschiedenen Tierstudien nun die Sicherheit unseres Medizinprodukts zur Zufriedenheit der strengen amerikanischen Aufsichtsbehörden nachweisen konnten, stehen wir derzeit unmittelbar vor der ersten Studie am Menschen, in deren Rahmen der Nutzen unserer Technologie bei Rehabilitationsmaßnahmen von Schlaganfallpatienten erforscht werden soll.

Wirtschaftsforum: Wodurch unterscheidet sich Ihr technologischer Ansatz dabei von den Entwicklungen anderer Marktteilnehmer – etwa Neuralink von Elon Musk?

Dr. Oliver Bärtl: Unser System ist das einzige, das nicht nur Signale übertragen, sondern auch wirklich zielgerichtet das Gehirn stimulieren kann. Bei der klassischen Deep-Brain-Stimulation wird ja nur weitgehend blind stimuliert und wenig Feedback generiert; die bekannten Brain-Computer-Interfaces weisen ähnliche Einschränkungen auf. Dank unseres Closed-Loop-Ansatzes und der per se agnostischen Technologie ist CorTec für medizinische Studien geradezu prädestiniert.

Wirtschaftsforum: Ist damit der Herzschrittmachermoment in der Neurostimulation gekommen?

Dr. Oliver Bärtl: Ich will mich da nicht zu weit aus dem Fenster lehnen; trotzdem erkennt man an diesem Vergleich sehr schön, dass wir prinzipiell mit denselben Problemstellungen konfrontiert sind. Der erste Herzschrittmacher war ja noch ziemlich ‘dumm’ und hat seinem Träger einfach stur 100 Impulse pro Minute verpasst, ganz egal, ob der gerade geschlafen hat oder auf einer Wandertour unterwegs war. Später hat man dann festgestellt, dass bei der patientenindividuellen Intervention viele äußere Faktoren zu bedenken sind, bis daraus schließlich eine hochpräzise Technologie entstand, die schon lange zum absoluten Standardrepertoire der therapeutischen Interventionen zählt. Genau vor dieser Reise stehen wir heute auch in der Neuromodulation und beginnen nun, die vielfältigen Auswirkungen der Umwelt sukzessive bei den entsprechenden Therapien zu berücksichtigen, sodass am Ende ein in sich geschlossenes, selbststeuerndes System steht.

Wirtschaftsforum: Das eine ist die Technologie – das andere die Offenheit der Gesellschaft für die sich daraus ergebenden Möglichkeiten. Sind wir bereit dafür?

Dr. Oliver Bärtl: Ich glaube, die aktuelle Perspektive ist da bisweilen zweigeteilt. Wer an einer lebensbedrohlichen oder massiv einschränkenden Krankheit leidet, ist bestimmt bereit, diese Technologie in Anspruch zu nehmen. Gleichzeitig scheint in Europa oder zumindest in Deutschland die Vorstellung vorzuherrschen, dass es sich dabei um das Mittel der letzten Wahl handeln sollte.

Natürlich gibt es da auch noch ganz viele Fragen, die geklärt werden müssen – etwa auf technologischer Ebene, wie man Datensicherheit der Patienten verbessern kann. Auf der anderen Seite gibt es dann voraussichtlich weitere Anwendungen, die auf eine Erweiterung der menschlichen Fähigkeiten abzielen. Inwieweit das auf breite Akzeptanz stoßen wird, bleibt abzuwarten.

Wirtschaftsforum: Wie blicken Sie vor diesem Hintergrund auf die Perspektiven von CorTec?

Dr. Oliver Bärtl: Wir leben in einer zunehmend älter werdenden Gesellschaft, in der Lösungen für medizinische Probleme wie Demenz und Alzheimer immer dringender werden. Den Menschen helfen zu können, perspektivisch ein längeres und gesünderes Leben zu führen, ist eine ungeheure Motivation, die unser gesamtes Team antreibt.

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