Wir erleben derzeit eine Wiedergeburt des Geschichtenerzählens im digitalen Zeitalter
Interview mit Nils Rauterberg, Geschäftsführer der Audible GmbH

Wirtschaftsforum: Inwiefern haben stationärer Handel und E-Commerce nur gemeinsam eine Zukunft?
Nils Rauterberg: Beide Bereiche haben ihre spezifischen Stärken und bedienen bestimmte Kundenbedürfnisse besonders gut. CDs werden z.B. sehr gerne verschenkt, wohingegen der Download eher weniger oft als Geschenk genutzt wird. Auch Kinder kommen gerade wenn sie noch sehr jung sind, am besten mit Hörspiel-CDs klar. Menschen, die hingegen sehr viel unterwegs sind, hören meistens über ihr Smartphone – ob im Auto, in öffentlichen Verkehrsmitteln, beim Sport, aber selbst zu Hause über Lautsprechersysteme. Der Hörer oder die Hörerin hat die Wahl, welche Nutzung am besten zu ihm/ihr passt. Das heißt aber nicht automatisch, dass man nur das eine oder das andere gut findet. In vielen Fällen beeinflussen sie sich sogar gegenseitig bzw. es gibt vielfältige Wechselwirkungen.

„Unsere Hörer entscheiden sich bewusst für lange Hörbücher oder Hörbuch-Serien und damit für das Abtauchen in eine andere Welt, die neben ihrem Alltag abläuft.“ Nils RauterbergGeschäftsführer
Wirtschaftsforum: Herr Rauterberg, Studien belegen, dass die Fähigkeit der Menschen, sich länger als einige Minuten auf etwas zu konzentrieren, durch den digitalen Wandel zunehmend zurückgegangen ist. Die „Generation Goldfisch“ scheint denkbar schlecht für Hörbücher beziehungsweise Hörspiele geeignet zu sein oder sehen Sie das anders?
Nils Rauterberg: Einerseits sehen wir zwar den Trend zu immer mehr Schnelllebigkeit im Alltag und damit auch eine abnehmende Aufmerksamkeitsspanne – andererseits aber auch ein großes Bedürfnis nach Substanz und Bedeutsamkeit. Außerdem gibt es eine größere Bereitschaft, sich auf lange Handlungsbögen, komplexe Figuren, Welten und Geschichten einzulassen. Ich denke da an bekannte TV-Serien wie z.B. „Game of Thrones“, die in nächtelangem Binge Watching aufgesogen werden. Unsere Hörer sind da ähnlich – zu unserem Wachstum hat auch beigetragen, dass wir schon früh vor allem ungekürzte Hörbücher angeboten haben. Unsere Hörer entscheiden sich bewusst für lange Hörbücher oder Hörbuch-Serien und damit für das Abtauchen in eine andere Welt, die neben ihrem Alltag abläuft. Für all jene, die gerne kurze, knackige Audio-Happen in ihren Alltag integrieren möchten, z.B. eine halbe Stunde beim Bügeln oder dem Weg zur Arbeit, haben wir im November ein werbefreies Programm mit mittlerweile mehr als 30 Original Podcasts gestartet. Dafür konnten wir bekannte Medienmarken, preisgekrönte Journalisten und beliebte Moderatoren gewinnen.
Wirtschaftsforum: Spannende Geschichten, gerade Erzählungen, haben seit jeher die Zuhörer in ihren Bann gezogen. Was muss eine Story haben, um erfolgreich zu sein?
Nils Rauterberg: Auf eine solche Frage kann es ja nicht nur eine Antwort geben. Die Würze liegt in der Vielfalt, in der jeder etwas finden kann, was ihn/sie unterhält, inspiriert und bereichert. Als Medienunternehmen umfasst unser Programm z.B. nicht nur die Bestseller von bekannten Autoren und Autorinnen wie z.B. Dan Brown oder Jojo Moyes, die jeder kennt, sondern auch sehr umfangreiche Fantasy- oder Science-Fiction Hörbuch-Serien, die einen wochenlang auf den Ohren begleiten. Seit 2016 haben wir aber auch die Erwachsenen-Hörspiele für uns entdeckt: Wir entwickelt