"Solche Leute fühlen sich mit der Gesellschaft nicht mehr verbunden"
Forscherin zum Fall Hoeneß

Die Frage, ob Uli Hoeneß ein Steuerbetrüger ist, stellt sich nicht mehr. Bleibt aber noch die Frage nach dem ‚Warum‘. Eine Erklärung dafür hat die Forscherin Brigitte Unger. Die Wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung und Professorin an der Universität Utrecht forscht zu Steuerkriminalität und berät unter anderem die Europäische Union bei Maßnahmen gegen Geldwäsche.
Unger sieht einen Zusammenhang zwischen wachsender Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen sowie fehlender Steuermoral: "Wie wir wissen, ist die Verteilung der Einkommen auch in Deutschland in den vergangenen 20 Jahren spürbar ungleicher geworden. Dabei ist der Anteil der Gewinn- und Vermögenseinkommen gewachsen. Und diese Einkommensarten sind für den Staat intransparenter als Arbeitseinkommen, von denen bereits der Arbeitgeber Abgaben abführt", erklärt Unger.
„Wer richtig reich ist, braucht die öffentliche Infrastruktur nicht mehr so dringend“
Bei den Vermögen sei die Verteilung sogar "stark polarisiert". Damit gewinne ein psychologischer Faktor an Gewicht, den die Forscherin bislang vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern beobachtet hat: "Wer richtig reich ist, braucht die öffentliche Infrastruktur nicht mehr so dringend. Wenn meine Kinder eine Privatschule besuchen und ich auf einen Sicherheitsdienst statt auf die Polizei vertraue, wozu soll ich dann für öffentliche Einrichtungen zahlen? Solche Leute fühlen sich mit der Gesellschaft nicht mehr verbunden", erläutert Unger.
Daher sei es wichtig, neben einer durchgreifenden internationalen Kooperation gegen Steuerflucht auch eine Verminderung der sozialen Ungleichheit anzustreben, "etwa durch höhere Steuern auf Vermögen", so Unger.
Weiterhin Schlupflöcher trotz internationaler Zusammenarbeit
Immerhin kommt die internationale Zusammenarbeit gegen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung voran, aber es bleiben Schlupflöcher. Unger: "Wenn der internationale Datenaustausch kommt, wird Steuerhinterziehung via Ausland schwieriger, aber das Problem ist noch nicht gelöst. Auch, weil Staaten mit einer großen Finanzindustrie weiterhin versuchen werden, deren Geschäfte zu schützen."
Beispiel Niederlande: Der Staat habe durch die Finanzströme keine nennenswerten Einnahmen. Dafür aber regelmäßig einen Riesenärger mit dem amerikanischen Fiskus, dem Milliarden entgehen. „Offensichtlich geht es darum, den eigenen Finanzplatz zu unterstützen. Die Finanztransaktionen bescheren Banken, Steuerexperten und spezialisierten Anwälten Arbeit und Umsätze“, meint Unger.
Jedoch sei es "irrational, wenn Staaten per Steuerwettbewerb Standortpolitik machen wollen." Denn damit würden sie eine Spirale nach unten in Gang setzen: "Wenn einer anfängt, müssen die anderen früher oder später nachziehen“, so Unger. „Am Ende hat keiner einen Wettbewerbsvorteil, aber alle haben geringere Einnahmen. Dann müssen sie womöglich Sparprogramme auflegen, die das Wirtschaftswachstum schädigen und die soziale Ungleichheit weiter hochtreiben."