Chinas Wirtschaft und Politik denkt in Dekaden – wir in Legislaturperioden

Interview mit Wolfgang Hirn, Reporter, Autor und China-Experte

Wirtschaftsforum: Herr Hirn, in der Einleitung betonen Sie, dass es sich bei „Chinas Bosse“ um kein „Angstmacher-Buch“, sondern um einen Weckruf handelt. Trotzdem gab es für mich einige unbehagliche Momente bei der Lektüre. Ist dieses Unbehagen Kalkül?

Wolfgang Hirn: Nein, das ist sicher kein Kalkül. Natürlich ist es so, dass viele Menschen die darin vorgestellten Unternehmen und Namen nicht kennen und plötzlich merken: ʻMein Gott, die sind schon so weit!ʼ Das macht schon ein Stück weit Angst, aber wir müssen über diese Unternehmen Bescheid wissen. Denn sie werden definitiv zu uns kommen, entweder als Konzerne oder mit ihren Produkten. Für mich ist es in erster Linie ein aufklärendes Buch, ein Weckruf. Wir kennen immer nur die amerikanischen Konzerne, aber in den seltensten Fällen die chinesischen und ihre Strategien. Es ist nun einmal Realität, dass chinesische Unternehmen uns zum Beispiel im gesamten Internetbereich weit voraus sind. Dort bezahlt jeder, das schließt auch die ältere Generation ein, mit dem Handy. Da bin ich mit meinem Bargeld komplett antiquiert. Nur weiß das bei uns eben kaum jemand.

„Es ist nun einmal Realität, dass chinesische Unternehmen uns zum Beispiel im gesamten Internetbereich weit voraus sind.“ Wolfgang Hirn

Wirtschaftsforum: Sie sprechen zudem Ignoranz und Arroganz gegenüber asiatischen Ländern wie China an. Warum hält sich beides so hartnäckig, trotz der offensichtlichen Entwicklung hin zur Wirtschaftsmacht?

Wolfgang Hirn: Lange Zeit hat China nur billige Produkte auf unsere Märkte geworfen. Dadurch hat sich ein Image entwickelt, das sich bei uns nach wie vor in vielen Köpfen findet. China wird weiterhin mit billig assoziiert, aber das ist eine völlig überholte Vorstellung. China kann heutzutage Tech- und Hightechprodukte liefern. Denken Sie an Huawei im Mobilfunkbereich. Dieser Wandel hin zum, ich sage mal etwas überspitzt, ʻLabor der Weltʼ ist hierzulande noch nicht wirklich angekommen. Wir hatten in den letzten Monaten eine Phase des Erwachens, als es um den Einstieg von Geely bei Daimler sowie von HNA bei der Deutschen Bank ging. Ich glaube, diese Beteiligungen haben vielen die Augen geöffnet, sodass sich seitdem ein gewisser Wandel in der Einschätzung von chinesischen Unternehmen vollzogen hat.

Wirtschaftsforum: Sie haben viele Unternehmer vor Ort in China getroffen. Ein Fazit: DEN chinesischen Manager gibt es nicht. Haben Sie dennoch Gemeinsamkeiten in deren Denkweise ausgemacht?

Wolfgang Hirn: Ich glaube schon, dass es zwei Gemeinsamkeiten gibt, die ich als sehr wichtig erachte und in denen sich chinesische Manager auch deutlich von westlichen unterscheiden. Zum einen finde ich, dass chinesische Manager viel mittel- beziehungsweise langfristiger denken. Bei Managern im Westen geht es um Shareholder-Value und die nächsten Quartalszahlen. Das machen chinesische Manager, selbst wenn deren Unternehmen an der Börse in Hong Kong notiert sind, nicht. Das beste Beispiel ist hier Jack Ma von Ali Baba, der bei der Firmengründung 1999 sagte, sein Unternehmen müsse mindestens 102 Jahre alt werden, um in drei Jahrhunderten aktiv gewesen zu sein. So würde ein deutscher Unternehmer nicht denken.

Der zweite Punkt betrifft die Schnelligkeit und Risikobereitschaft. Deutsche Unternehmen sind stark vom Ingenieurgedanken geprägt. Produkte kommen nur auf den Markt, wenn sie zu 100% perfekt sind. Das macht der Chinese nicht, er bringt das Produkt wesentlich eher auf den Markt und ist so deutlich schneller. Wenn er dann noch Änderungen daran vornehmen muss, geschieht dies mit einer unheimlichen Geschwindigkeit und er passt sich den Anforderungen an. Die Adaption findet am Markt statt. So können chinesische Unternehmen ein deutlich höheres Tempo fahren als die Konkurrenz.

„Politik und Wirtschaft denken einfach in anderen Zeiträumen als bei uns. Da gibt es Pläne und Visionen, die bis 2049 ausgelegt sind.“ Wolfgang Hirn

Politik und Wirtschaft denken einfach in anderen Zeiträumen als bei uns. Da gibt es Pläne und Visionen, die bis 2049 ausgelegt sind, also dem Jahr des 100-jährigen Bestehens der Volksrepublik. Bei uns hingehen bestimmt die Legislaturperiode den Fahrplan.

Wirtschaftsforum: Im letzten Kapitel thematisieren Sie den künftigen Umgang mit China und seinen Unternehmen – Begrüßen oder Abweisen. Inwiefern haben die EU und Deutschland dabei schlechtere Karten als beispielsweise die USA?

Wolfgang Hirn: Die USA sind natürlich als ein Land ein geschlossener Wirtschaftsraum. Die EU hat 28 Mitglieder und so divergierende Interessen, was die Handelspolitik betrifft, dass es schwierig ist, eine einheitliche Position gegenüber China einzunehmen. China versteht es zudem, einen gewissen Keil zwischen die Mitgliedsländer zu treiben und die osteuropäischen Länder etwas stärker an sich zu binden. Da macht China eine strategisch geschickte Politik. Grundlegend können wir eigentlich auch nichts gegen Investitionen durch chinesische Unternehmen haben. Nur, und das ist die große Forderung: Das Gleiche muss auch für unsere Unternehmen in China möglich sein. Das Stichwort heißt Reziprozität. Solange China uns diese nicht einräumt, müssen wir schon ein wenig vorsichtig sein.

„Das Stichwort heißt Reziprozität. Solange China uns diese nicht einräumt, müssen wir schon ein wenig vorsichtig sein.“ Wolfgang Hirn

Wirtschaftsforum: Gibt es einen Unternehmer oder eine Unternehmerin aus China, der oder die Sie besonders beeindruckt hat? Wenn ja, was waren die Gründe hierfür?

Wolfgang Hirn: Für mich sind die beiden großen Internetunternehmer Jack Ma und Pony Ma von Tencent schon die beeindruckendsten Persönlichkeiten. Sie haben in kürzester Zeit, wir reden von nicht einmal 20 Jahren, Konzerne geschaffen, die eine Marktkapitalisierung von etwa 500 Milliarden USD haben, und das sind die beiden großen Giganten. Sie werden auch an die internationalen Märkte gehen und den amerikanischen Konkurrenten Paroli bieten. Für mich ist das eine fantastische Leistung. Dazu ist gerade Jack Ma eine sehr charismatische Figur. Beide sind für mich aber definitiv die Vorzeigeunternehmer Chinas.

Interview: Markus Büssecker, Fotos: ManagerMagazin; Campus Verlag

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