gemeinsam mit Autoren ein Hörspielskript – wir nennen es Audible Original – und lassen dieses mit bis zu 200 Sprechern, Geräuschen und eigens komponiertem Soundtrack sehr aufwendig vertonen. Wir legen sehr viel Wert darauf, mit erstklassigen Sprechern, Schauspielern, Autoren und Prominenten zusammenzuarbeiten – denn natürlich sind es die herausragenden Stimmen, die dem gesprochenen Wort seine besondere Kraft verleihen. Das Tolle an Hörbüchern auf dem Smartphone ist, dass man die besten Geschichten nun immer dabei hat und sich so mehr Möglichkeiten bieten, sich von ihnen im Alltag begleiten zu lassen. Deswegen erleben wir derzeit eine Wiedergeburt des Geschichtenerzählens im digitalen Zeitalter.
Wirtschaftsforum: Kommen wir auf unternehmerische Aspekte zu sprechen. Seit 2008 gehört Audible als Tochter zu Amazon. Wie macht sich die mächtige Mutter bei Ihnen als Geschäftsführer im Alltag bemerkbar?
Nils Rauterberg: Audible gehört zur großen Amazon-Familie und wir nutzen natürlich viele Synergieeffekte, vor allem im technologischen Bereich. Als Unternehmen haben wir uns aber eine enorm große Eigenständigkeit und unternehmerische Freiheit bewahrt. Es besteht großes Bewusstsein für kulturelle Unterschiede und die Notwendigkeit, unsere Strategien und Aktivitäten auf die Eigenheiten des Produkts und die lokalen Gegebenheiten zuzuschneiden. Wir experimentieren sehr bewusst mit unterschiedlichen Ansätzen in den verschiedenen lokalen Marktsegmenten.
Wirtschaftsforum: Audible ist ein Digitalunternehmen der ersten Stunde. Können Sie die Schwierigkeiten, die andere Branchen mit dem digitalen Wandel haben, nachvollziehen?
Nils Rauterberg: Auch für uns ist der Umgang mit dem ständigen Wandel eine große Herausforderung. Als wir 2004 in Deutschland gestartet sind, gab es noch keine Smartphones und man musste schon ein gewisses technisches Verständnis besitzen, um unsere Hörbücher ans Laufen zu bekommen. Der iPod und auch alle anderen MP3-Player haben uns stark geholfen, Hörbücher für ein breiteres Publikum zugänglich zu machen. Aber erst die regelmäßige Nutzung von Smartphones und die extrem komfortable Möglichkeit, Hörbücher über die Audible-App abzuspielen, haben zu einer flächendeckenden Verbreitung des Mediums geführt: Von den mehr als 16 Millionen Hörbuchfans in Deutschland nutzen mittlerweile ebenso viele ihr Smartphone oder Tablet wie es CD-Hörer gibt. Wir haben auf diesem Weg sehr viel gelernt und uns immer auf die digitale Verbreitung konzentriert. Diesen Bereich haben wir versucht, stetig zu verbessern um unseren Hörern ein Hörerlebnis zu bieten, dass sie genießen und immer wieder erleben möchten.
„Der iPod und auch alle anderen MP3-Player haben uns stark geholfen, Hörbücher für ein breiteres Publikum zugänglich zu machen.“ Nils RauterbergGeschäftsführer

Wirtschaftsforum: Abschließend eine persönliche Frage: Lesen Sie selbst noch Bücher oder hören Sie nur noch zu?
Nils Rauterberg: Na klar: beides. Aber ich schaffe durch das Hören natürlich sehr viel mehr Bücher als durch das Lesen allein. Außerdem entdecke ich durch andere Formate wie Hörspiele und Podcasts auch neue Inhalte, zu denen ich ansonsten vielleicht keinen Zugang gefunden hätte. Gerade habe ich zum Beispiel unseren investigativen Original Podcast „Im Untergrund“ gehört, in dem sich eine Journalistin auf die Suche nach den drei letzten RAF-Terroristen begeben hat – absolut spannend und großartig!