Big Data? Der Zug ist für Deutschland abgefahren
Interview mit Andreas Weigend, Social Data Experte und Autor

Wirtschaftsforum: Herr Weigend, Big Data ist ein enormer wirtschaftlicher Faktor. Dennoch besteht der Eindruck, dass Europa in der Nutzung derselben extrem zögerlich ist.
Andreas Weigend: Das stimmt. Nehmen Sie Deutschland als Beispiel. Wenn es um Big Data geht, stellt sich immer folgende Frage: Was kann im schlimmsten Fall mit den verwendeten Daten passieren und wie lässt sich Missbrauch verhindern? Wenn ich mich in den Flieger setze und über den Teich in die USA fliege, dann stellt sich dort zum selben Thema eine andere Frage: Was passiert, wenn alles blendend bei der Nutzung von Big Data läuft? Was lässt sich im besten Fall dadurch erreichen? Europa schaut auf die Risiken und Amerika legt den Fokus auf Möglichkeiten. Das ist eine fundamental andere Sichtweise, die natürlich auch bis zu einem gewissen Punkt historisch gewachsen ist.

„Europa schaut auf die Risiken und Amerika legt den Fokus auf Möglichkeiten.“ Andreas WeigendSocial Data Experte und Autor
Wirtschaftsforum: Trotzdem schauen viele Unternehmen hierzulande fast schon neidisch auf Konzerne wie Amazon oder Ali Baba, die ja enorme Vorteile aus der Auswertung von Daten ziehen. Wird unsere Wirtschaft da gerade digital abgehängt oder kann sie die Kluft noch aufholen?
Andreas Weigend: Nein, das lässt sich meines Erachtens nicht aufholen und das finde ich wirklich schade. Wir Deutsche ziehen das „right to be forgotten“, das Recht, dass personenbezogene, digitale Daten nicht dauerhaft verfügbar sind, gegenüber dem „right to be remenbered“ vor. Der Zug ist abgefahren und das sieht man auch daran, welche Apps häufig verwendet werden: Tripadvisor bei Reisen, Whatsapp als Messengerdienst – beides US-amerikanische Firmen, die mit Daten groß geworden sind. Denken Sie weiter an Amazon und Apple. Der Markt und letztlich die Kunden haben sich da für Amerika entschieden.
Wirtschaftsforum: Sie sprechen von Daten als der wichtigsten Ressource unserer Zeit. Warum ist das so?
Andreas Weigend: Lassen Sie uns den Unterschied zwischen Ressourcen anhand von Daten und Erdöl deutlich machen. Erdöl ist eine begrenzte Ressource, während Daten immer mehr produziert werden. Dann haben wir bei der Produktion von Erdöl auf dem Markt eine Win-Lose-Situation. Steigt der Preis beim Erdöl, verdienen die Produzenten mehr. Die anderen Markteilnehmer haben entsprechend Nachteile davon. Das ist bei Daten nicht so und genau das ist die Grundlage für den Erfolg von Google, Facebook und anderen. Der strukturelle Unterschied besteht darin, dass durch Daten Win-Win-Situationen für alle geschaffen werden. Deswegen ist Amazon-Gründer Jeff Bezos der reichste Mann der Welt, weil es ihm immer wieder gelingt Win-Win-Verhältnisse auf Amazon zu produzieren. Deswegen sind Daten nicht nur ein wichtiger Rohstoff, sondern auch ein anderer Rohstoff.

„Wenn Sie sich heute die wirklich großen Firmen anschauen, das sind alles Datenraffinerien.“ Andreas WeigendSocial Data Experte und Autor
Wirtschaftsforum: Dieser Rohstoff spielt auch eine zentrale Rolle in Ihrem Buch „Data for the people“. Was sind Ihre Kernaussagen darin?
Andreas Weigend: Der Untertitel im Englischen lautet dazu „How to Make Our Post-Privacy Economy Work for You“, also wirklich die Ökonomie, in der es keine Privatsphäre mehr gibt. Trotzdem ist eine informationelle Selbstbestimmung wichtig. Dazu habe ich sechs Datenrechte formuliert, die in angepasster Form auch für Unternehmen Gültigkeit haben. Eines davon ist zum Beispiel „to embrace transparency“ – ein Plädoyer für den transparenten Umgang mit Daten. Früher haben Firmen häufig damit Geld gemacht, die Barrieren was Datenzugriff angeht zu erhöhen und sich damit den alleinigen Zugang zu sichern. Diese exklusiven Datensätze sind dann zu entsprechenden Preisen verkauft worden. Das ist aber mittlerweile nicht mehr lukrativ. Wenn Sie sich heute die wirklich großen Firmen anschauen, das sind alles Datenraffinerien.
Wirtschaftsforum: Wenn der Verkauf von Daten also wirtschaftlich irrelevant ist, wie erzielen Datenraffinierien überhaupt Gewinne?
Andreas Weigend: Das Hauptgeschäft der Datenraffinerien ist es, den Datenzugang zu ermöglichen und zu vereinfachen oder auch eigene Datenprodukte herzustellen. Dabei besteht der Wert von Daten meiner Meinung nach darin, inwiefern sie als Entscheidungshilfe für Kunden, gleich ob B2B oder B2C, genutzt werden können. Wenn ich einen Flug buchen möchte, dann schaue ich die Angebote von diversen Vermittlern an. Das passende Angebot buche und bezahle ich. Für diese Entscheidungshilfe sind Unternehmen bereit, in irgendeiner Währung zu zahlen. Sei es in Form eines Datenaustauschs oder monetär.
Wirtschaftsforum: Sie schlagen für Babys einen Facebook-Account bereits vor der Geburt vor. Was steckt dahinter?
Andreas Weigend: Realistisch gesehen ist das Baby mit Sicherheit schon vor der Geburt online, denn Familien und Freunde machen sicherlich von Ihrer schwangeren Frau Fotos und teilen diese online. Wenn ich für das Baby schön früh ein Nutzerkonto einrichte, kann ich diesen Datenfluss selbst steuern und ermögliche dem Kind im Voraus später selbst aktiv zu sein. Das ist doch wesentlich besser, als nur ein reines Objekt in Form von geposteten Bildern zu sein.
Interview: Markus Büssecker
Foto: Social Data Lab